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Deshalb förderte das Orchester den kanadischen Politikwissenschaftler und Historiker Misha Aster (29), der als erster Akten aus Goebbels' Propagandaministerium, aus der Reichskultur- und der Reichsmusikkammer, der Reichspropagandaleitung der NSDAP und dem Geheimen Staatsarchiv durcharbeitete. Aus Asters jetzt vorliegendem Buch erfährt man: 1933 stand das Berliner Philharmonische Orchester vor dem Bankrott. Der Erste Dirigent Wilhelm Furtwängler bat Joseph Goebbels, den neu ernannten Reichminister für Volksaufklärung und Propaganda, persönlich um Hilfe. Dieser und sein Führer Adolf Hitler erkannten schnell, welchen Nutzen das weltberühmte Orchester als Propagandainstrument für die NS-Kulturpolitik bringen konnte. In konzertierter Aktion von Ministerien und Behörden wurde die ursprüngliche genossenschaftsähnliche GmbH mit Hitlers persönlicher Billigung in ein offizielles Reichsorchester umgebildet und finanziell saniert. Die Orchestermitglieder verkauften ihre Anteile an den Staat. Nunmehr gehörte das Orchester dem Deutschen Reich und wurde von ihm vollständig finanziert (mit wachsenden Staatszuschüssen). Reste der Selbstverwaltung der Orchestergemeinschaft wurden beseitigt. Die Musiker wurden Beamte. Geschäftsführer, Intendanten und Berater – durchweg NSDAP-Mitglieder – wurden vom Propagandaministerium eingesetzt. Die Nazis schufen im Orchester Strukturen der NSDAP, der Arbeitsfront und der Reichsmusikkammer. Sie hetzten gegen die vier jüdischen Orchestermitglieder, darunter den Konzertmeister und namhaften Virtuosen Szymon Goldberg. Aster nennt die Reaktion der übrigen Orchestermitglieder »beklemmend zurückhaltend«. Auf Ersuchen Furtwänglers tolerierte Goebbels anfänglich die Juden, doch sorgten die anhaltenden Schikanen dafür, daß die jüdischen Kollegen bis 1936 »freiwillig« gingen. Der Konzertmeister Hans Kolberg wurde später wegen seiner jüdischen Ehefrau ebenfalls in die Emigration getrieben. Meldung an das Propagandaministerium: Es werden keine Juden mehr eingestellt. Schon 1933, als der Reichskommissar Hinkel die Konzerte Bruno Walters und Otto Klemperers torpedierte, indem er einen Saalschutz von SA und SS (!) gegen »die Volksstimmung« verweigerte, wiesen Furtwängler und das Orchester die Erpressung nicht zurück, sie sagten die Konzerte nicht ab. Walter und Klemperer mußten verzichten und wurden durch »arische« Dirigenten ersetzt. Bruno Walter verließ Deutschland noch am selben Tage. Es geschah auch nichts, als den jüdischen Musikfreunden das Konzertabonnement gekündigt und »Nichtariern« der Zutritt zur Philharmonie verboten wurde. Von Juden geraubte wertvolle Instrumente wurden dankbar angenommen. 1934 verbot Goebbels Furtwängler die Aufführung der Oper »Mathis der Maler« von Paul Hindemith in der Staatsoper. Mit beträchtlichem Theaterdonner legte Furtwängler alle seine Ämter nieder, kehrte aber binnen vier Monaten zurück, nachdem er Hitler als »Leiter der Reichskunstpolitik« gehuldigt hatte. Den Kniefall vollendete am 25. April 1935 das berühmt-berüchtigte Konzert vor Hitler, Göring und Goebbels. Die Machtfrage war entschieden. Furtwängler blieb auch ohne offizielles Amt die von Goebbels gestützte uneingeschränkte Autorität im Orchester, was sein ausgeprägtes Machtbewußtsein befriedigte – und er nahm es hin, daß auch seine jüdische Sekretärin Berta Geissmar vertrieben wurde. Goebbels nutzte die Philharmoniker als eines seiner wirkungsvollsten Propagandamittel. Aster: »Je schlimmer es um Deutschland stand, desto mehr brauchte Goebbels die Philharmoniker.« Sie wurden eingesetzt zu Reichparteitagen der NSDAP, bei Kulturtagungen der Partei, zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 und zur Weltausstellung 1937 in Paris, wo sie Deutschland mit dem Horst-Wessel-Lied »repräsentierten«. Ständiger Auftrag war das alljährliche Konzert zu Hitlers Geburtstag. Hochkonjunktur hatte das Orchester nach dem Überfall auf Polen mit patriotischen Rundfunkkonzerten. »Unsterbliche Musik« wurde zum Stärkungsmittel für die Kampfmoral der Truppen und der Zivilbevölkerung. Aster: »Tatsächlich gehörten die ersten Kriegsjahre sogar zur erfolgreichsten Zeit des Berliner Philharmonischen Orchesters, denn alle Elemente seiner musikalischen, politischen, geschäftlichen und gesellschaftlichen Existenz befanden sich bestens miteinander im Einklang.« Truppenbetreuung, Konzerte für die Hitlerjugend, für »Kraft durch Freude«, das Winterhilfswerk, in Rüstungsbetrieben und so weiter gehörten zum Orchesteralltag. Aster betont, daß gerade die hohe musikalische Meisterschaft den Konzerten ihren propagandistischen Wert verlieh. Sie prädestinierte das Orchester, das Ansehen des Regimes im Ausland zu heben. Das Propagandaministerium plante und förderte die Tourneen. Das brachte den Philharmonikern den makabren Spitznamen »Vorkämpfer der Fallschirmjäger« ein. Mit der Verschlechterung der militärischen Lage während des Krieges wurden die Philharmoniker »zunehmend wie eine militärische Eliteeinheit behandelt« und mit Wehrmachtstransporten befördert. Die treuen Dienste für den NS-Staat wurden reich belohnt. Goebbels sorgte dafür, daß die Philharmoniker stets die höchste Bezahlung im Reich erhielten. Auslandsreisen verschafften zusätzliche Vorteile. Doch dies alles waren nur Almosen im Vergleich zur größten Gabe des Regimes für die Mitglieder des Orchesters: die doppelte Uk-Stellung. Sie wurden weder zur Wehrmacht noch zum Volkssturm eingezogen. Sie konnten »durchspielen«. Noch im April 1945, die Rote Armee hatte zum Sturm auf Berlin angesetzt, konzertierten sie für Albert Speer und andere Naziführer. Bis dahin ist der Autor in seinen Wertungen klar: Als völlig vereinnahmt, restlos kompromittiert stellt er die Berliner Philharmoniker dar. Dann aber relativiert er, spricht von einer »zwölfjährigen Irrfahrt« und stellt die Musiker als Opfer dar, deren Name 1945 beschmutzt gewesen sei. »Das Ende selbst war nicht ruhmreich, aber für das Berliner Philharmonische Orchester kam es schnell und ging vorüber.« Nach einigen glimpflich verlaufenen Entnazifizierungsverfahren gaben die amerikanischen Behörden »dem Orchester seine Gemeinschaftsehre zurück. Das Berliner Philharmonische Orchester hatte sich als reif genug erwiesen, um über sein Schicksal mitzubestimmen.« Daß das Orchester zu allem bereit war, um seine Vorteile zu wahren, erscheint letztlich geradezu verdienstvoll – und in diese Richtung führt auch Wolf Lepenies (Aufsichtsratsmitglied der Axel Springer AG) in seinem Vorwort. Ihm zufolge bestand eine »feste symbiotische Beziehung zwischen dem nationalsozialistischen Staat und dem Orchester: Das Regime nutzte das Orchester – und das Orchester nutzte das Regime. Es war ein Ausnahmezustand auf Dauer, in dem die Musiker versuchten, künstlerische Privilegien und organisatorische Autonomie mit ideologischen Vorgaben in eine Balance zu bringen.« Sie dienten einem höheren Prinzip: »Die Kontinuität der künstlerischen Produktion über Kriegszeiten und Kapitulation war atemberaubend.« Insgesamt verharmlost Lepenies das korrupte Verhalten des Orchesters als »eine (fast) alltägliche deutsche Ge-schichte«. Statt Aufklärung also doch wieder Weißwäscherei und Bewunderung. Worte wie Solidarität und Humanismus kommen in dem Buch nicht vor.
Misha Aster: »Das Reichsorchester. Die Berliner Philharmoniker und der Nationalsozialismus«, Siedler Verlag, 400 Seiten, 21,95 €
Erschienen in Ossietzky 21/2007 |
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