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Mindestens neun Euro (Ost) bis 9,80 Euro (West) Stundenlohn sollen nach dem jetzigen Stand der Auseinandersetzung gesetzlich garantiert werden; wer Hilfstätigkeiten verrichtet, erhielte immerhin noch acht Euro (Ost) bis 8,40 Euro (West). Das haben die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft und der von der Deutschen Post AG dominierte »Arbeitgeberverband Postdienste« jüngst in einem Tarifvertrag besiegelt. Der Arbeitsminister will ihn für allgemeinverbindlich erklären. Doch sind solche Tarife zumutbar für Konzerne wie etwa den Springer-Verlag, der Umsatzerlöse von mehr als 2,4 Milliarden Euro erzielt? Die Rendite könnte sinken. Und so sorgen sich Angela Merkel und andere Unionschristen Hand in Hand mit einflußreichen SPD-Mitgliedern um das Gemeinwohl. Dabei geht es nicht um einen Mindestlohn für alle. So weit reichen auch Münteferings Absichten nicht. Aktuell will er lediglich das deutsche Stoppel- und Stückwerk von gesetzlich gesicherten Mindestbezahlungen, das in sechs kleinen Branchen mit Löhnen je nach Region zwischen 6,36 Euro und 12,40 Euro je Stunde gilt, um die Post-Branche erweitern. Und nicht einmal die soll vollständig einbezogen werden. Mit einer »semantischen Präzisierung« ruderte der Vizekanzler zurück: Der gesetzliche Mindestlohn soll allein für Briefträger gelten, nicht aber, wie zuvor im Arbeitsministerium geplant, für alle Postdienstleister. Damit sind Kurierfahrer, Paket- und Zeitungsboten vom Mindestlohn ausgeschlossen. Schlagartig hat das Kabinett so den Kreis der Betroffenen auf rund 200.000 mehr als halbiert. Ein »wichtiges Signal«, jubelt Ralf Brauksiepe, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, »daß der Mindestlohn nur in dem Bereich kommen wird, in dem auch das Monopol der Deutschen Post fällt – nämlich bei den Briefen«. Vor allem den mächtigen Medienkonzernen mit ihren zigtausenden Zeitungszustellern spart dieses schwarz-rote »Signal« Lohnkosten. Da diese Konzerne inzwischen aber fast alle auch im Brief- und Logistikgeschäft aktiv sind, machen sie weiter Druck. Deshalb streitet die Koalition. Das Ziel von Merkel &Co heißt: Nicht der zwischen ver.di und Postarbeitgeberverband ausgehandelte Tarif, sondern ein 20 bis 30 Prozent niedrigerer Billiglohn-Tarif soll allgemeinverbindich werden. 9,80 Euro pro Stunde seien doch ruinös, meint Florian Gerster SPD). Der frühere Sozialminister in Rheinland-Pfalz und danach Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit ist kürzlich mit Aussicht auf einen »üppig dotierten« Vertrag ( FAZ ) zum Präsidenten des »Arbeitgeberverbandes der neuen Brief- und Zustelldienste« aufgestiegen. Gerster ist somit Cheflobbyist der Konkurrenten der Deutschen Post AG. Er ist Wortführer jener Post-Firmen, die durchweg Dumpinglöhne zahlen und ihre Angestellten vielfach prekär beschäftigen. Die Netzagentur, die laut Postgesetz dafür sorgen soll, daß die Arbeitsbedingungen bei den Zustellfirmen das »übliche Niveau nicht erheblich unterschreiten«, hat sie jahrelang gewähren lassen. Aktuell hat der SPD-Abgeordnete Klaus Barthel, Chef des Regulierungsbeirates der Behörde, entdeckt, die Agentur habe die Unternehmen »zu lange geschont«. Sein Parteifreund Gerster, dem schon die Hartz-Gesetze nicht weit genug gingen, sieht das anders, Er hat laut FAZ seinen neuen Posten vor allem auf Betreiben des Springer-Verlages bekommen – wohl deshalb, weil er gut bekannt mit Bodo Hombach sei. Dieser Sozialdemokrat, als Kanzleramtsminister einst »Schröders bester Mann« geheißen, steuert von Essen aus das europaweite WAZ -Medienimperium. Gleichzeitig agiert er als Verwaltungsratchef der Pin Group. Die ist neben TNT, hinter der die holländische Post steht, und neben der Deutschen Post AG einer der drei dominierenden Akteure im Markt, den ansonsten kleinere Verlage beackern. Die Pin AG wurde von mehreren Medienkonzernen (WAZ, Holtzbrinck, Springer, Madsack) aufgebaut. Inzwischen gehört diese »grüne Post« mehrheitlich dem Springer-Verlag. Dessen Mehrheitsaktionärin heißt Friede Springer. Die Multi-Milliardärin ist freundschaftlich mit »Miss Germany« verbunden, zu der Bild die Kanzlerin am Tage ihrer Wahl hochgejubelt hat. Keine Illusionen macht sich Klaus Zumwinkel, Vorstandschef der Post AG, über seine Konkurrenten. Er erhofft sich vom Mindestlohn (»Ich lasse mir die Briefe nicht so einfach wegnehmen«) mehr Chancengleichheit mit der Dumpinglohn-Konkurrenz. Deren Beschäftige sind vielfach auf staatliche Transferzahlungen angewiesen, um über die Runden zu kommen. Zumwinkel (»Sozialkahlschlag ohne gleichen«) rügt dies als Wettbewerbsverzerrung (»fast obszön«), obwohl auch er längst Zehntausende Jobs in Subunternehmen ausgelagert hat, um das höhere Lohnniveau, das im früheren Staatsunternehmen galt, zu drücken. Er kennt seine Gegner: »Wir müssen uns drauf einstellen, daß es eine tendenziöse Berichterstattung geben wird«, sagt er und geht davon aus, daß Springer seine publizistische Macht einsetzen wird, um die eigenen Geschäftsinteressen zu fördern. Andreas Kocsis vom ver.di-Bundesvorstand aber beschwichtigt: »Die Regierung und die SPD-Fraktion halten Kurs in Sachen sozialer Gerechtigkeit.« Schwere Zeiten, nicht nur für »alle, die Briefe tragen«.
Erschienen in Ossietzky 20/2007 |
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