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Statt auf industrieller Wertschöpfung beruht es auf hoch spekulativen Geldanlagen, wofür die Banken immer komplexere Angebote (Derivate) entwickeln. Dadurch entsteht unvorstellbarer Reichtum bei wenigen Finanzmagnaten und immer mehr Armut nicht nur in der sogenannten Dritten Welt, sondern auch in den Konsumgesellschaften des Nordens. Das neoliberale Projekt verschärft die sozialen Ungleichheiten in bislang nicht bekannter Form, verspricht Arbeitnehmer(inne)n, prekär Beschäftigten und Erwerbslosen jedoch immer noch mehr Wohlstand, dauerhaftes Wirtschaftswachstum und den Abbau der Massenarbeitslosigkeit – ganz so, als wären nicht jedem Konjunkturaufschwung schon bald der Börsencrash und die Rezession gefolgt. Je stärker Hedgefonds, Private-Equity-Firmen und multinationale Konzerne das Wirtschaftsgeschehen auf dem ganzen Planeten beherrschen, ohne daß ihnen öffentliche Institutionen, kompetente Aufsichtsorgane und politische Regulierungsmechanismen spürbar Grenzen stecken, desto labiler werden die Kapitalmärkte. Hier liegt ein zentraler Streitpunkt zwischen den Neoliberalen und ihren Kritikern, die in den sich häufenden Kursstürzen ein untrügliches Indiz für das Scheitern einer Wirtschaftspolitik sehen, die jede Forderung nach Interventionsmaßnahmen, mehr Wirtschaftslenkung und strengeren Finanzmarktkontrollen fast reflexhaft abwehrt. Im Gegensatz zum klassischen Liberalismus, der sich als fortschrittliche Bewegung des Bürgertums in erster Linie gegen den Feudalstaat beziehungsweise dessen Überreste richtete, bekämpft der Neoliberalismus – verstanden als Wirtschaftstheorie, Sozialphilosophie und politische Strategie, die den Markt zum umfassenden gesellschaftlichen Regulierungsmechanismus erheben möchte – jeglichen Staatsinterventionismus, der dem Kapital politische Fesseln anlegt. Seit der Weltwirtschaftskrise 1974/75 richtete sich die Kritik am Interventionsstaat gegen Reformen, die eine SPD/FDP-Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt nach der Schüler- und Studentenbewegung und der APO am Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre verwirklicht hatte. Für die weitere Entwicklung war das Lambsdorff-Papier vom 9. September 1982 bedeutsam, dessen Forderungen nach spürbarer Verbesserung der Kapitalerträge und einer »Verbilligung des Faktors Arbeit« durch Senkung der Sozialleistungsquote vor 25 Jahren zum Bruch der sozial-liberalen Koalition führten. Die nachträgliche Lektüre des Memorandums läßt erkennen, daß es sich um das offizielle Drehbuch für die Wirtschafts- und Sozialpolitik bis heute handelte und der »Marktgraf« ein wichtiger Wegbereiter der neoliberalen Hegemonie war. Viele Maßnahmen, die seither ergriffen wurden, entsprechen genau jenem Forderungskatalog: Von einer zeitlichen Begrenzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf zwölf Monate über die Einführung eines »demografischen Faktors« zur Beschränkung der Rentenhöhe (»Berücksichtigung des steigenden Rentneranteils in der Rentenformel«) bis zur stärkeren Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen listete das Lambsdorff-Papier fast alle »sozialen Grausamkeiten« auf, welche die folgenden Bundesregierungen bis heute verwirklichten. Nach dem Regierungswechsel von Schmidt zu Kohl ging der Neoliberalismus, dem Vorbild Margaret Thatchers in Großbritannien und Ronald Reagans in den USA folgend, auch in der Bundesrepublik von einer Fundamentalkritik am Interventionsstaat zur rigorosen »Reform«-Politik über. Seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Kollaps aller »realsozialistischen« Staatssysteme in Ost- und Ostmitteleuropa beeinflussen Neoliberale und Wirtschaftslobbyisten die öffentliche Meinung, das soziale Klima und die politische Kultur unseres Landes noch stärker. Offenbar entfiel mit der – gar nicht mal attraktiven – Systemalternative die letzte Sperre gegenüber der Transformation des rheinischen Modells der Sozialen Marktwirtschaft zum schweinischen Finanzmarkt- und Aktionärskapitalismus, wie er sich nunmehr fast auf der ganzen Welt durchsetzte. Mit einer Deregulierung der Märkte sowie einer (Re-)Privatisierung öffentlicher Güter und sozialer Risiken zielt der Neoliberalismus auf »Kapitalismus pur«, also eine Marktgesellschaft ohne entwickelten Wohlfahrtsstaat und wirtschaftspolitischen Interventionismus. Während der Interventionsstaat abgelehnt wird, avanciert der Markt zum universellen Regelungsmechanismus, obwohl er die Gesellschaft im »Säurebad der Konkurrenz« (Karl Marx) zersetzt, sie in Arm und Reich spaltet sowie die Rivalität und Brutalität unter den Menschen tendenziell fördert. Neoliberal zu sein meint folglich nicht nur, den Markt für die effizienteste Regulierungsinstanz der Gesellschaft zu halten und gegenüber dem (Sozial-)Staat auf Distanz zu gehen. Neoliberal zu sein bedeutet auch mehr, als »Privat vor Staat« zu praktizieren. Neoliberal heißt letztlich, unsozial und unsensibel für die wachsenden sozialen Probleme zu sein. Indem systematisch immer mehr Gesellschaftsbereiche dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen werden, nimmt die Sphäre der freien Entscheidung von Individuen, die zu »Kunden« und damit zu Objekten der Werbeindustrie degradiert werden, ebenso wie die Freiheit demokratischer Institutionen ab. Es gibt Anzeichen dafür, daß der (Wohlfahrts-)Staat eine Renaissance erlebt und die Periode der Privatisierung von Unternehmen, Daseinsvorsorge und sozialen Risiken sich ihrem Ende zuneigt. Noch ist die neoliberale Hegemonie jedoch ungebrochen und verschärft nicht nur die soziale Asymmetrie, bleibt vielmehr auch eine Gefahr für die Demokratie, weil sie politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse entwertet. Viele junge Menschen resignieren vor der scheinbaren Übermacht des Ökonomischen gegenüber dem Politischen und ziehen sich ins Privatleben zurück, statt sich für eine bessere Welt, wie sie etwa attac vorschwebt, zu engagieren. Gleichwohl bleibt zu hoffen, daß die erste wirklich globale Finanzmarktkrise zur Überwindung der öffentlichen Meinungsführerschaft des Marktradikalismus und zur Rehabilitation der Staatsintervention beiträgt. Christoph Butterwegge lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von attac und hat kürzlich das Buch »Kritik des Neoliberalismus« veröffentlicht.
Erschienen in Ossietzky 21/2007 |
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