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Über ihn wußten wir in der Familie wenig, eigentlich nur, daß er in Berga, einem kleinen Ort irgendwo zwischen Gera und Zwickau, im Berg schuften mußte und dabei umkam. Doch vor etwa zwei Jahren las mein Vater in der International Herald Tribune die Besprechung des Buches »Soldiers and Slaves« von Roger Cohen, einem führenden Journalisten dieser Zeitung, über die in Berga 1945 gefangen gehaltenen US-Soldaten. Per Internet war das Buch schnell bestellt, und tatsächlich war darin auch der Cousin meines Vaters namentlich erwähnt sowie die Umstände seines Todes. 1944 bombardierten die Alliierten mehr und mehr Treibstofflager der Deutschen. Auf Befehl Hitlers wurden Auswege gesucht. Schnell sollten in Deutschland unter dem Decknamen »Schwalbe« acht unterirdische Treibstoff-Produktionszentren entstehen, darunter »Schwalbe V« in Berga. Der Treibstoff war vor allem für deutsche Kampfflugzeuge bestimmt. Spätestens bis 1. Oktober 1945 sollte »Schwalbe V« fertig sein. Im Spätsommer 1944 quartierten sich deshalb die SS und einige Landvermesser und Geologen in dem kleinen Städtchen ein und inspizierten den Hügel im Westen des Ortes entlang der Weißen Elster. Geplant waren 17 Tunnel in den Berg jeweils im Abstand von etwa 30 Metern , die dann alle auf eine große Halle stoßen sollten. Am 12. November 1944 wurden aus dem etwa 80 Kilometer entfernten KZ Buchenwald ungarische Juden, Russen, Slowaken, Italiener und andere nach Berga verschleppt und südlich des Ortes, an der Bahnstation, in einige mit Stacheldraht umgebene Baracken gepfercht: ein kleines KZ, das auch nach Kriegsende wenig bekannt wurde. Auf ihren Märschen zum Berg wurden die Häftlinge von deutschen Wächtern mit Hunden begleitet. Für die Schwerstarbeit waren die Buchenwald-Gefangenen aber meist schon zu schwach; viele von ihnen starben. Am 16. Dezember 1944 begann an der Westfront die Ardennenschlacht, ein letztes Aufbäumen Nazi-Deutschlands an diesem Kriegsabschnitt. 78.000 US-Soldaten wurden getötet, verwundet oder gefangen genommen. Von den Gefangenen, so erzählt »Soldiers and Slaves«, wurden 350 für die Sklavenarbeit in Berga ausgewählt: zuerst 80 Juden (dummerweise war für eine exakte religiöse Bestattung auf ihren metallenen US-Identifizierungsmarken ein »H« für »Hebrew« eingezeichnet), dann solche, die Juden angeblich ähnelten, schließlich sogenannte Unruhestifter und ein paar mehr, die willkürlich herausgegriffen worden waren. Die meisten waren nicht älter als zwanzig. Am 13. Februar 1945 trafen die noch recht kräftigen amerikanischen Gefangenen in Berga ein. In vier einstöckigen Baracken, in die sie zu etwa 650 anderen Häftlingen gesperrt wurden, waren dann etwa 1000 Gefangene untergebracht. Alle mußten in zwei Schichten täglich acht Stunden am Berg schuften. Mit etwa 50 Kilogramm schweren Preßluftbohrern bohrten sie etwa einen Meter tiefe Löcher in den Schiefer, dann gaben deutsche Vorarbeiter Dynamit hinein, die Gefangenen mußten etwas zurücktreten, und es wurde gesprengt. Durch umherfliegende Partikel wurden immer wieder Häftlinge verletzt. Sofort mußten sie dann ohne Mundschutz weiterarbeiten, obwohl die Luft noch voller Schieferstaub war, der sich blutig in den Lungen festsetzte und die Gefangenen Tag für Tag schwächte. Die abgesprengten Steine wurden per Hand und mit Schippen auf kleine Loren verladen, diese zur nahen Weißen Elster gekarrt und in das Wasser gekippt. All diese Arbeiten mußten ohne jegliche Schutzkleidung vor allem fehlten Handschuhe verrichtet werden. Und so gab es meist an den Händen Verletzungen, die bald gefährlich zu eitern begannen. Da die Arbeiten schnell gehen sollten, wurden die Gefangenen, wenn sie die kleinste Pause einlegten, sofort von den Wachen geschlagen mit Fäusten, Kabeln, Schaufeln, Stöcken oder Gewehrkolben. Für diese schwere Arbeit in großer Kälte bekamen die Häftlinge viel zu wenig zu essen, so daß sie rasch abmagerten. Krankheiten vor allem Lungenentzündung und Diarrhoe breiteten sich aus, bald starben die ersten, meist nachts, ab Mitte März dann immer mehr. »Vernichtung durch Arbeit« hieß das. Auch der Cousin meines Vaters, Jerome C. Cantor (er war Medizinstudent gewesen), wurde, so steht es in »Soldiers and Slaves«, da er etwas bedächtig an die Arbeit ging, wiederholt von den Deutschen mit Kabeln geschlagen. Er versuchte schneller zu arbeiten, und schnitt sich immer häufiger an dem Schiefer, die Verletzungen begannen zu eitern. Obwohl sein Arm immer mehr anschwoll, mußte er weiterarbeiten. Am 29. März 1945 sechs Wochen vor Kriegsende starb er. Gefangene mußten die Toten auf Karren zur Abschreckung quer durch den Ort ziehen, einen steilen Hang emporschieben und in ein Massengrab im Wald heute noch als »Jüdischer Friedhof« bekannt werfen. Drei Deutsche zeichneten sich durch besondere Grausamkeit aus: SS-Kommandeur Leutnant Willy Hack (damals 32), Hauptmann Ludwig Merz (57) und Unteroffizier Erwin Metz (52), ein Krimineller, der in den 1930er Jahren zwei Jahre wegen Betruges gesessen hatte. Die drei hatten persönlich eine Reihe von Toten zu verantworten. Vor allem Metz trieb die GI's, die sich kaum noch aufrecht halten konnten, immer wieder an, schlug jeden Tag Häftlinge, kippte über Kranke Eimer voller kaltem Wasser. Ende März rückte die Front näher, deutlich war schon das Artilleriefeuer zu vernehmen. Am 5. April mußten sich die amerikanischen Häftlinge zum Abmarsch bereithalten. Zwei Dutzend von ihnen waren inzwischen gestorben, noch einmal so viele lagen im Hospital, ein paar waren geflohen. Mit knapp 300 Mann die meisten krank und unterernährt ging es Richtung Süden. 18 Tage dauerte der Todesmarsch. Fast jeden Tag starben Gefangene, an einem Tag, bei Zedtwitz, elf, insgesamt 49. Erst am 23. April, 180 Kilometer südlich von Berga, bei Cham, wurde der Zug von der US-Armee befreit. Die meisten der Geretteten hatten nur noch etwa die Hälfte ihres einstigen Körpergewichts, konnten kaum noch gehen. In insgesamt neun Wochen waren in Berga und auf dem Marsch 73 GI's umgekommen. Nirgendwo sonst waren laut »Soldiers und Slaves« im Zweiten Weltkrieg in Europa so viele US-amerikanische Gefangene gestorben. Erwin Metz und Ludwig Merz wurden inhaftiert, Leutnant Hack konnte zunächst untertauchen. Doch waren die USA angesichts der sich schnell ändernden politischen Lage ihn Europa bald nicht mehr an einer angemessenen Verfolgung interessiert. Die Ex-Gefangenen von Berga bekamen einen Maulkorb verpaßt und durften nicht obwohl es einige gern wollten in den Prozessen aussagen. Metz wurde schließlich zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt (von denen er neun Jahre absaß), Merz fünf Jahre (von denen er drei verbüßte). Ein in »Soldiers and Slaves« angeführter wütender Protestbrief des Onkels meines Vaters, Jacob Cantor, der in Berga seinen einzigen Sohn verloren hatte, wurde von General Lucius D. Clay, US-Oberbefehlshaber in Deutschland, abgetan. Clay antwortete: »Was Merz betrifft, gibt es wenig Beweise, die ihn direkt mit irgendwelchen Greueltaten in Verbindung bringen ... und es ist klar, daß er alles in seinen Kräften Stehende getan hat, um die Lage der Gefangenen zu verbessern.« Allein Leutnant Willy Hack beging einen entscheidenden Fehler. Er besuchte 1947 eine Freundin im ostdeutschen Zwickau, wurde von einem Ex-Häftling von Berga erkannt, verhaftet, zum Tode verurteilt und 1952 gehängt. Diesen Juni fuhr unsere Familie erstmals nach Berga. Ein Experte vom Heimat- und Geschichtsverein empfing uns und fuhr mit uns zu dem Berg mit den Stollen. Wir liefen etwa 500 Meter am Hang entlang, schauten auf die gesprengten Stollen, die einst etwa 50 Meter in den Berg führten, und ließen den Experten erzählen. In den 90er Jahren, so erklärte er uns, wurden die gesprengten, instabilen Tunnel von der Bergsicherung versiegelt. Auch steht das ganze »Bauwerk« als technisches Denkmal unter Denkmalschutz und, da in den Gängen heute eine gefährdete Fledermausart lebt, unter Naturschutz. Längere Zeit hielt sich das Gerücht, das im Zweiten Weltkrieg verschwundene Bernsteinzimmer liege hier begraben, doch wurde nie etwas gefunden. Dann besuchten wir die Stelle, wo einst die Gefangenen-Baracken standen. Auf einem Schild steht hier heute: »Außenlager Schwalbe V des KZ Buchenwald / Den Häftlingen, Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen zum Gedenken« sowie »In memory of slave labour camp workers and prisoners of war«. Zwei Teenager wiesen uns im Ort den Weg zum »Jüdischen Friedhof«. Steil ging es einen Berg hinauf. Ein Anwohner gesellte sich zu uns. Oben an zwei Gedenksteinen erzählte er uns, wie zu DDR-Zeiten hier regelmäßig Schulklassen hinaufwanderten. Seit der Wende sei das vorbei. Vor etwa einem Jahr kam noch ein betagter Franzose, fahndete nach den Überresten seines hier verstorbenen Vaters und nahm diese dann nach Frankreich mit. Zu dem Denkmal kommt nur noch selten jemand.
Erschienen in Ossietzky 18/2007 |
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