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Die nicht abreißenden Bemühungen des Westens, jede revolutionäre Bewegung, angefangen vom Sklavenaufstand des Spartakus, zu diffamieren, taten ein übriges. Das Berliner Ensemble sollte, so war Brechts Vorstellung, in regelmäßigen Abständen Stücke der Weltliteratur aufführen, die »Gesellschaftsumwälzungen zeigen und zu ihnen befähigen«. Im Gespräch waren neben Brechts Stücken »Die Tage der Commune« und »Die Mutter« Georg Büchners »Dantons Tod« und Wsewolod Wischnewskis »Optimistische Tragödie«. Dieses Stück über die Auseinandersetzungen unmittelbar nach der Oktoberrevolution interessierte Brecht besonders, weil es »mit seltener Kühnheit Widersprüche auch innerhalb der Revolution nicht scheut, sondern aufreißt«. Und wie immer bei Brecht hatten große Vorhaben auch ganz praktische Gründe. Angelika Hurwicz sollte die Kommissarin, die zentrale Figur des Stückes, spielen, da sie nach ihrem Erfolg mit der Stummen Katrin in »Mutter Courage« und der Grusche im »Kaukasischen Kreidekreis« sich diese »tolle Rolle« wünschte. Brecht erlebte die Premiere der »Optimistischen Tragödie« am 1. April 1958 nicht mehr. Elisabeth Hauptmann, Peter Palitzsch und ich hatten mit Unterstützung von Sonja Wischnewjetzkaja, der Frau Wischnewskis, eine Fassung hergestellt, die auf die Urfassung des Stücks von 1930 zurückging. Ich erinnere mich noch, wie überrascht Palitzsch und ich waren, als uns in der Tür ihrer Moskauer Wohnung, wo wir Sonja treffen sollten, eine Grande Dame in großer Garderobe ganz in Lila gegenübertrat und sich mit den Worten vorstellte: »Sonja Wischnewjetzkaja, Oberst der Baltischen Flotte«. Dieser klugen Frau, ursprünglich Bühnenbildnerin, verdankten wir bis dahin noch nie aufgeführte Szenen. So die große Auseinandersetzung zwischen der Kommissarin und dem Anarchisten Alexej, der als Hauptgefahr für die Revolution die drohende Verbürgerlichung durch Rückfall in Eigentumsdenken und Autoritätsanbetung sieht. Durch Sonja Wischnewjetzkaja erfuhren wir auch von Larissa Reissner, dem Urbild der Kommissarin. Larissa Reissner war 1920 auf den Schiffen der Roten Wolga-Flotte als politische Kommissarin eingesetzt. Wischnewski, damals selber roter Matrose, hatte sie in den Kämpfen gegen die drohende Einkreisung durch die Weißen und die ausländischen Interventen kennengelernt. Sie, die Petersburger Intellektuelle aus großbürgerlichem Haus, wurde von den Matrosen nicht nur akzeptiert, sie wurde geradezu verehrt wegen ihres Mutes, ihrer Einfühlsamkeit, ihrer Bescheidenheit und wegen ihrer Konsequenz. Unter härtesten Bedingungen des Bürgerkrieges legte sie Wert darauf, immer als Frau zu erscheinen; selbst bei den Kämpfen soll sie stets eine frische weiße Bluse getragen haben. Zudem war sie eine sehr schöne Frau. Als sie 1926 an Tuberkulose starb, hinterließ sie eine Reihe von Büchern. Das bekannteste ist »Oktober«. Eine Fernseh-Dokumentation von Arte , die kürzlich in Vorbereitung auf den 90. Jahrestag der Oktoberrevolution ausgestrahlt wurde, widmete sich auch der Person von Larissa Reissner. Dargestellt von einer mittelmäßigen Schauspielerin von ungewöhnlicher Häßlichkeit, erlebt der Fernsehzuschauer ein fanatisiertes weibliches Wesen, das in ledernen Männerkleidern mit vorgehaltenem Revolver Matrosen zwingt, die von der fliehenden Zarenfamilie auf der Wolga zurückgelassene Yacht zu entern, um das Schiff nach dem Schmuck der Zarin zu durchwühlen. Als sie den Schmuck endlich findet, hängt sie ihn sich sofort um den Hals und betrachtet sich, nun selbst »rote Zarin«, triumphierend im Spiegel, in den sie zu guter Letzt noch mit einem erbeuteten Diamantring zynisch das Datum ihres Beutezuges einritzt. Zum besseren Verständnis erläutert die Stimme eines Kommentators, daß dies alles auf Befehl Lenins geschieht, der am 7. Oktober 1917 mit einigen Kumpanen in Petersburg putschte, um von hier aus das ganze Land mit Unrecht zu überziehen. Heute die »Optimistische Tragödie« wieder zu zeigen, ist einfach ein Gebot der Wiederherstellung der Wahrheit. Der Film wurde 1971 gedreht. Er geht auf die Inszenierung des Berliner Ensembles zurück, setzt sich aber künstlerisch wie politisch auf völlig neue Weise mit dem Stück auseinander. Zunächst versucht er, Kino und Theater zu einer Synthese zu bringen. Wir hatten im DEFA-Studio für Spielfilme in Babelsberg, heute kaum vorstellbar, für die Dauer der halbjährigen Dreharbeiten ständig zwei Hallen zur Verfügung. Die große Mittelhalle, heute Marlene-Dietrich-Halle war die unendliche Weite, die die Matrosen bei ihrem Marsch von Kronstadt bis zum Schwarzen Meer zurückzulegen hatten; in der etwas kleineren Halle 5 stand, von dem Bühnenbildner und Maler Karl von Appen kühn entworfen, ein konstruktivistisches Gebilde, ein Schiff der Baltischen Flotte andeutend. Es gab der Regie viele Möglichkeiten für Massenszenen von großen choreographischen Bewegungen. Gedreht wurde nur nachts, da wir bei voll ausgeleuchteter Halle so viel Strom verbrauchten wie eine mittlere Stadt – so viel konnten wir tagsüber nicht bekommen. Die Nachtarbeit hatte einen Vorteil: Wir konnten ein Ensemble von Schauspielern zusammenstellen, die am Tage viele Verpflichtungen hatten. Es konnte sich sehen lassen: Renate Richter als Kommissarin, Hilmar Thate als Alexej, Rolf Ludwig als Offizier alter Schule, außerdem Günter Naumann, Bruno Carstens, Norbert Christian, Peter Kalisch, Hermann Hiesgen, Stefan Lisewsk, Hans-Peter Reinecke, Willi Schwabe und andere. Für die Kampfszenen verwendeten wir Ausschnitte aus großen Revolutionsfilmen wie »Tschapajew«, »Arsenal«, »Wir aus Kronstadt«, die wir als Schwarz-Weiß-Sequenzen zwischen die farbigen Spielszenen montierten. Der Komponist Hans Dieter Hosalla erweiterte die Musik der Theateraufführung zu einer eindrucksvoll kommentierenden Filmmusik. Was unsere Absichten betrifft, gingen wir bei der Verfilmung von der veränderten politischen Situation aus. Die 68er Bewegung hatte in Westdeutschland gegen die ständig zunehmende Restauration rebelliert und das Thema » Revolution« wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Auch im Osten kam, besonders unter jungen Leuten, die Frage auf, was denn unter den neuen Bedingungen revolutionäres Verhalten sei. Sicher aus Sorge, das vorwiegend anarchistische Vorgehen der Studenten in Westdeutschland könnte auf den Osten übergreifen, begann man bei uns in der DDR, die negative Seite des Anarchismus zu verabsolutieren. Anarchie, was präzise übersetzt »Herrschaftslosigkeit« heißt, hieß auch in Ost- Zeitungen nur noch Willkür, Zerstörung, Chaos. Dabei hatte gerade in Rußland der Anarchismus erheblichen Anteil an der Revolutionierung der Massen gehabt, man denke nur an die Schriften Kropotkins. Oder an Durrutti und seinen großen Rückhalt beim Volk, als es im Spanischen Bürgerkrieg galt, den Widerstand gegen die Faschisten zu mobilisieren. Das Berliner Ensemble unterstützte jedenfalls die Studentenbewegung auch da, wo es in einzelnen Fragen Differenzen gab. Als Rudi Dutschke uns im April 1967 vorschlug, eine gemeinsame Protestveranstaltung gegen den Putsch der griechischen Obristen zu organisieren, stellten wir ein literarisch-musikalisches Programm zusammen, unsere Schauspieler verschafften sich unter dem Vorwand eines Theaterbesuchs die Möglichkeit des Grenzüberganges, und die Veranstaltung, auf der auch Dutschke sprach, fand schon am nächsten Tag im vollbesetzten Auditorium Maximum der Freien Universität in Westberlin statt. Das Programm mit dem Titel »Pattakos hält die Uhren an«, es ist die erste Zeile eines Gedichts, das Heiner Müller über Nacht verfaßte, hatte eine solche Wirkung, daß die Teilnehmer anschließend zur griechischen Botschaft zogen und zu Brechts »Solidaritätslied« die Fensterscheiben einschmissen. Uns brachte das nach unserer Rückkehr in den Osten harsche Vorwürfe des Anarchismus ein, da unsere Außenpolitik auf strikte »Nichteinmischung« gegenüber Westberlin bestand. Weil wir aber der Meinung waren, daß besonders unter unseren staatlich »geordneten« Verhältnissen ein wenig produktiver Ungehorsam nicht schaden könne und auch der Sozialismus nicht auf die mobilisierende Wirkung des Anarchismus verzichten solle, schlugen wir vor, den Anarchismus in den Medien und vor allem im Theater nicht mit allen Mitteln zu bekämpfen, sondern mit allen Mitteln zu ergänzen. Eine solche »Ergänzung« sollte unser Film sein. Als wir erneut mit der Arbeit an der »Optimistischen Tragödie« begannen, dachten wir auch noch einmal über die Anarchisten, die Gegenspieler der Kommissarin, nach und fanden ihre Kritik, zu viel Autoritätsgläubigkeit und zu viel Gehorsam führten unweigerlich zu einem, wie Lenin es genannt hatte, »Kasernenhof-Kommunismus«, auch da bedenkenswert, wo sie sie im Stück in beleidigender Form vorbringen. Damit wollten wir auch auf die immer wieder besonders von jungen Leuten gestellte Frage zurückkommen, was denn unter den friedlichen Bedingungen geregelter täglicher Arbeit und gesicherter Existenz noch revolutionär sein könne. Denn eines schien uns sicher: Auch in friedlichen Phasen wird die Revolution nicht ohne Revolution auskommen. »Geordnete« Verhältnisse und »Gebote zur Disziplin« verlangen mehr als je zuvor Eigenwilligkeit, Initiative von Einzelnen, Bereitschaft zum Risiko, Mut und – das hofften wir mit unserem Film zu zeigen – auch das »Abenteuer Revolution«. Jedenfalls machte uns in dieser Hinsicht ein Telegramm von Konrad Wolf Hoffnung, das er uns nach der Fernseh-Ausstrahlung des Films schickte: »Nach der ›Optimistischen Tragödie‹ ist die Welt optimistischer geworden«. Das Anti-Eiszeit-Komitee zeigt den Fernsehfilm aus Anlaß des 90. Jahrestages der Oktoberrevolution am 6. November um 19 Uhr in Berlin im Karl-Liebknecht-Haus am Rosa-Luxemburg-Platz.
Erschienen in Ossietzky 20/2007 |
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