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Ein Instrument, das zur Einigung der amerikanischen Länder beiträgt, das der Kommunikation von unten und den sozialen Bewegungen Lateinamerikas Raum gibt!« Das war die Vision einer kleinen brasilianischen Internetzeitung ( NPC ) aus dem Hinterland, nachdem am 24. Juli 2005, dem Geburtstag des Vordenkers der lateinamerikanischen Einigung Simón Bolívar (1783–1830), in der venezuelanischen Hauptstadt Caracas die Televisora del Sur ( Telesur ) den Sendebetrieb aufgenommen hatte. Ahnungsvoll fragte das Blatt: »Ist es denn so schwer, sich so etwas vorzustellen?« Doch, es ist schwer. Die kurze Geschichte von Telesur ist ein Exempel der lateinamerikanischen Misere. Das »Fernsehen des Südens« entstand aus einer der brisantesten unter den vielen konstruktiven Ideen des Präsidenten der República Bolivariana de Venezuela, Hugo Chávez Frías, vergleichbar mit der »Südbank« (Banco del Sur) zur Minderung des Einflusses von Weltwährungsfonds und Weltbank oder mit dem geplanten Energienetz des Südens. Chávez ist neben Mahmoud Ahmadi-Nedschad und Fidel Castro Ruz der bestgehaßte und meist satanisierte Gegner des nördlichen Imperiums. Ein Informationsprogramm mit 45 Prozent Nachrichten, hohem Dokumentaranteil aus lokaler Produktion und dem Ziel, »das notwendige Bewußtsein hervorzubringen für die kommenden Dinge und für das, was zu tun sein wird. Für die Annäherung unserer Völker, einschließlich dem der USA« (Chavez), bedeutet doch, gerade das zu liefern, was den Lateinamerikanern seit Kolonialzeiten versagt ist: Bildung und Information, die Grundlagen kritischer Erkenntnis und politischer Handlungsfähigkeit. Venezuela hält 41 Prozent der Anteile des nicht-kommerziellen Unternehmens, Argentinien 20, Kuba 19, Uruguay zehn, Bolivien und Ekuador jeweils fünf Prozent. Nicaragua ist assoziiert. Brasilien, das größte Land Lateinamerikas (184 Millionen Einwohner), hat sich mit eher unverbindlichen Zusagen beteiligt, da es de facto im Kielwasser der USA schwimmt. Immerhin sollen rund zehn Prozent der etwa 500 Millionen Lateinamerikaner erstmals über durchgehend informatives Fernsehen verfügen, wo bislang seichteste Unterhaltung Konsumwünsche vermittelt und kritischen Überblick blockiert. Schon drei Tage nach Sendebeginn hatte das Repräsentantenhaus in Washington eine Vorlage zu gezielten Störsendungen verabschiedet. »Venezuela marschiert zu Kommunismus und Verlust der Freien Presse«, posaunte der republikanische Scharfmacher Connie Mack. Dabei befanden sich von Venezuelas 48 Fernsehkanälen lediglich zwei in öffentlicher Hand, darunter das ebenfalls von Chávez gegründete Bildungsfernsehen ViVe ( Visión Venezuela ); über Kabel waren weitere 120 Kommerzsender zugänglich. Es sei angemerkt, daß der 2002 am Putsch gegen Chávez beteiligte US-hörige Sender RCTV des Medienmagnaten Marcel Granier seine Sendelizenz erst 2007 verloren hat – nicht aufgrund dirigistischer Willkür des Präsidenten Chávez, sondern infolge legaler Nichtverlängerung der abgelaufenen Lizenz. Die gleichgeschalteten Medien unterschlagen, daß Andres Izarra, ehemaliger RCTV -Chefredakteur, heute Präsident von Telesur ist. Auch den hochkarätigen Verwaltungsrat von Telesur , dem unter anderem der Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und die Schriftsteller Ernesto Cardenal, Eduardo Galeano und Tariq Ali angehören, lassen sie lieber unerwähnt. » CNN go home« lautete der Konsens der ersten Monate. Aber schon Anfang 2006 fragte ein Dr. Henrique Azevedo besorgt im Nuevo Diario (Nicaragua): »Was ist mit Telesur los ... Über Telesur habe ich Evo Morales mitbekommen und eine Menge über den Gas-Konflikt, außerdem das Weltsozialforum und Humala, Kandidat der Indigenas von Peru ... und plötzlich ist Telesur weg ... wahrscheinlich wollten Sie (Estesa, kommerzieller Anbieter von Kabelfernsehprogrammen) nicht länger ein ›horizontales‹ Programm verbreiten, wo es eine Interaktion zwischen Sender und Empfänger gibt ?« Das Abwürgen von Telesur hatte begonnen. Mit »speziellen Bild- und Tonsignalen«, genehmigt vom Parlament des Landes, das sich selbst als »der Welt führende Demokratie« ausgibt. Mit Störsendungen, wie sie schon seit langem von Flugzeugen aus (als TV Martí ) über Kuba eingesetzt und in den arabischen Staaten (als TV Al-Hurra ) gegen den Sender Al-Dschasira gerichtet werden. Die Störversuche über Venezuela konnten durch technische Maßnahmen unterlaufen werden. Dr. Azevedos Kabelzugang in Nicaragua aber wurde mittels politischen und finanziellen Drucks versperrt, der üblichen Mixtur zur Medienbeeinflussung im aufwendigen US-Kreuzzug zur Aufrechterhaltung von »freiheitlichen Idealen, von Sicherheit und Wohlstand« (s. Ossietzky 12/07, S. 467 ff). Solche Ideale verteidigen die USA in Lateinamerika bislang durch die Überlassung von Ton- und Bildmaterial des Hofsenders CNN . Professionell dreinblickende Moderatoren gaukeln da »Nachrichten« vor – zumeist auf der Grundlage filmisch angereicherter Presseverlautbarungen des Weißen Hauses. Die Verbreitung des sonstigen Fernsehmülls des Imperiums infiltriert den Süden mit Kernelementen der nördlichen Leitkultur. Schließlich gebietet Bush über ein Office of Global Communication und verfügt über die Steuergelder für dessen Desinformationskrieg (information warfare). Einzelne Abgeordnete des US-Kongresses liefern ihm willkommene Vorlagen, wenn sie, wie im vorigen Jahr geschehen, Al-Dschasira und Telesur als »Terroristenfernsehen« diffamieren. 85 Prozent der in Brasilien gesendeten Fernsehfilme stammen aus den USA. Vier große Kommerzketten, allen voran TV Globo , tragen zur medialen Bewußtseinsblockade bei. Die wenigen öffentlichen Anstalten wie TV Cultura (São Paulo) oder TV Brasil (Bundessender, seit 2004 im Aufbau) können nur wenig ausrichten – sofern sie das überhaupt wollen oder dürfen. TV Brasil beispielsweise visiert vergleichbare Ziele an wie Telesur , gerade auch die lateinamerikanische Integration. In der Praxis aber wird diese von der radikal-liberalen und im übrigen konzeptlosen Politik der Regierung Lula verbaut, die zugleich den Anschluß Venezuelas an den gemeinsamen Markt Mercosur behindert und den brasilianischen Beitritt zur Südbank verzögert – unter Applaus der US-Plutokratie, woher fast alle Winde wehen. Hélio Costa, brasilianischer Minister für Kommunikation, bescheinigte Telesur »allerschlechteste Qualität« und verglich Hugo Chávez mit einem banalen Fernsehkomiker gleichen Namens. Fernsehen in Lateinamerika bedeutet zumeist Endlosserien (tele-novelas), Fußball, Klamaukshows und hysterische Erweckungsprogramme der boomenden Sekten. Nur einer von neun befragten, ansonsten gut informierten Gesprächspartnern in São Paulo wußte Näheres über Telesur . Er hatte einzelne Filmdokumentationen zufällig im Kabelfernsehen entdeckt, die aber (wie in Nicaragua) alsbald wieder versiegten. Ob TV-Brasil die angekündigte Partnerschaft mit Telesur realisieren wird, bleibt offen. Dagegen ist im Bundesland Paraná der öffentliche Empfang über den Landessender TV-Educativa stundenweise möglich – trotz heftiger Attacken aus dem Landesparlament und nur solange der jetzige relativ linke Gouverneur noch amtiert. d er brasilianische Interessent ist darauf angewiesen, Telesur entweder mit einer eigenen Satellitenschüssel (Durchmesser 2.40 Meter) zu empfangen oder das Programm im Internet kleinstformatig anzuschauen. Die Voraussetzungen, teure Antenne, Kabelanschluß oder Computer, schließen breite Bevölkerungsteile Lateinamerikas vom Empfang aus. Problemlos genießen kann das Programm nur, wer in Kuba, Venezuela oder Bolivien lebt, wo Telesur schon größere Teile des Programms der Landesanstalten bestreitet. Die Übertragung der panamerikanischen Fußballmeisterschaft 2007 in Venezuela war ein großer Sprung ins Zuschauerbewußtsein. Chávez hatte die herkömmlichen Exklusivrechte der Kommerzsender aufgehoben. Grund für weitere Verteufelung des Präsidenten. Neben US-imperialen Machenschaften bremst aber auch die lateinamerikanische Erbmasse, die traditionellen Oligarchien und Monopole, bestärkt durch den zunehmend liberalistischen Wirtschaftsgestus. Verbal fortschrittlich, finden die de facto sozialdemokratisch regierten Länder nur dann zu transnationaler Solidarität, wenn gemeinsame Wirtschaftsinteressen sie dazu zwingen. Sonst kann es passieren, daß der kolumbianische Telesur -Korrespondent Muñoz Altamiranda einfach für 52 Tage eingelocht wird – wegen »Rebellion und Terrorismus« (so geschehen im November 2006 in Bogota, wo die Regierung Uribe zuweilen noch grobschlächtiger vorgeht, als es Washington lieb sein kann). Oder auch daß Helena Rodríguez, Telesur -Mitarbeiterin in Quito, Todesdrohungen per E-Mail erhält, schlicht adressiert »an die Hure von Chávez«. Doch die Telesur -Redakteure sind optimistisch, bestärkt von Präsident Chávez: »Damit Telesur mit Herz und Verstand auf gleicher Wellenlänge der Völker ist, wird die Herausforderung darin bestehen, sich an die Wahrheit zu halten und die Wahrheit zu sagen.« Die Ausstrahlung in Portugal ist abgemacht; weitere Länder in Europa und Afrika sollen folgen. Die Hoffnung, daß das Imperium sein Medienmonopol nach und nach verliert, scheint doch nicht ganz unrealistisch zu sein. In Europa ist Telesur über www.arcoiris.tv zu empfangen, außerdem über Parabolantenne. Einzelheiten erfragen Sie bitte bei der Redaktion Ossietzky .
Erschienen in Ossietzky 22/2007 |
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