Warum die Ossis Ausländer hassen

Friedrich Wolff

Seit neulich in Mügeln, das natürlich in Sachsen liegt, acht Inder durch die Stadt gejagt und geprügelt wurden, rätsen die Medien: Warum ist das im Osten so? Die Frage stellen, heißt sie beantworten. Natürlich wegen der 40 Jahre SED-Diktatur. Die DDR-Bürger haben keine Demokratie gelernt. Anders ist der Unterschied zum Westen, wo so etwas natürlich nicht passiert, nicht zu erklären. Man glaubt es kaum, daß die Leute, die so schreiben und reden, derartig unwissend sein können. Oder verfolgen sie eine Absicht? Ist es die Absicht, den Sozialismus zu diffamieren? Jetzt, wo laut Umfrage so viele den Sozialismus für eine gute Sache halten?

Gab es Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus nicht auch im Westen? War in München nicht anläßlich der Grundsteinlegung für eine Synagoge ein Attentat geplant? Wurden nicht an anderen Orten der alten Bundesrepublik auch Anschläge auf Ausländer verübt? Gab es nicht Rassenkrawalle auch in London? Alles SED? Wo waren denn die Rechten zuerst in den Landtagen? Der Rechtshistoriker Görtemaker (»Geschichte der Bundesrepublik Deutschland«, München 1999) stellt im Zusammenhang mit einer »wirtschaftlichen Rezession« in der BRD das »Wiederaufleben des Rechtsradikalismus« fest. Bei den bayerischen Landtagswahlen kam die NDP 1969 mit 7,4 Prozent in den Landtag, in mehreren anderen Bundesländern auch.

Auf diesen Zusammenhang zwischen der »wirtschaftlichen Rezession« und dem Rechtsextremismus geht in den vorherrschenden Medien niemand ein. Dabei liegt er gerade in Deutschland auf der Hand. Wie und wann kam denn Hitler an die Macht? Sein »Die Juden sind an allem schuld«, sein »Juden raus!« wird heute durch »Ausländer raus!« imitiert.

Es gibt auch kaum investigative Journalisten, die fragen: Woher kommen die Anführer der jungen Nazis im Osten? Allesamt aus dem Westen. Und woher kommt das Geld, über das die NDP augenscheinlich für ihre Wahlplakate und Immobilienkäufe verfügt? Kommt es nicht aus der alten »Hauptstadt der Bewegung«? Aus dem armen Osten kommt es jedenfalls nicht. Da schrieb auch nicht der berühmteste Grundgesetzkommentator der Bundesrepublik Artikel für die Deutsche National-Zeitung ; das Blatt erscheint seit Jahrzehnten in München.

Nein, die »SED-Diktatur« ist nicht verantwortlich für das Erstarken der Rechten im Osten. Das haben die Neoliberalen zu verantworten. Hauptursachen sind die Arbeitslosigkeit (im Osten doppelt so hoch wie im Westen) und der Abbau des Sozialsystems. Faschismus entstand und entsteht im Gefolge gesellschaftlicher Krisen. Die Krisen machen Menschen mit simplen Parolen verführbar. Faschismus wird dann zum letzten Mittel der Wenigen gegen die Mehrheit. Die Ossis sehen keinen Ausweg und denken, das System ist schuld. Das System, das die Ausländer ins Land holte und die Einheimischen um die Arbeit brachte. Wessis könnten das auch denken, wenn dort die Arbeitslosigkeit auf das Doppelte steigt. Wie schwach muß die Position derjenigen sein, die die offenkundigen Tatsachen leugnen und dem Sozialismus die Schuld an den Übeln des Kapitalismus anlasten wollen?

Der Weise, Rassismus (05. Dec. 2007, 12:20)

Erschienen in Ossietzky 18/2007