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Nach dem Scheitern ihrer Bemühungen, auf institutionellem Wege materielle Rechte und Selbstbestimmung für die indigenen Gruppen in Mexiko zu erreichen, hatten sie vor vier Jahren begonnen, Fakten zu schaffen (s. Ossietzky 17/03). Seitdem tagt in jedem »Caracol« ein Rat der »Guten Regierung«, der das Bildungs- und das Gesundheitswesen und die kollektive Arbeit in den 38 autonomen Landkreisen koordiniert, über die Aufteilung von Ressourcen und über Justizfragen entscheidet und zudem als Kommunikationsinstanz unter den Zapatistas wie auch nach außen dient. Die Mitgliedschaft im Rat rotiert, damit kein Berufspolitikertum und keine Hierarchien entstehen. Während des einwöchigen Treffens berichteten verschiedene Komitees über Probleme und Fortschritte. Rednerinnen, allesamt maskiert, erzählten von der Arbeit mit Männern, »die lernen müssen‚ daß Frauen außerhalb des Haushalts partizipieren können und sollen«; über Schulen, in denen »wieder ein Bezug zu unserer Geschichte und unserer Realität« vermittelt wird; über Probleme des kooperativ organisierten Transports bis hin zu agrarökologischen Projekten, insbesondere zur Befreiung der Felder von genverändertem Saatgut. Für die zapatistischen Gemeinden, die, auf ihre Autonomie bedacht, bevormundende Hilfsprogramme der Regierung ablehnen, ist der Zugang zu materiellen Ressourcen wie Strom oder Wasser eine alltägliche Herausforderung. Auf dem Lande ist mit wenigen Ausnahmen nur eine Subsistenzwirtschaft möglich, die Arbeit der verschiedenen Komitees kann daher nicht entlohnt werden. Die Arbeit in den zapatistischen Schulen und Gesundheitszentren wird aber dadurch ermöglicht, daß andere Dorfbewohner beispielsweise gemeinschaftlich das Maisfeld des Lehrers oder Arztes pflügen. Weitere gemeinschaftliche Arbeit (Tierzucht, Gemüseanbau, Handwerksarbeit, Transport, Reparatur, Kooperativläden) erbringt teilweise kleine monetäre Einkünfte, die unter anderem für den Kauf von Baumaterial gebraucht werden. In einigen der Kooperativen, die Kunsthandwerk zum Verkauf herstellen, verwalten die Frauen das Einkommen kollektiv. Darüber hinaus haben internationale Solidaritätsprojekte über die Jahre dazu beigetragen, daß die Zapatistagemeinden inzwischen über Kliniken und sogar ein Krankenhaus mit einer Chirurgie verfügen, die sie selber verwalten. Die »Gute Regierung« der Zapatistas gewinnt an Bedeutung und Einfluß. Auch Nachbargemeinden, die nicht zu den Zapatistas gehören, wenden sich zunehmend an die Räte statt an die staatlichen Instanzen. Die Räte werden als besonders faire Einrichtungen angesehen, wenn Streitigkeiten über Bodennutzung, Diebstahl oder ähnliche Probleme geklärt werden müssen. Eine Besonderheit des sommerlichen Treffens war die Teilnahme von »Via Campesina«, einem Netzwerk von 140 Kleinbauernorganisationen in 56 Ländern. Die Vertreter von »Via Campesina« aus Indonesien, Thailand, Indien, Korea, Brasilien, Kanada und den Vereinigten Staaten waren besonders eingeladen, über ihre sozialen Kämpfe zu berichteten. Große Aufmerksamkeit fand Patiphan Wiriyawana, Mitglied der Versammlung der Armen in Thailand, der als Angehöriger einer dortigen indigenen Minderheit von historischer Diskriminierung, Gewalt und Vertreibung erzählte. Der umkämpfte Zugang zu den ländlichen Ressourcen und dem Urwald als Lebensraum indigener Gemeinden – da begegneten die Zapatistas ihren eigenen Problemen. Auch in Mexiko fanden im August diesen Jahres wieder gewalttätige staatliche Vertreibungen von Zapatista-Gemeinden in der Region Montes Azules statt. Die mexikanische Regierung begründete sie ökologisch: Im Naturreservat des lakandonischen Urwald dürften keine Menschen wohnen bleiben. Die Zapatistas hielten entgegen, der wahre Zweck der Vertreibungen sei die ungestörte Ausbeutung von Mineralien, Hölzern und anderen Schätzen des Urwalds wie auch der Ausbau des Tourismus in der Region. Wie in vielen Regionen Lateinamerikas betonen indigene und ländliche Gruppen zu Recht, daß sie am ehesten die Natur respektieren und schützen, nicht als Kapital, sondern als Voraussetzung ihres Überlebens, also nachhaltig. Die besondere Aufmerksamkeit der Zapatistas für die »Via Campesina« zeigt ihr Interesse, Beziehungen zu diesen Bewegungen und vielleicht sogar gemeinsame Strategien zu entwickeln. Als Teil der 2006 gegründeten »Anderen Kampagne« (deren Name auf eine Bündnispolitik fern von den Kampagnen der etablierten Parteien hindeuten soll) versuchen die Zapatistas, nationale antikapitalistische Bündnisse mit Nachbarschaftsorganisationen, Studierenden, Kleinbauern, Indigenen, Frauen und anderen Gruppen zu schließen. Die Kampagne »von unten« stärkt die Kräfte im Ringen um die Autonomie. Aber der Staat hat sofort massiv reagiert. So marschierten im Mai vorigen Jahres 3.000 Bundespolizisten äußerst brutal in Atenco ein, einem Dorf nahe Mexiko-Stadt, wo eine ländliche Bewegung – erfolgreicher als die gegen die Startbahn West bei Frankfurt am Main – den Bau eines neuen Flughafens verhindert hat. Ergebnis der Polizeiaktion waren zwei Tote, viele Verletzte, systematische Mißhandlungen und Vergewaltigungen seitens der Polizei sowie dutzende von politischen Gefangenen. Eine weitere Herausforderung der »Anderen Kampagne« ist die Bündnisfrage. Denn nicht alle Bewegungen stimmen mit den Zapatisten darin überein, neue Bündnisse nur unabhängig von der Parteipolitik zu bilden. Als die »Andere Kampagne« im Januar 2006 begann, genoß der Kandidat der linksliberalen Partei Mexikos, Andres Manuel Lopez Obrador, der dem ärmsten Teil der Bevölkerung viele Versprechungen machte, massenhafte Unterstützung. Die Zapatistas verweigerten trotz der Empörung vieler bisheriger Sympathisanten (vor allem städtische Intellektuelle) wiederholt eine Unterstützung des beliebten Kandidaten durch die »Andere Kampagne«. Nach ihren Erfahrungen ist in Mexiko auf parteipolitischem Wege keine wirklich emanzipatorische Politik zu machen.
Erschienen in Ossietzky 19/2007 |
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