Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Illusionistisches StaatstheaterRalph Hartmann Die großzügige Springer-Postille Berliner Morgenpost hat mir zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit ein Geschenk gemacht und in meinen Briefkasten ein Gratiswerbeexemplar geworfen. Darin forderte mich der Chefkorrespondent der Welt Jochim Stoltenberg auf, mich anläßlich des nationalen Feiertages »zu freuen, ja stolz zu sein«. Als einen wesentlichen Grund dafür nennt er die »Fortschritte«, die »das viel beschworene Zusammenwachsen zweier Gesellschaften gemacht hat«. Zum Kronzeugen hat er sich Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin, erkoren, der festgestellt habe, daß sich 54 Prozent der Menschen in den neuen Bundesländern mittlerweile wieder eher als »Deutsche« denn als »Ostdeutsche« empfinden«. Juchheirassassa, was für ein grandioser Fortschritt! Allerdings verschwieg der jubelnde Staatsfeiertag-Schreiber, daß sich laut einer jüngsten Umfrage des Senders N24 nicht weniger als 74 Prozent der ostdeutschen Deutschen als »Bürger zweiter Klasse« fühlen. Statt dessen konnte man in der Morgengabe ein Interview mit einem der größten Besserwisser unserer Zeit, dem Sprecher des von der Regierung eingesetzten »Gesprächskreises Ost«, Klaus von Dohnanyi, lesen, der sich schon als Sonderberater der famosen Treuhandanstalt unsterbliche Verdienste um den Osten Deutschlands erworben hat. Darin antwortet er auf die Frage: »Wird man mit der Ungleichheit zwischen Ost und West leben müssen?« kurz und schmerzlich »Ja es hat keinen Sinn, sich Illusionen zu machen.« Dem Blatt gefiel diese Aussage so gut, daß es sie gleich zur fetten Überschrift über die ganze Einheitstagsseite machte. Anderswo gehörten Illusionen zum Festtagsprogramm. Das Wort stammt vom lateinischen »illudere« (verspotten, täuschen) ab und bedeutet bekanntlich nicht nur Selbsttäuschung und trügerische Hoffnung, sondern auch Vortäuschung einer Wirklichkeit. Allein schon der diesjährige Staatsakt im neoklassizistischen, frisch aufpolierten Prachtbau des Staatstheaters Schwerin, in dem sich nach einem ökumenischen Gottesdienst die Spitzen von Staat und Gesellschaft versammelten, lieferte dafür treffliche Beispiele. Als Illusionist der Extraklasse erwies sich Bundestagspräsident Norbert Lammert. In einer stilistisch geschliffenen, mit feiner Rhetorik vorgetragenen Festrede konstatierte er: »Mit der Revolution der Ostdeutschen und mit dem 3. Oktober 1990 ist Wesentliches erreicht worden: Einigkeit und Recht und Freiheit.« Diese Worte aus der Nationalhymne lassen die Herzen aller deutschen Landsleute in Ost und West höher schlagen, vor allem die der 79 Prozent, die die bundesdeutsche Gesellschaft für »sozial ungerecht« halten. Bei den Ostbürgern ist der Prozentsatz noch höher. Ihnen spendete der Festredner süßen Trost, indem er mitteilte, daß sich »der Aufbau Ost... in den vergangenen Jahren in vielen Regionen spürbar beschleunigt« habe. Hier sprang ihm auch der Gastgeber im Staatstheater, der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Harald Ringstorff, zur Seite, der in seiner Rede, ganz in der Wortwahl des berühmten chinesischen Erfinders des »langen Marsches« und des »großen Sprungs«, formulierte: »Ganz Ostdeutschland hat in vielen Bereichen einen großen Sprung nach vorn gemacht.« Ganz offensichtlich hatten ihre Redenschreiber zu wenig hinter die wunderschönen Fassaden der sanierten Altstadthäuser am Schweriner See und schon gar nicht in die Berichte der Deutschen Bank Research oder namhafter Wirtschaftsinstitute geblickt, die den insgesamt katastrophalen Zustand der ostdeutschen Wirtschaft, die Massenarbeitslosigkeit, die Abwanderung und Verödung ganzer Landstriche beklagen und eine weitere Vertiefung der Kluft zwischen der ost- und westdeutschen Wirtschaft prognostizieren. Lammert aber kannte den Grund für die »spürbare Beschleunigung« und den »großen Sprung«: »Nirgendwo sonst und nie zuvor hat ein Teil eines Landes einem anderen Teil im vergleichbaren Maße geholfen.« Nun, Ihr Ossis, kniet nieder und danket alle Gott, der CDU/CSU, der SPD und natürlich auch Herrn Lammert für diesen einzigartigen Beistand. Eine Hilfe der besonderen Art: Erst wird der Nachbar zum Krüppel geschlagen, dann werden ihm großzügig Krücken geschenkt. Erst haben Kohl, Waigel, Schäuble, Rohwedder, Breuel und die anderen Samariter mit Währungsunion und Treuhandanstalt den sich selbst tragenden Wirtschaftsstandort DDR zerstört, die Ostdeutschen zu Gunsten des westdeutschen Kapitals entschädigungslos enteignet und Millionen Arbeitsplätze vernichtet, dann zwangen sie die Deutschen in Ost und West zum Solidaritätszuschlag, zu anderen Sonderabgaben und rigorosen Einsparungen, um wenigstens einige der sozialen Folgen dieser Anschlußpolitik zu mildern. Wer wöllte da nicht dankbar sein? Natürlich hat es der Osten schwer, auf Krücken schnell voranzukommen. Das weiß auch Bundeskanzlerin Angelika Merkel, und so blickte sie in Schwerin auf eine 17jährige »lange Wegstrecke« zurück, »in der vieles gelungen ist, aber eben auch noch vieles zu tun bleibt«. Bewußt oder unbewußt wandelte sie als gelernte FDJ-Funktionärin einen der Lieblingssprüche Erich Honeckers, »Nichts ist so gut, als daß es nicht noch besser werden kann«, ab, was sie ungern zugeben würde. Der Bundestagspräsident handelte in dieser Hinsicht souveräner; er übernahm er gleich den Honecker-Spruch und erklärte: »Nichts ist so gut, als daß es nicht verbesserungsfähig wäre.« Wer hätte das gedacht? Wenig »verbesserungsfähig« allerdings war das propagandistische Rahmenprogramm zu den Feierlichkeiten in Schwerin. Während dort in den Reden der »Verbrechen zweier Diktaturen in Deutschland« gedacht wurde, erreichte in den Medien der Kalte Krieg gegen die DDR, vor allem mit dem »auf wahren Tatsachen beruhenden«, und diese skrupellos verfälschenden Fernsehfilm »Die Frau am Checkpoint Charly«, neue glanzvolle Höhepunkte. Die Dämonisierung des vor 17 Jahren untergegangenen Staates ist allein schon deshalb unverzichtbar, weil, wie Lammert im Staatstheater wehklagte, nach einer aktuellen Umfrage 64 Prozent der Ostdeutschen eher positive und nur 17 Prozent eher negative Erinnerungen an die DDR haben. Das muß sich ändern, schleunigst, damit wir alle, wie vom Springerblatt gefordert, uns zum nächsten »nationalen Feiertag« freuen und stolz sind.
Erschienen in Ossietzky 21/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |