Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Brief an den ObertanDietrich Kittner Wie andere Leute sehe auch ich mich gelegentlich gezwungen, Behördenbriefe zu schreiben. Das kostet Zeit, die mir dann beim Abfassen satirischer Texte fehlt. Infolgedessen habe ich rationalisiert: Schon seit längerem gestalte ich meinen Briefwechsel mit Amtsleitern, Ministern, Kanzlern, Präsidenten und anderen Obertanen so, daß ich sie bequem auch im Kabarett vortragen kann. Was ich vom nachfolgend dokumentierten Schreiben an den Herrn Bundespräsidenten Horst Köhler persönlich , Spreeweg 1, 10557 Berlin, nicht unbedingt behaupten will.
Sehr geehrter Herr Bundespräsident, diesen Brief schreibe ich Ihnen spontan. Gerade nämlich erledige ich am Schreibtisch die letzten logistischen Vorbereitungen für die anstehende Herbsttournee. Was ich dabei tun muß, entsetzt mich. Sehen Sie es nicht auch als entwürdigenden und unhaltbaren Zustand an, wenn in dem Lande, das Sie repräsentieren, sehr geehrter Herr Bundespräsident, ein Künstler vor Antritt einer Gastspielreise seine Veranstalter inzwischen routinemäßig über »die Nazi-Lage« am Ort befragen muß? Es gibt dabei nicht nur gelegentlich, sondern häufig die Antwort: »Ich würde schon empfehlen, an einem anderen Ort zu übernachten« oder »Wir stellen Wachen um das Theater auf«. Was, sehr geehrter Herr Bundespräsident, raten Sie mir angesichts dieser Situation zu tun? Soll ich meinen Beruf aufgeben und/oder emigrieren? Soll ich entsprechend Art. 5 Grundgesetz (Meinungsfreiheit) von meinem Tourneefahrzeug die darauf abgebildete weiße Friedenstaube auf blauem Grund (Sie wissen schon, sehr geehrter Herr Bundespräsident) entfernen? Soll ich mich verstecken? Soll ich mein Programm ändern in Richtung der Grundtendenz, die heute nicht mehr nur die NPD und andere kriminelle Nazi-Schläger vertreten, sondern längst auch eine Regierungspartei: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein«? Soll ich für die Durchführung meiner künstlerischen Tätigkeit die Flugbereitschaft der Bundeswehr oder ein gepanzertes Regierungsgefährt anfordern? Das wäre zugegeben lästig, aber bekanntermaßen sind nach Art. 3 Grundgesetz alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Für Ihren Rat oder Ihre Meinung wäre ich Ihnen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, wie schon gesagt, sehr dankbar. Darf ich auf Antwort hoffen? Es eilt ein wenig, weil die Tournee schon am 2. Oktober beginnt. Mit freundlichen Grüßen (Dietrich Kittner)
Es gab Zeiten, da haben sich aus ähnlichen Lockschreiben veritable teils erschreckende, teils zwerchfellerschütternde längere Briefwechsel in der Spannweite von Barmer Ersatzkasse bis Richard von Weizsäcker entwickelt. Heute ist das anders. Auch sechs Wochen nach Absendung der oben zitierten dringlichen Bitte um obrigkeitlichen Rat und Amtshilfe habe ich weder eine Antwort noch auch nur die bisher als Minimum der Höflichkeit übliche, je nachdem formelle oder zähneknirschend-humorvolle Eingangsbestätigung des Sekretariats erhalten. So sehe ich mich denn berechtigt, meinen Brief öffentlich zu machen. Möglicherweise ist eine bundespräsidiale Reaktion auch deshalb ausgeblieben, weil man die einzig mögliche Antwort auf meine deutlich zwischen den Zeilen zu lesende Frage natürlich kennt, sie jedoch keinesfalls für opportun hält. Sie lautet selbstverständlich: Man muß seiner Wut und Entrüstung über die Tatsache Raum geben, daß sich brauner Sumpf und offizieller Neonationalismus fast nur noch marginal voneinander unterscheiden. Man muß sich gleichermaßen zur Wehr setzen gegen grölende Horden baseballschlägerschwingender Glatzköpfe wie gegen Nadelstreifentäter, die sich öffentlich damit brüsten, bereits eine kriminelle Vereinigung von Kampfpiloten formiert zu haben, die notfalls jederzeit bereit sei, explizit gegen Recht und Gesetz, allein auf den Befehl ihres Anführers hin, unschuldige Menschen in den Tod zu reißen und so den objektiven Tatbestand des Mordes zu erfüllen. Nachdem Schäuble bereits gezielte Tötung auf Verdacht also ebenfalls Mord ventiliert und Jung das eindeutige Urteil des Verfassungsgerichts einfach zerrissen hat, wäre es untertrieben zu sagen, die rechtsstaatliche Fassade bröckele nur. Sie ist weitgehend abgefallen. Radikal, illegal, scheißegal oder wie, meine Herren Minister? Was jedoch hat das mit den Nazi-Schlägern auf unseren Straßen zu tun? Alles. Im Prinzip haben beide Gruppierungen dasselbe Ziel: die Reste des Rechtsstaats endgültig sturmreif zu schießen. Es geht nicht mehr nur darum, den Anfängen zu wehren.
Erschienen in Ossietzky 22/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |