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Die Freiluftausstellung des »Museums der Armut« in Moordorf zeigt an rekonstruierten Beispielen, wie die Bauern dieses Fleckens zum Teil noch bis in die 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts hausen mußten. Moordorf – ein exemplarischer Ort – entstand, als Friedrich II., König von Preußen, 1765 die Kolonisierung der Moorlandschaft verfügt hatte. Die »Wüsteney« sollte besiedelt und kultiviert werden. Einige entlassene Soldaten des Königs und vor allem bei der Erbteilung leer ausgegangene Söhne aus den umliegenden »Sanddörfern« und ihre Familien begannen mit der Arbeit. Da nichts weiter für sie getan, zum Beispiel 100 Jahre lang kein Entwässerungskanal gebaut wurde, damit sie Torf hätten stechen können, mußten sie mühsam vom Buchweizen-Anbau auf der abgeflammten obersten Moorschicht leben. Das Moordorfer Museum, durch private Initiative entstanden, von einem Verein getragen, hatte in den 22 Jahren seines Bestehens schon über eine Million Besucher. Zu sehen sind die Bitt- und Bettelbriefe, die von den Bewohnern untertänigst an den König gerichtet wurden. Einer, in dem ein Bauer flehentlich darum bittet, eine Kuh finanziert zu bekommen, damit seine Frau und er überleben könnten, ist von einem Beamten auf dem Rand mit der Bemerkung quittiert worden: Abzulehnen, um keinen Präzendenzfall zu schaffen. Armut und Elend vererbten sich von Generation zu Generation. Viele Bewohner Moordorfs waren auf die Armenhilfe der umliegenden reicheren Gemeinden angewiesen. Manche zogen aus ihrer Lage den Schluß, daß sie sich nehmen sollten, was sie brauchten, ohne zu fragen oder vergeblich dafür zu kämpfen. Sie gingen dazu über, Vieh zu stehlen und auch sonst alles zu rauben, was nicht niet- und nagelfest war. Kleinkriminalität war unter den Bewohnern Moordorfs überproportional verbreitet. Das verstärkte die ohnehin schon vorhandenen Vorurteile über die Moordorfer: Angeblich stammten sie von Zigeunern und entlassenen Sträflingen ab, die hier angesiedelt worden seien – das sehe man doch schon an ihren dunklen Haaren. Wie viele von ihnen tatsächlich nicht »blond wie die Friesen« waren, tut dabei wie immer nichts zur Sache. Es genügen einige Nichtblonde, das Bild wahr zu machen. Diese Vorurteile überdauerten die Zeiten, desgleichen die Reserven, mit denen die Moordorfer auf eine als feindselig erlebte Umwelt reagierten. Für die Frau aus Münster, kirchlich engagiert, wohl CDU-Wählerin, ist das, was sie in der Ausstellung gesehen hat, ferne Vergangenheit. Aber hat sich seit den Zeiten der Lehmhütten wirklich so viel geändert, wenn heutige Arme, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger als faul diskriminiert und ihnen, wie unter Rot-Grün sogar in einer amtlichen Broschüre aus dem Hause des Ministers Clement (SPD), eine Abzocker-Mentalität unterstellt wird, weil sie öffentliche Leistungen nutzen möchten? Auch die Verknüpfung mit dem »Fremden« ist wie eh und je beliebt. In der erwähnten Broschüre hatten die »Sozialschmarotzer« mindestens zur Hälfte türkische Namen. Viele Bundesbürger glauben, daß Arbeitslosigkeit und Kriminalität in erster Linie durch die »Ausländer« ins Land gekommene Probleme seien. Das stereotype Bild von den »Zigeunern« schließlich (gerne als »Zieh-Gauner« übersetzt) ist so negativ wie früher. Die Mehrheit der Moordorfer war ursprünglich gegen die Museumsidee, man wollte nicht an die Vergangenheit erinnert werden, für die eine Redensart steht, die ihnen auch heute noch geläufig ist: »Dem Ersten der Tod, dem Zweiten die Not, dem Dritten das Brot!« Auf die Frage, warum man den provokanten Namen »Museum der Armut« gewählt habe, sagt die Frau an der Kasse, durch irgendetwas müsse man sich ja auszeichnen, und wenn es eben die Armut sei. Heute sieht der Ort wenig anders aus als andere der Gegend: schmucke Einfamilienhäuser aus rotem Backstein, gepflegte Vorgärten. Viele arbeiten bei VW Emden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Moordorf war einstmals eine Hochburg der KPD. Was das nach 1933 bedeutete, kann man sich leicht vorstellen. Hier kam alles zusammen, was die NS-Propaganda für ihre Zwecke ausnutzen konnte, um soziale Fragen als solche der Biologie oder als Ergebnis linker Verhetzung erscheinen zu lassen. Aus einem Artikel in der Nationalsozialistischen Landpost , 1940: »Selbstverständlich war vor dem Weltkrieg (gemeint ist: vor 1914; R.D. ) die größte Gruppe der Einwohner Anhänger der Sozialdemokratie, nach dem Weltkriege bis zur Machtergreifung ›knallrote Kommune‹, so daß man noch nach der Machtergreifung eine Anzahl Kommunisten einsperren, ja noch 1937 zehn unheilbar Arbeitsscheue festnehmen musste, weil sie den gesetzlichen Anordnungen offen Widerstand leisteten … Die Kriminalität ist stark verbreitet und beginnt früh. Die asoziale Veranlagung scheint weitgehend angeboren zu sein, da sie sich auch bei den Eltern und Geschwistern findet.« Die NS-These von der »erblichen Asozialität und Kriminalität«, die auch heute noch in Neonazi-Kreisen und darüber hinaus vertreten wird, erlaubte es nicht nur, gesellschaftliche Probleme wie Armut, Desintegration und von der Norm abweichendes Verhalten den Einzelnen und ihren Familien aufs Konto zu schreiben, sondern auch, »biologische Lösungen« für sie zu propagieren. Eine pseudowissenschaftliche Untersuchung von 1940 (Horst Rechenbach: »Moordorf – Ein Beitrag zur Siedlungsgeschichte und zur sozialen Frage«) kommt zu dem Schluß, daß von 521 Familien nur 9,8 Prozent »erbbiologisch« gut, 20,4 Prozent durchschnittlich, 16,1 Prozent bedenklich und 53,7 Prozent abzulehnen seien. Und das selbe Regime, das sich öffentlich über die Erbkriminalität armer Diebe empörte, setzte die größten Raubzüge, die monströsesten Verbrechen ins Werk. Hätten die Nazis den Krieg gewonnen, wäre Moordorf sicherlich einer Umsiedlungsaktion zum Opfer gefallen. Die Geschichte Moordorfs und der Diskriminierung seiner Bewohner hat Andreas Wojak in einem lesenswerten Buch dargestellt: »Moordorf. Dichtungen und Wahrheiten über ein ungewöhnliches Dorf in Ostfriesland«, Edition Temmen, Bremen 1998. Ein großer Teil des Buches besteht aus Protokollen von Gesprächen mit Einwohnerinnen und Einwohnern, aus denen hervorgeht, wie bedeutsam die Bilder sind, die wir uns von den »Tatsachen« machen, auch denen der eigenen Lebensgeschichte. Ein Bild im »Museum der Armut« ist besonders eindrucksvoll. Eine Montage. Dargestellt ist eine der Lehmhütten von früher, maßstäblich ganz klein neben dem (1944 bei einem Luftangriff verbrannten) herrschaftlichen Rathaus in Emden. Hintergrund ist das seinerzeit dort abgelehnte Gesuch einer Frau aus Moordorf, eine Genehmigung zum Betteln zu bekommen. Das Bild zeigt die immense Kluft zwischen Armut und Ohnmacht auf der einen, Reichtum und Macht auf der anderen Seite – nicht nur damals, sondern noch heute. Um nur ein paar Zahlen für die aktuellen weltweiten Verteilungsverhältnisse zu nennen: 60 Prozent der Weltbevölkerung müssen mit sechs Prozent des globalen Einkommens zurechtkommen. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von zwei Dollar am Tag. Über eine Milliarde Menschen haben weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung. »Armut gehört ins Museum« – diese Wunschvorstellung von Muhammad Yunus, dem Begründer der »Mikrokredite« für Arme und Friedensnobelpreisträger 2006, wird noch lange für ihre Realisierung brauchen. »Wir werden Museen der Armut haben, die darüber informieren, welches Land in welchem Jahr frei von Armut wurde«, sagte er in einem Interview. In Moordorf steht schon eines, das darüber informiert, wie Armut früher aussah und wer nichts getan hat, um an den Verhältnissen etwas zu ändern.
Erschienen in Ossietzky 18/2007 |
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