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Wir essen zusammen, wir trinken im Schatten am Feldrand Malzkaffee, essen dazu selbstgebackenes Brot mit Mettwurst. Nach dem Abendessen sitzen wir zusammen und erzählen uns, ehe die Müdigkeit unsere Augen zufallen läßt, vom Krieg und vom Frieden. Nie wieder habe ich so viele Geschichten gehört wie damals nach dem Krieg, als es keine Zeitung gibt, kein Radio und erst recht kein Fernsehen. Am nächsten Tag mähen wir den Roggen, binden Garben, stellen sie zu Hocken zusammen, bis die Sonne untergegangen ist. Todmüde, traumlose Nächte, kein Krieg mehr, keine Nazis, tiefer Frieden. Ich bin achtzehn Jahre alt und schon ein Veteran. Meine Beine und meine Arme sind noch am Körper. Meine Augen sehen noch, mein Kopf kann noch denken, ich bin unverletzt, ich bin gesund. Bin ich das? Wenn ich ganz ruhig auf meinem Bett liege, drückt mich etwas wie eine Verletzung. Kann man das alles abschütteln? Es ist etwas Entsetzliches geschehen, und viele Menschen ringsherum sagen: Nun ist alles wieder gut. Das geht doch gar nicht. Manchmal, wenn ich über die Konzentrationslager spreche, antwortet einer: Man muß doch auch mal vergessen können. Bei der Entlassung aus der Gefangenschaft geben sie uns ein »Merkblatt für zur Landarbeit entlassene deutsche Kriegsgefangene«. Es ist »herausgegeben von der alliierten Militärbehörde«. Darin stehen Anweisungen: Wir müssen das Hakenkreuz von unserer Uniform abtrennen, die geprägten Marineknöpfe mit dem Anker, überhaupt alles Militärische, damit die Kleidung einen »zivilen Charakter« bekommt. Nichts lieber als das, denn Jacken und Hosen kann man nicht kaufen, aus meiner Kinderkleidung bin ich herausgewachsen, und die dicke Marinejacke ist für lange Zeit mein einziges Kleidungsstück. In dem Blatt versprechen sie uns eine wunderbare Zukunft: »Deutschland führt nie wieder Krieg! ... Wie immer sich auch das politische Gesicht der Welt gestalten möge, die vereinten militärischen Kräfte, die Deutschland jetzt besiegt haben, werden jedem zukünftigen deutschen Angriffsversuch geschlossen im Wege stehen. ... Der deutschen Industrie wird es nie wieder erlaubt werden, Waffen für einen deutschen Angriffskrieg zu erzeugen. ... Nur durch friedliche Arbeit kann Deutschland hoffen, sich als Nation wieder aufzurichten.« Genau das ist es, was ich mir wünsche. Wäre es doch so gekommen – was für ein Traumland wäre Deutschland heute. Mitte August kommt Hugo aus dem Krieg zurück, der älteste Sohn von Tante Emma und Onkel Gustav. Ein Nachbar hat ihn auf der Landstraße kommen sehen und ist mit dem Rad schnell zum Fregres-Hof gefahren. Wir sitzen am Eßtisch, es ist mittags, alle laufen auf die Straße, und da kommt er, gebeugt und krank von sechs Jahren Krieg. Sein alter Vater weint. Ein paar Tage vorher ist die Nachricht gekommen, daß sein vermißter Sohn Gustav in Rußland gefallen ist. Wir hören im Radio, was Josef Stalin, Harry Truman und Clement Attlee auf der Potsdamer Konferenz beschlossen haben. Für mich klingt es wie ein Traum: Demokratisierung, Entmilitarisierung, Dekartellisierung. Deutschland wird total abgerüstet. Alle Waffen werden vernichtet. Die gesamte deutsche Rüstungsindustrie wird verboten. Verboten werden auch Hitlers Partei samt der SS, der Gestapo, dem Generalstab. Auch die Kriegervereine sind nicht mehr erlaubt, »um damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und Nazismus vorzubeugen«. Kriegsverbrecher werden verhaftet – dabei fallen mir nicht nur die Oberbefehlshaber ein, sondern auch der Feldwebel Köckert aus Detmold, der uns geschunden hat. Ob sie solche Menschenschinder auch vor Gericht stellen? Wünschen würde ich es. Die Ernte ist eingebracht, ich kann nach Hause fahren. Mit dem Fahrrad, die Bahn fährt noch nicht wieder. Es ist eine friedliche Landschaft mit Ruinen. Manchmal sieht es aus, als seien auf die Wiesen und Felder Bomben gesät worden, so dicht liegen die Trichter ihrer Einschlagstellen. Immer wieder Reste ausgebrannter Flugzeuge. Viele Häuser sind nur noch schwarze Ruinenwände. Ob das kleine Gasthaus noch auf der Höhe der Dammer Berge steht, in dem ich auf meinen Radtouren von Vegesack nach Achmer immer meine Brause getrunken habe? Auch dieses Haus ist ausgebrannt. Ein Bauer erzählt mir, hier stand deutsche Artillerie und schoß auf die vorrückenden Engländer im Tal, und deren Geschütze schossen zurück. Mein Rad ist alt und schwer behängt, mein Gepäck und ein Beutel von Tante Emma für meine Mutter: eine Seite Speck, ein großes Stück Butter, Kartoffeln und Eier, dick in Zeitungen verpackt. Ich muß aufpassen, daß ich nicht in eine Kontrolle gerate, sie würden das alles beschlagnahmen. Deshalb fahre ich auf kleinen Wegen um die Orte herum und brauche für die hundert Kilometer zehn Stunden. Dann komme ich an die Weser, auf dem Höhenzug am anderen Ufer leuchtet Vegesack in der Abendsonne – es scheint unberührt. Ob mein Elternhaus noch steht, oder ob es in den letzten Kriegswochen doch noch zerstört wurde? Die Fähre bringt mich hinüber. Nun sind es nur noch ein paar hundert Meter, meine Straße, meine Heimat, meine Mutter. Sie erzählt vom Kriegsende. Es gibt keine Lebensmittel mehr, dann heißt es, unten am Güterbahnhof wird Speiseöl verteilt. Mit einem Eimer läuft sie hin, einen Kilometer. Da stehen Kesselwagen, oben drauf ein Uniformierter, der schöpft mit einer großen Suppenkelle das Öl in die Gefäße. Eine lange Schlange vor ihr. Als sie schließlich ihren Eimer hochhält, fließt ihr das Öl über die Haare, übers Gesicht und den Mantel. Ölverschmiert und glücklich trägt sie den schweren Eimer nach Hause. Am nächsten Tag zünden Nachbarn im Garten ein kleines Feuer an und verbrennen Hakenkreuzfahnen, Hitlerbilder und »Mein Kampf«. »Werfen Sie Ihre Sachen ruhig dazu!« Sie hat nichts. Am nächsten Morgen hört sie Panzer durch die Hauptstraße fahren, Soldaten sieht sie nicht, geschossen wird auch nicht. Kein einziges Haus ist in diesem Städtchen Vegesack zerstört. Es sieht aus wie die Dekoration für ein Weihnachtsmärchen mitten in einer Ruinenlandschaft. Trotzdem stöhnen die Menschen: nichts zu essen, nichts zu heizen, die Zukunft im Ungewissen. Nur ich bin fröhlich. Irgendwann fällt es mir selbst auf: Wieso bin ich so optimistisch? Gerade ich, der mit heruntergezogenen Mundwinkeln durchs Leben gegangen ist, auf jedem Foto unfroh aussieht, heute könnte ich mich anspucken. Und jetzt stecke ich voll Aktivität und freue mich aufs Leben, das ganz zaghaft aus den Naziruinen wächst. Ich glaube, es ist die Freiheit. Langsam, langsam beginnen die Behörden wieder zu arbeiten. Der Postbote bringt Briefe und Karten. Durch Hitlers Kopf auf der Briefmarke ist ein dicker Balken gestempelt.
Günther Schwarberg hat seine Memoiren geschrieben. Unter dem Titel »Das vergeß ich nie« erscheinen sie in diesen Tagen im Steidl Verlag zum Preis von 19.90 Euro.
Erschienen in Ossietzky 20/2007 |
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