Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Kapitalistischer RealismusWerner Rügemer Kölner Bildungsbürger und Tausende holländischer und japanischer Touristen haben im Kölner Dom eine neue Attraktion. Sie sitzen und stehen im Mittelgang und blicken hinauf zum neuen Südquerhausfenster. Dort oben in 30 Meter Höhe erstrahlt ein neues Kunstwerk des »berühmtesten und teuersten Malers der Gegenwart«, Gerhard Richter. Sie staunen und flüstern ehrfürchtig und halten ihre digitalen Kameras und Fotohandys hoch. Blitzlichtgeflirre durchzieht den hohen Raum. Am 25. August 2007 wurde nach jahrelangen Vorbereitungen und ehrfürchtigen Vorberichten in bürgerlichen Feuilletons ebenso wie in Boulevardmedien das neue Domfenster feierlich vorgestellt, mit Messen, Predigten, Licht- und Klanginstallationen. Das Südquerhausfenster hat eine Fläche von 113 Quadratmetern. Es besteht aus 11.263 quadratischen Glasstücken mit einer Seitenlänge von 9,7 cm. Sie sind in 72 verschiedenen Farbtönen gehalten, die denen der anderen Kirchenfenster entsprechen. Die Anordnung der Farbtöne überließ der gefeierte Künstler einem Zufallsgenerator. Richter nahm für diesen Auftrag keines seiner heute üblichen Millionenhonorare, sondern machte dem Kölner Domkapitel das Fenster zum Geschenk. Die etwa 400.000 Euro Herstellungskosten wurden von 1.200 Spendern aufgebracht, darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Hypovereinsbank, mittelständische Elektronikhändler, Anwälte, Professoren, Karnevals- und auch Bistumsfunktionäre, Museumsleute – der Kölner Kulturklüngel eben. Das Südquerhausfenster, das auf den weiten Roncalli-Platz weist und unter allen Domfenstern den prominentesten Ort hat, war im 2. Weltkrieg zerstört und nur notdürftig verglast worden. Die Dombaumeisterin beauftragte Richter im Jahre 2001 mit einem thematisch gebundenen Entwurf: Nach Vorgaben des Domkapitels sollten sechs Märtyrer des 20. Jahrhunderts dargestellt werden. Die Zahl hat damit zu tun, daß das Fenster aus sechs senkrechten Teilen besteht. Die Dombaumeisterin, Professor Barbara Schock-Werner, verkündete beim »Aschermittwoch der Künstler«, den das Kölner Erzbistum jedes Jahr nach dem Karneval ausrichtet, die sechs Namen: Bernhard Lichtenberg, Edith Stein, Rupert Mayer, Karl Leisner, Maximilian Kolbe, Nikolaus Groß. Sie hatten auf unterschiedliche Weise Widerstand gegen die Nazis geleistet. Zwei, der Priester Maximilian Kolbe und die zum Christentum konvertierte Jüdin Edith Stein, waren in Auschwitz ermordet worden, Nikolaus Groß, Funktionär der katholischen Arbeiterbewegung, wurde in Plötzensee hingerichtet, die anderen starben im Gefängnis oder danach. Einige wurden unter Papst Woytila heiliggesprochen. Das Projekt war für die Verhältnisse des deutschen Katholizismus und des Kölner Erzbistums durchaus mutig. Denn von der Kirchenführung und dem Vatikan, die mit Hitler kollaborierten, waren die Widerständler nicht unterstützt worden. Richter fand die thematische Vorgabe unpassend, Fotos von brutalen Erhängungs- und Erschießungsszenen aus dem NS seien als Vorlage ungeeignet, meinte er. Deshalb lieferte er Abstraktes. Er griff auf sein Bild »4096 Farben« von 1974 zurück. Dort hatte er 4.096 bunte Quadrate nebeneinander gelegt und damals schon die farbliche Verteilung dem Zufallsgenerator eines Computerprogramms überlassen. Das wollte er nun im Domfenster in größerem Maßstab wiederholen. Die Mehrheit des Domkapitels zeigte sich irritiert. Richters Vorbehalte waren eigentlich nicht schlüssig. In seinem weltberühmten Stammheim-Zyklus hatte er nach seiner üblichen Vorgehensweise vorhandene Fotos der erhängten und erschossenen und zu Grabe getragenen RAF-Leute als Vorlage benutzt und verfremdet. Diese Methode ist ein Markenzeichen Richters. Auch für den Domauftrag hatte er mit Fotos von Erhängungs- und Erschießungsszenen aus dem NS experimentiert, die mit den sechs Genannten nichts zu tun hatten. Von diesen war keiner erschossen worden. Ohnehin sollte nicht der Tod der sechs, sondern ihre Persönlichkeit und die Perspektive über den Tod hinaus dargestellt werden. Richters wesentliches Motiv ist, daß er Widerstand nicht denken, nicht sehen kann, sondern nur Vernichtung. Deshalb wurden zwei weitere, allerdings weniger bekannte Künstler mit Entwürfen beauftragt, Manfred Hürlimann und Egbert Verbeek. Beide gingen auf die thematische Vorgabe ein. Verbeek stellte keine Hinrichtungen dar, sondern gestaltete nach Fotovorlagen die Gesichter der sechs und stellte sie unter das Motto »Leuchtende Wegweiser – Komm, wir gehen für unser Volk«. Auch er arbeitete wie Richter mit Echtantikglas und mit den Farben Tiefrot, Orange, Ocker, Hell- und Dunkelblau. Mit dem Bildnis von Edith Stein wurde am Dom ein Probefenster eingebaut. Hürlimanns Entwurf war ähnlich, außer daß er mit den Ganzkörpervorlagen arbeitete. Doch die Entscheidung war hinter den Kulissen längst gefallen. Richter wurde im offiziellen katholischen Milieu hastig aufgewertet. Er bekam den Ehrendoktor der Katholischen Universität Löwen und den »Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken«. Kardinal Lehmann rühmte am Preisträger, er könne »die Sehnsucht nach dem Absoluten, Versöhnenden, Erlösenden ausdrücken«. Richter erhielt die Weihe als religiöser und katholischer Künstler, der zudem nicht alte Wunden aufreiße, sondern versöhne. Die Minderheit im Domkapitel ließ sich von Richters Weltruhm einlullen. Sofort nach der Präsentation der drei Entwürfe am 1. Februar 2005 fiel die Entscheidung: keine Märtyrer im Kölner Domfenster! Richter erhielt den Auftrag für seine bunten Quadrate. Über die alternativen Entwürfe und die Lösung des Konflikts wird seitdem verbissen geschwiegen. Die Wirklichkeit kann man nicht erkennen, und man kann sie nicht darstellen – das ist das methodische Arbeitsprinzip Richters. Die Unschärfe, die erkenntnismäßige Neutralität, die Ausschaltung der Subjektivität sind sein Lebensthema. Dafür könnte viel sprechen, vor allem gegenüber den fundamentalistischen Sicherheiten, mit denen die großen Ideologien und Mächte auftraten und auftreten. So legt Richter Fotos von Wehrmachtsangehörigen, von RAF-Häftlingen, von Verwandten, von Landschaften und aus Werbeprospekten zugrunde und verwischt sie, teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Monochrome Flächen, zufallsgewürfelte Quadrate folgen derselben Logik. Richters Werk ist die Verkörperung von Ideologielosigkeit schlechthin – scheinbar. Freilich stellen Richters Erkenntniszweifel zunehmend eine neue Ideologie, eine neue absolute Gewißheit dar. Auch deshalb bannt er seinen Agnostizismus auf immer größere, monumentale Formate: fünf Meter, zehn Meter, 20 Meter. Sage nichts, aber sage es im großen Format, so sein Motto. Solche Werke werden logischerweise gerade von denen geschätzt und gekauft und in Auftrag gegeben, die heute die Macht und keinerlei Erkenntniszweifel haben. »Alles sehen, nichts verstehen«, so lautet etwa Richters Motto für seine grauen Glastafeln »Acht Grau«, die er im Format sechs mal drei Meter im Auftrag der Deutschen Bank erstellte. Vorstandsmitglied Tessen von Heydebreck lobte die acht monochromen grauen Tafeln überschwenglich. So etwas gefällt einer Großbank: das Geld als großes, unerkennbares Geheimnis, zugleich als unerschütterliche Gewißheit, geadelt durch die Weihe der Kunst. Richter war 1961 aus der DDR in den Westen geflüchtet: Er wolle kein Staatskünstler werden. Seine erste Ausstellung in einem Düsseldorfer Möbelhaus stand unter dem ironisch gemeinten Motto: »Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus«. Einige Jahrzehnte später ist Richter nicht nur Deutsche Bank-Künstler, sondern auch BRD-Staatskünstler. 1997 erhielt er einen Auftrag der Bundesregierung für das Reichstagsgebäude. Die Unschärfe, die Ironie besteht hier darin, daß der Ideologiekritiker die Bundesflagge leicht verfremdet hat: sie ist in den Proportionen verzogen, monumentale 21 Meter hoch, aber zu schmal, die Farbtöne sind leicht verändert. Die Ironie ist sanft und staatstragend geworden: kapitalistischer Realismus. Die FAZ erkennt das und lobt: »In der distanzierten Pose der skeptischen Generation wurde er eine Art Staatskünstler der Bundesrepublik... Wie zuletzt die Ausstellung im Museum of Modern Art gezeigt hat, markiert Richters Name den Standard der von der deutschen Nachkriegskunst erreichten Modernität, ein global anerkanntes Gütesiegel gleich dem Mercedes-Stern.« Die Annäherung an Kapital, Staat und nun auch Kirche ist gegenseitig. »Ich habe mich schon länger der katholischen Kirche angenähert, ich bin ihr Sympathisant, ohne Mitglied zu sein«, so der neue Kirchenkünstler. Und rutschte tief in den großen giftigen Schoß des christlichen Abendlandes: »Die gesamte Kunst seit 2000 Jahren ist doch katholisch, und die Kunst ist meine Heimat«, sagte er nach dem Auftrag für den Kölner Dom, anläßlich seiner genannten großen Ausstellung 2004 im Tempel der modernen Kapital-Kunst in New York. Auch die Bildungsbürger dürfen in die scheinbare Leere Richters hineinspekulieren, was ihnen aus ihrem Bildungsschatz einfällt. Ein vielbeschäftigter Saurier des etablierten Kunstbetriebs etwa, Werner Spies, sieht im Domfenster die »Parabel der Genesis« ebenso wie Nietzsches Philosophie. Der Kölner Stadt-Anzeiger halluziniert die »Emanation des göttlichen Lichts in dem wogenden Meer der Farbpixel«. Für Domprobst Feldhoff, den starken Mann des Domkapitels, der das Geld für das Fenster heranschaffte, öffnet das »wahnsinnige Licht« des Fensters den »Weg ins Religiöse«. Und die Dombaumeisterin auf ihrem Karriereweg nach oben überdeckt und verschweigt und versöhnt den Konflikt: In Richters Fenster seien nun »alle Gedanken, alle Bilder, alle Heiligen vereint«. Nichts ist vereint. Der Widerstand gegen den NS ist ausgeschlossen. Mit Richters Hilfe ist es gelungen, die Kirchenoberen von der Last ihrer thematischen Vorgabe zu befreien. Zum Dom strömen heute sowieso immer weniger Gläubige und fast ausschließlich Touristen. Die Kirche hält sich als künstlerisch aufgepeppter Standortfaktor und als Kunstmuseum. Das Fenster widerspiegele die »gegenwärtige gesellschaftliche Sprachlosigkeit« der Kirche, höre ich aus katholischen Laienkreisen. Doch diese »Sprachlosigkeit« ist nur vordergründig: Wie bei Richter erweist sich auch bei der Kirche die scheinbare Neutralität und Sprachlosigkeit als Kollaboration mit den Mächtigen, ob es sich um Geschichtsklitterung oder die Zustimmung zu den Hartz-Gesetzen oder die Segnung der Panzer im Kosovo und in Afghanistan handelt. Die scheinbare Sprachlosigkeit vor der unbarmherzigen Selbstbereicherung der gegenwärtigen Eliten geht einher mit Zustimmung, Förderung, Mittun. Und die Mehrheit der Bürger und Eventtouristen, die zum belanglosen, interpretationsoffenen Kunsthandwerk des weltberühmten Meisters hinaufstaunen, ist dankbar. Sie wolle in der Kirche nicht immer »das Leiden Christi am Kreuz« sehen, begründete eine Leserbriefschreiberin ihre enthusiastische Zustimmung zum Richter-Fenster. Sie will ein gemütliches, widerspruchsloses, kuscheliges Christentum. Möglicherweise hat sie wie so mancher andere kulturbeflissene Bildungsbürger zu Hause den bunten Wohnzimmerteppich, den Richter ebenso mit Rückgriff auf sein Werk »4096 Farben« einige Jahre zuvor für die Wuppertaler Staubsaugerfirma Vorwerk gestaltet hatte; Preis pro Quadratmeter: 68 Euro.
Erschienen in Ossietzky 20/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |