Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Landleben in der EUDietrich Kittner Die Lebensmittel werden immer teurer, die Ausreden für Preissteigerungen immer billiger. Weil der Schmäh mit den angeblich bombig verdienenden Bauern nicht mehr zieht, sind jetzt Inder und Chinesen schuld, welch letztere bekanntermaßen wegen genetisch bedingten Fehlens des Abbauenzyms Lactase zwar gesundheitlich keine Milch vertragen, nichtsdestoweniger jedoch den Weltmarkt leerkaufen. Dies gilt auch für Milchprodukte wie den im Reich der Mitte seit Jahrtausenden kaum gebräuchlichen, eher als ekelerregend angesehenen Käse. Vielleicht würde umgekehrt in China das Hundefleisch teurer, wenn wir Europäer uns endlich zu dessen Genuß durchringen könnten. Da auch bei uns die Preise für Fleisch inklusive Gammelfleisch kräftig klettern, mag man schlußfolgern, daß die grönländischen Eskimos uns Rinder, Schweine und Puten wegfressen, weil ihnen wegen der Folgen der Erderwärmung die Jagd auf Robben und Eisbären kaum noch möglich ist. Vor über dreißig Jahren habe ich ein damals allgemein als irrwitzig absurd empfundenes Lied geschrieben, in dem ich begründete, warum der Preis für Fleischsalat um 50 Prozent angehoben werden müsse. Verantwortlich dafür sei ein Streik der ägyptischen Baumwollpflücker gewesen. Die Nummer nehme ich heute wieder unverändert ins Programm * Meine Nachbarn sind Kleinbauern. Sie halten 25 Hühner. Das Federvieh hat zusammen mit ebenfalls rund zwei Dutzend Enten eine 800 Quadratmeter große, eingezäunte Streuobstwiese als Auslauf. Pro Vogel also mehr als 16 Quadratmeter plus Schlafplatz im Stall für die Nacht. (Eine Henne und ihr Gockel haben zusammen also so viel Raum, wie die Behörde einem kinderlosen Hartz IV-Ehepaar in München zubilligt.) Die Bäuerin sammelt täglich zweimal Eier ein. Artgerechtere Haltung und frischere Dotter gibt es nicht. Bisher hatten meine Nachbarn die Früchte des Legefleißes ihrer Hennen an den Bäcker in der Bezirksstadt verkauft. Das geht nun leider nicht mehr, denn laut Verordnung dürfen inzwischen ausschließlich mit Frische-Datum und Kenn-Nummer des Produzenten gestempelte Eier in den Handel. Der Stempel aber kostet Geld und vor allem: Er wird erst ab einem Bestand von 300 Stück Geflügel aufwärts zugeteilt. Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, in welcher Legebatterie die Tiere gequält wurden. Der Kleinbauer darf die guten Freilandeier also nicht verkaufen, der Bäcker darf sie nicht verarbeiten, muß sich infolgedessen aus der dazu noch teureren Massenproduktion versorgen, und die EU hat etwas für unsere Gesundheit und für die Kleinlandwirte getan. Nur, was eigentlich? * Rinder hält in unserem 87-Seelen-Dorf schon länger kaum noch jemand. Der Milch- und Fleischertrag deckt die Kosten nicht mehr. In der guten alten Zeit gab es für den Liter Milch noch sieben Schilling, das entspricht ungefähr 50 Cent. Dann kam die Wende also der EU-Beitritt Österreichs , und der Verbraucherpreis stieg, der Erzeugererlös für den Bauern sackte ab. Das ging so: Hatte die notleidende milchverarbeitende Industrie schon bis dahin ihren bäuerlichen Lieferanten pro Liter und Kilometer Entfernung des Dorfes zur Molkerei einen Transportkosten-Obulus in Abzug gebracht, so wurde der Betrieb jetzt aus Gründen der Rationalisierung mit einem anderen zusammengelegt. Der Weg zur Zentralmolkerei war nun zwanzig Kilometer weiter folglich erhöhte sich auch der Transportabzug, zum Nutzen der Firma, zum Schaden der kleinen Milchproduzenten. (Die großen werden natürlich zuvorkommender behandelt.) Wenig später wurde die Abholfrequenz drastisch reduziert. Das Milchauto kam jetzt nicht mehr täglich direkt auf die Höfe, sondern nur noch dreimal die Woche zu einer nicht etwa zentral, sondern am Dorfrand gelegenen Sammelstelle. Wer seine Milch noch verkaufen wollte, mußte sich in Schulden stürzen, um die aufgrund von Hygienebestimmungen nun unabdingbar gewordenen teuren Kühlanlagen anzuschaffen. Hier gaben die ersten Bauern schon auf. Dann kam das Milchauto wieder täglich. Allerdings nicht mehr zur gewohnten Abholstation, sondern in ein sieben Kilometer entferntes Nachbardorf. (Die Transportkosten-Abzüge blieben gleich.) Wie er seine Milchkannen dorthin bringt, bleibt in freier Selbstbestimmung jedem selbst überlassen. Mit dem Traktor: Diesel für jährlich 5000 Kilometer. Oder mit dem Handkarren zu Fuß: 876 Arbeitsstunden im Jahr zusätzlich. Zwei von einst sieben Familien im Dorf haben jetzt noch Kühe im Stall. Die anderen begnügen sich mit dem erhebenden Anblick ihrer nutzlos gewordenen, aber modern ausgestatteten Kühlräume beziehungsweise mit der Tilgung der für deren Ausbau aufgenommenen Hypotheken. Ach ja, weil nun nur noch wenige Rinder gefüttert werden müssen und infolgedessen kaum noch jemand Heu braucht, wird auch das Mähen zum unbezahlten Freizeitvergnügen. Einer unserer Nachbarn, ein siebzigjähriger Kleinbauer, hat die endgültige Konsequenz aus den Zuständen gezogen. Mit der einleuchtenden Begründung »Ich kann doch nicht meine knappe Rente als Eintrittsgeld in den eigenen Stall bezahlen« hatte er schweren Herzens die Viecher abgeschafft. Fortan saß er jedesmal, wenn wir ihn besuchten, vor der Tür und schaute bekümmert auf den jetzt leeren Stall, in dem er vom Kindesalter an täglich wenigstens zweimal seine Rinder versorgt hatte. Schließlich hat er sich aufgehängt. * Einer im Dorf schien es gepackt zu haben. Zwei Jahre ist es her, da standen wir im Frühjahr unvermutet und verblüfft vor einem riesigen Schlag, den der Bauer J. mit einer uns allen bis dahin vom Ansehen unbekannten Pflanze bebaut hatte. Es war Hanf. Die EU subventioniert den Anbau des natürlich toxisch entschärften Produkts. Es wurde Frühsommer; der Hanf wuchs und wuchs. Im Spätsommer stand er mannshoch, färbte sich im Frühherbst bräunlich, wurde dann schwarz und dürr. Sonst tat sich nichts auf dem Acker. Anfang Dezember schnitt der kluge Landwirt endlich die Stauden und warf sie auf einen riesigen Haufen. Da lag das Zeug bis zum Frühjahr. Es hatte sich weit und breit kein Abnehmer dafür gefunden ... Größere offene Feuer darf man hierzulande aus Klimaschutzgründen nur einmal im Jahr nämlich zu Ostern entfachen. Unser hoffnungsvoller Hanfbauer wußte dies natürlich. So hatten wir denn zum Fest als folkloristischen EU-Beitrag das wohl größte Osterfeuer Europas. Die Flammen schlugen zehn Meter hoch, und der subventionierte Hanf brannte vier Tage. Sicher hat das dazu beigetragen, unsere Erde etwas gemütlicher, nämlich wärmer zu machen. Allerdings waren wir auch nicht gerade bauern-schlau. Hätten wir die Entwicklung des hiesigen Hanfanbaus frühzeitig vorausgesehen, wäre es uns sicher gelungen, mit etwas überregionaler, was sag ich: weltweiter Werbung unseren dörflichen Wirtschaftsstandort durch Ankündigung eines EU-gesponserten Super-Woodstock-Festivals enorm zu stärken. Tausende Freaks hätten etwas darum gegeben, mal schnuppern zu dürfen. Die Masse bringt's wahrscheinlich doch. * Überall im Land stehen derzeit meterhohe Plakatwände mit dem Porträt des Öbersthirten Benedikt Ratzinger XVI. Darauf abwechselnd die Slogans: »Sein Segen per SMS« und »Der Papst via Handy.« Wer will, kann die dazu angegebene Telefonnummer anrufen und erhält dann täglich einen anderen Heilsspruch garantiert päpstlicher Genese. Ob das etwas nützen wird? Der Vatikan ist schließlich auch EU-Mitgliedsstaat.
Erschienen in Ossietzky 19/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |