Raider in Rußland

Sergej Guk

Der Prügelknabe der russischen Nation, der berüchtigte Minister für Gesundheit und Soziales, Michail Surabow, ist samt zwei weiteren Leidensgefährten endlich rausgeschmissen. Der neue Premier Viktor Subkow will mit der neuen Regierung (die aber im übrigen die alte ist) neue, ehrgeizige Aufgaben bewältigen. Sein Hauptziel ist, die Korruption auszurotten.

Darüber kann man natürlich lachen. Jede frischgebackene Exekutive verkündet dieses offenkundig aussichtslose Vorhaben – so obligatorisch, wie das »Amen« nach dem Gebet. Und alles bleibt beim Alten. Mit Subkow an der Spitze kann sich die Situation jedoch etwas verbessern. Vor seinem Eintritt in die Regierung leitete er den im November 2001 eigens für die Bekämpfung der kriminellen Geldwäscherei gegründeten Föderalen Dienst für Finanzkontrolle. Innerhalb eines Jahres wurde Rußland von der internationalen schwarzen Liste des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gestrichen, obwohl beide keine großen Freunde des Kremls sind. Ohne schöne Redensarten hat es Subkow geschafft, in der Finanzbranche eine greifbare Ordnung herzustellen. Der Mann handelt hart und konsequent – so ist die einheitliche Meinung derer, die mit ihm zusammengearbeitet haben.

Es schimmert also die vorsichtige Hoffnung, daß gegen die ausufernde Korruption etwas in Gang kommt. Allerdings könnte selbst Herakles mit einer solchen Säuberungsaktion überfordert sein. Zum Beispiel gilt derzeit das Problem der kriminellen Enteignung als Pest und Cholera für die Wirtschaft. Der ­Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow fordert, einen speziellen Paragraphen ins Strafgesetzbuch aufzunehmen, weil kriminelle »Todesschwadronen«, wie er sagte, »kolossalen wirtschaftlichen Schaden verursachen«.

In dem jüngst erschienenen Bestseller »Raider« (ein englisches Wort, gemeint sind Überfallteilnehmer) des russischen Staranwalts Pawel Astachow sind die Methoden dieser modernen Räuber anschaulich dargestellt. Als besonders gefährdet durch Versuche gewaltsamer Aneignung gelten Gaststätten, Läden, Betriebe, Autohandel, Tankstellen, Apotheken, Produktions- und Institutsgebäude, Grundstücke, kurzum: alles, was fetten Profit verspricht. Die Opfer müssen dann erleben, daß gegen sie landesweit bei den Gerichten Zivilklagen erhoben werden. Richter aus Städten wie Wladiwostok, Rostow, Moskau, Kasan – auf finanzielles Zubrot der Kriminellen angewiesen – ordnen Arreste, endlose Verhöre und Beschlagnahme sämtlicher Dokumente an. Die Anwälte der ins Visier der Verbrecher geratenen Firmen schaffen es nicht, rechtzeitig zu den zahlreichen Gerichtsterminen quer durch das Land zu reisen. Parallel leiten ebenfalls korrupte Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter auf Bestellung der Mafia Strafverfahren gegen die Opfer ein. Die Geschichte endet gewöhnlich mit der Bankrotterklärung der betroffenen Firma. Geht es um besonders »harte Nüsse«, werden Schlägertrupps eingesetzt, manchmal sogar von der Polizei unterstützt. Aus.

Dieses Übel zu entwurzeln, braucht der neue Premier eine weit ange legte und schonungslose Säuberung in den Ämtern der »Silowiki«, das heißt der einflußreichen Vertreter von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten, sowie des Innen- und Justizministeriums.

Abschließend sei erwähnt: Diese Art der Kriminalität ist nicht die einzige, die Korruption nährt.

Erschienen in Ossietzky 20/2007