Gegen Schäubles Scharfmacherei

Ulla Jelpke

Die Bundesregierung will heimlich Privatcomputer durchsuchen, und mehr als zwei Drittel aller Befragten halten das für richtig. Es ist also, wie schon dieses eine aktuelle Beispiel zeigt, dringend notwendig, um die Bewahrung der Grundrechte zu kämpfen. Dazu leistet Rolf Gössners neues Buch »Menschenrechte in Zeiten des Terrors« einen bedeutenden Beitrag.

Nach dem 11.9.2001 setzte unter dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ein dramatischer Abbau von Freiheitsrechten ein. Unter dem Vorwand der »Abwehr terroristischer Bedrohungen« erhielten beispielsweise die Geheimdienste so viele Eingriffsbefugnisse wie nie zuvor, ohne daß die – ohnehin kaum wirksame – parlamentarische Kontrolle ausgebaut worden wäre.

Diese Fehlentwicklung der deutschen Innenpolitik setzte sich seit Bildung der großen Koalition 2005 nahtlos fort. Der jetzige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), Grenzverletzungen und Tabubrüche nicht scheuend, schwadroniert Vorbeugehaft für Verdächtige und über gezielte Tötungen, relativiert die Unschuldsvermutung und zieht für Polizeiaufgaben gern auch die Bundeswehr hinzu. Einzelfälle wie kürzlich die Verhaftung von drei Verdächtigen, die Wasserstoffperoxid in größeren Mengen gebunkert hatten, dienen dazu, immer neue Eingriffe in die Privatsphäre zu rechtfertigen. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (16.9.07) beschwor Schäuble sogar einen Terroranschlag mit nuklearen Waffen herauf. Es sei klar, daß ein solcher Anschlag kommen werde, die Frage sei nur noch wann. So nutzt er die Angst vor der Atombombe, um Druck auf das Parlament zu erzeugen, damit es die letzten Barrieren um die Privat- und Intimsphäre einreißt.

Gegen eine solche Politik erhebt Ossietzky -Mitherausgeber Rolf Gössner, Jurist und Publizist, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, immer wieder seine Stimme. In seinem neuen Buch informiert er zunächst umfassend über die gesetzlichen Vorgaben und die modernen Ermittlungsmethoden des Sicherheitsapparats, und er macht die Tendenz zum Überwachungsstaat deutlich. Gössner benennt die Methoden der Angstmacherei, den »permanenten Ausnahmezustand«, den Generalverdacht, unter den weite Teile der Bevölkerung gestellt werden, und er sensibilisiert für die Willkür, die uns auch mit den Strafvorschriften der Paragraphen 129 und 129a Strafgesetzbuch drohen, wenn ohne konkrete Beweisführung schon die angebliche Mitgliedschaft in »kriminellen« oder »terroristischen« Vereinigungen mit jahrelanger Haft bestraft werden kann.

Ausführlich befaßt sich Gössner mit dem Schicksal von Migranten in Zeiten des Terrors und der Stigmatisierung von Anhängern des Islam, als wäre jeder von ihnen ein potentieller Terrorist.

Gössner weist nach, daß Polizei und Justiz selten mit der gebotenen Intensität gegen neonazistische Gewalttäter vorgehen, aber häufig Antifaschisten daran hindern, ihre demokratischen Rechte auszuüben. Zugleich warnt er jedoch vor Forderungen nach einem Sonderrecht gegen Neonazis, weil sich jede Befugnis zu politischer Repression am Ende doch gegen linke Aktivisten richten könne – eben weil der Staat auf dem rechten Auge blind ist.

Schließlich handelt Gössner den aus den USA kommenden Ruf nach einem »Feindstrafrecht« ab. Hierin erkennt er den Kern des »Paradigmenwechsels im Menschen- und Völkerrechtsdiskurs«. Feindstrafrecht erlaubt dem Staat, Beschuldigten die Inanspruchnahme elementarer Menschen- und Bürgerrechte zu verweigern. Dies ist die Praxis in Guantanamo, und darum kreist das Denken eines Wolfgang Schäuble.

Gössner fordert verstärkte Anstrengungen zur Verteidigung der Freiheitsrechte mit dem Ziel, »die Aktionsbedingungen von nationalen und internationalen Protest- und Widerstandsbewegungen zu sichern, die für eine andere, für eine friedlichere Welt und eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung kämpfen: für eine Welt ohne Ausbeutung, Armut und Krieg. Und nur eine solche Welt kann sowohl dem internationalen Terror als auch dem staatlichen Gegenterror den Nährboden entziehen.«

Rolf Gössner: »Menschenrechte in Zeiten des Terrors – Kollateralschäden an der ›Heimatfront‹«, Konkret Literatur Verlag, 288 Seiten, 17 Euro

Erschienen in Ossietzky 19/2007