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Eigentlich wäre es Sache der Bundeskanzlerin, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Doch Angela Merkel läßt sich lieber in der internationalen Presse als »mächtigste Frau der Welt« feiern. Im Inland läßt sie ihren Innenminister unbehelligt gewähren, wenn er an den Grundfesten des Rechtsstaats rüttelt. Unbeirrt verfolgt Schäuble sein Lieblingsprojekt, die heimliche Online-Durchsuchung von Privatcomputern. Ihn kümmert nicht, daß das entsprechende Landesgesetz, das CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen durchgesetzt haben, nach Meinung aller Experten demnächst am Bundesverfassungsgericht scheitern wird. Jedenfalls haben die Karlsruher Richter für die mündliche Verhandlung am 10. Oktober den Prozeßbeteiligten, darunter dem Klägeranwalt Fredrik Roggan, Bundesvorstandsmitglied der Humanistischen Union, und dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum (FDP), einen umfassenden Fragenkatalog übermittelt, aus dem sich unschwer ablesen läßt, daß das Gericht das nordrhein-westfälische Gesetz für heimliche Online-Durchsuchungen keinesfalls passieren lassen wird. Doch Schäuble beharrt darauf, nicht auf das für Anfang 2008 anstehende Karlsruher Urteil zu warten, sondern schon jetzt dem Bundeskriminalamt (BKA) diese Befugnis zu geben. Dem BKA-Gesetz sollen dann analoge Vollmachten für das Bundesamt für Verfassungsschutz und andere Sicherheitsbehörden folgen, deren in der Vergangenheit schon praktizierte Schnüffelpraxis dadurch legalisiert würde. Da sich aber in der Bevölkerung doch erheblicher Widerstand gegen Schäubles Pläne regt – schließlich arbeitet gerade in der jüngeren Generation fast jeder mit PC und Laptop, so daß sich auch fast jeder als potentiell Betroffener empfindet –, greifen der Innenminister und seine Vasallen in der Debatte zu Scheinargumenten, mit denen sie die Lufthoheit über den Stammtischen beanspruchen. So hat BKA-Präsident Jörg Ziercke im stern vom 30. August das verharmlosende Argument benutzt, die sogenannten Bundestrojaner, mit denen sich das Amt in PCs einschleichen könnte, würden nur selten eingesetzt werden. »Es geht schlicht und einfach um fünf bis maximal zehn solcher Maßnahmen im Jahr«, sagte Schäubles wichtigster Mitstreiter für Online-Durchsuchungen. Das soll wohl heißen, ein Grundrechtseingriff, der nur ab und zu vorgenommen wird, sei nicht so schlimm – ein eigentümliches Verfassungsverständnis!. Wieviele Anordnungen pro Jahr dürften es denn sein, bis ein Verfassungsverstoß anzunehmen wäre? Für den einzelnen Betroffenen, dessen Privatsphäre durch die amtlichen Spione ausgeforscht wird, spielt es keine Rolle, ob er innerhalb eines Jahres der einzige ist, bei dem der Privatcomputer vom BKA oder Verfassungsschutz ausgelesen wird, oder ob er fünf, zehn oder zwanzig Leidensgenossen hat. Verfassungsbruch bleibt Verfassungsbruch. Deshalb kam die frühere CDU/CSU-FDP-Koalition, als sie gemeinsam mit der SPD 1998 mit eben diesem Argument der geringen Zahl von Eingriffen den Großen Lauschangriff (Verwanzung von Privatwohnungen) einführte, beim Bundesverfassungsgericht nicht durch. Der Große Lauschangriff wurde von Karlsruhe gekippt. Leider legte die rot-grüne Bundesregierung ihn neu auf. Das ändert aber nichts daran – Schäuble und Ziercke wissen das genau –, daß die Behauptung, man werde die Online-Durchsuchungen nur selten anwenden, verfassungsrechtlich ohne Belang ist. Sie wollen damit in Wahrheit den Menschen suggerieren: Regt euch nicht auf, euch trifft es ja gar nicht! Wen es letztlich trifft, würde erst die Praxis zeigen. Wenn man dem Repressionsapparat einmal eine neue Befugnis zugesteht, darf man sicher sein, daß ständig Ausweitungen folgen werden. Die Telefonüberwachung nach § 100 a Strafprozeßordnung galt, als sie im Jahre 1969 eingeführt wurde, für vier schwere Delikte. Heute ist sie für eine lange Liste von über neunzig Straftaten zugelassen. Die BRD hält daher seit Jahren den zweifelhaften Titel des »Weltmeisters im Telefonabhören«. Laut amtlicher Statistik der Bundesnetzagentur erließen die Gerichte im Jahre 2006 im Rahmen von Ermittlungsverfahren insgesamt 42.761 »Anordnungen zur Überwachung der Telekommunikation«. Schäuble selbst trägt kräftig dazu bei, daß ihm niemand das Argument von der kleinen Zahl glaubt, denn der Bundesinnenminister war der Erste, der von einem früheren Versprechen abgerückt ist: Bei Einführung der Lastwagen-Maut hatte der Bundestag mit den Stimmen der CDU beschlossen, daß die erhobenen Daten ausschließlich für die Abrechnung mit Toll-Collect verwendet werden dürften. Nach einem Mord auf einem Autobahnparkplatz war Schäuble sofort mit der Forderung zur Stelle, die gesetzliche Beschränkung aufzuheben und künftig die Mautdaten für polizeiliche Zwecke zu verwenden. Ebenso hat die Mehrheit des Bundestags binnen weniger Monate ihre Haltung geändert und es zugelassen, daß die Telekommunikationsdaten von Millionen unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger für die Polizei bereitgehalten werden müssen, nachdem der Bundestag in der Vergangenheit genau das einstimmig abgelehnt hatte. Zutreffend schreibt Michael Ronellenfitsch, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Tübingen, in der Fachzeitschrift Datenschutz und Datensicherheit (8/07): »Sind Zugriffsmöglichkeiten erst einmal geschaffen, verselbständigen sie sich leicht gegenüber ihrem ursprünglichen Zweck.« Dieser auch bei Konservativen angesehene Staatsrechtler ist seit vier Jahren hessischer Datenschutzbeauftragter, vom hessischen Landtag auf Vorschlag der Regierung des Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) einstimmig gewählt. Wenigstens von dieser Seite her sollten Schäuble und Ziercke Rat annehmen, wenn sie – wie Ziercke im stern – beschwichtigend behaupten, bei den Online-Durchsuchungen gehe es »ausschließlich um den Bereich des internationalen Terrorismus«. Ronellenfitsch hält dagegen: »Der Begriff des Terrorismus ist so unbestimmt, daß einem schnell das Etikett des Terroristen angehängt ist.« Die Instrumentarien würden sich auch gegen andere »Gegner« einsetzen lassen. »Im elektronischen Spitzelstaat«, warnt der Datenschutzexperte, »schlägt die Terrorismusabwehr in Staatsterror um.«
Erschienen in Ossietzky 18/2007 |
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