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Das verdankt er sicher auch seinem Gespür für Gegenwartsthemen. Schimmelpfennigs Figuren stecken entweder in Beziehungskonflikten oder gehören zum »Prekariat«, sind meist Gescheiterte. Aber auch wenn er Hartz-IV-Geschädigte auf die Bühne stellt, fällt es schwer, ihn einen sozialkritischen Autor zu nennen. Davor stehen ihm seine Konstruktionen und oft phantastischen Einfälle im Weg. Im Berliner Deutschen Theater war er vor zwei Jahren mit »Auf der Greifswalder Straße« erfolgreich: Alltagsbilder mit einfachen Leuten aus einem Hauptstadtbezirk mit 25 Prozent Arbeitslosen. »Ambrosia« in den Kammerspielen des Deutschen Theaters versammelte acht Zecher zwischen 30 und 60 Jahren an einem Tisch. Regie führte jeweils (wie schon bei vier anderen und zwei noch für diese Spielzeit vorgesehenen weiteren Schimmelpfennig-Uraufführungen in Hamburg und Zürich) Jürgen Gosch, der einmal seine »unentwegte Verzweiflung vor dem Theater« bekannt hat, aber doch immer wieder für bemerkenswerte Aufführungen sorgt. Das gilt mit Einschränkungen auch für die von ihm inszenierte jüngste Premiere im Deutschen Theater, »Das Reich der Tiere«. Schimmelpfennig annonciert das Stück als Teil einer »Trilogie der Tiere«. Bei deren in Bochum uraufgeführtem ersten Teil, »Besuch der Väter«, war freilich kein Zusammenhang erkennbar, während im bereits vom Burgtheater Wien aus der Taufe gehobenen letzten Teil, »Ende und Anfang«, doch drei Protagonisten aus »Das Reich der Tiere« in einem Tierversuchslabor wieder auftauchen. Im Deutschen Theater mimen sie Löwe, Zebra und Ginsterkatze gemeinsam mit den Darstellern von Marabu und Antilope in einer von ihnen nacherzählten, gestisch und akustisch mit Tierlauten komödiantisch lustvoll verkörperten Tierfabel, die so auch fast als Märchentheater für Kinder vorstellbar wäre. Die Krone, um die sich im Reich der Tiere Löwe (Ernst Stötzner) und Zebra (Falk Rockstroh) streiten, gebührt in der Inszenierung dem Bühnen- und Kostümbildner Johannes Schütz und dem Maskenbildner Andreas Müller. In einem weiten hellen Raum treten die Akteure aus der ersten Parkettreihe auf, in die sie sich auch immer wieder zurückziehen, und verwandeln sich anfangs nackt in ihre Rollen: Das Zebra bepinselt sich schwarz mit weißen Streifen, die Ginsterkatze (Kathrin Wehlisch) wälzt wich in gelber Farbe, der Marabu (Wolfgang Michael), der später mit grüner Farbe auch mal als Krokodil auftritt, reibt sich mit Klebstoff ein und appliziert darauf weiße Federn, die Antilope (Dörte Lyssewski) setzt sich einen Tierkopf auf, und der Löwe wälzt sich im Sand und wirft sich eine rötliche Mähne über. Das erste Wort fällt nach zehn Minuten: »Das Spiegelei«. Woraus sich zwischen Peter, dem Löwen, und seinem Intimfeind Frankie, dem Zebra, ein einsilbiger Dialog entwickelt, in dem es auch um Toastbrot, Ketchup-Flasche und Pfefferstreuer geht. Ein Rätsel, das sich erst am Ende von drei Stunden löst. Bis dahin hat man von den dazu immer wieder aus ihren Rollen heraustretenden Akteuren auch erfahren, daß sie sich schon seit sechs Jahren als Tiere auf der Bühne produzieren, aber nun nach der letzten Vorstellung nicht wissen, wie es weitergeht. Schimmelpfennig möchte nämlich auf einer zweiten Ebene das Los vieler Schauspieler thematisieren, die heute um ihre Existenz kämpfen müssen. Anders als ihre glücklicheren im Rampenlicht stehenden und durch Fernsehpräsenz populäreren Kollegen sind immer mehr auch wegen Stellenabbaus in den Theatern auf Engagements in Freien Gruppen und Nebenjobs angewiesen. Die Künstlersozialkasse beziffert den durchschnittlichen Monatsverdienst freischaffender darstellender Künstler mit 870 Euro. Im Stück treten jedoch die Existenzängste der Darsteller weitgehend in den Hintergrund, der komödiantische Spaß ihrer tierischen Präsenz herrscht vor. Nur im deutlich abfallenden zweiten Teil des Abends, also nach der Pause, geht es um die Möglichkeit von Auftritten in idiotischen kurzen Fernsehwerbespots. Das Schlußbild zeigt sie nach Entfernung ihrer tierischen Bemalung unter der Dusche lächerlich neu engagiert in unförmiger Maskierung als Toastbrot, Spiegelei, Pfeffermühle und Ketchup-Flasche. Ende mit viel Beifall eines immerhin unterhaltsamen Theaterabends.
Erschienen in Ossietzky 18/2007 |
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