Mysterien einer Metropole

Lothar Kusche

Wahrscheinlich bin auch ich stolz darauf, ein Berliner zu sein – so wie Nante und John F. Kennedy. Geboren bin ich als Neuköllner, das heißt: als Westberliner. Aber damals war ich noch viel kleiner als heute. Eines Tages kriegten wir einen Stadt-Chef, der sich beim Tausch des KPD-Parteibuchs gegen das von der SPD eine lebenslängliche Dysphonie beziehungsweise Heiserkeit zugezogen hatte. Der erklärte uns mit rauher Stimme zu Einwohnern einer Frontstadt. Ernst Reuter ist tot, und nun leben wir in einer Metropole mit verschiedenen Liebes- und sonstigen Paraden, bald vielleicht sogar mit eigenem Riesenrad ohne Prater, arm, aber sexy. Wir haben 1 Central Station including 1 W. C. Center, 7 Quick Shops for Tickets & More, featuring 1 Railway-President , wobei aber noch ungeklärt bleibt, was Mehdorn eigentlich auf deutsch heißt. Ich wohne im Bezirk, also District Treptow in der Nähe der von der Allianz Assecurance wie Dome für Gläubige gebauten Treptowers , deren obere Enden man nur mit zurückgelegtem Kopf erspähen kann – bis dahin, wo sich die Türme in Luft auflösen. Spätabends stolpern wir manchmal durch eine gemütliche finstere Gasse zu unserer Wohnung. Warum leuchten denn die drei Laternen nicht? frage ich. Meine Frau sagt: Weil die ja immer den ganzen Tag lang leuchten.

Deshalb, wissen wir nun, müssen demnächst die Wasserpreise wieder erhöht werden.

Erschienen in Ossietzky 21/2007