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Daß nicht alles schläft »... – grade in den Kämpfen dieser Epoche, wo die Parteien so schön satt und kugelrund dasitzen, ist ein Stamm von Nomaden notwendig, von Unseßhaften und Beweglichen – Eilboten der Idee. Sie sind friedlos und nirgends gern gesehen, sie streifen suchend durch die Nacht. Der Schein ihrer Feuer zeigt an, daß nicht alles schläft.« Carl von Ossietzky in Die Weltbühne vom 19.6.1928
Der BDI als ErzieherDieser Tage war das Bundeskabinett zu einer politischen Klausur in Schloß Meseberg verabredet, einem aufwendig restaurierten Anwesen preußischer Herkunft, das in DDR-Zeiten profan genutzt wurde: als Kindergarten. Nun dient es höheren Zwecken. Aber auch Regierungsmitglieder, so wird Jürgen Thumann gedacht haben, brauchen Anleitung; und so teilte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie vor der Klausur öffentlich mit, was das Kabinett in den ihm noch verbleibenden zwei Jahren zu tun habe: Unternehmenssteuern nochmals senken, Sozialabgaben kürzen, Finanzinvestoren nicht weiter belästigen. Den Regierungen Schröder und Merkel bescheinigte er, sich schon ganz ordentlich bemüht zu haben, aber nun seien »mutige, schnellere und größere Schritte« zu tun, um die Bundesrepublik fit für den Weltmarkt zu machen. Die Erzieher der deutschen Politik sehen, daß ihre Zöglinge sich als lerneifrig bewährt haben; jetzt sind die nächsten Übungen dran. Arno Klönne
Der AbstandsministerDie Lebenshaltungskosten steigen, ebenso die Unmutsgefühle im Wahlvolk über die regierende Sozialpolitik. Da ist es nicht verwunderlich, daß etliche SPD- und Unionspolitiker verlangen, der Regelsatz für Hartz IV müsse angehoben werden. Anders der zur SPD-Spitzenmannschaft gehörende Bundesfinanzminister Peer Steinbrück. Der hält solche Forderungen für »populistisch« und meint, die Arbeitslosen müßten eben zu spüren bekommen, daß sie schlechter dran sind als diejenigen, »die morgens um sieben aufstehen, acht Stunden arbeiten und damit ein Einkommen haben, das bei Erhöhungen von Hartz IV unter dem liegen kann, was an staatlichen Transferleistungen bereitgestellt wird«. Nach diesem »Abstandsprinzip« ist klar: Wenn immer mehr Beschäftigte nur noch Hungerlöhne bekommen, dann müssen die Arbeitslosen, des Abstands wegen, verhungern. Unter Aufsicht des Finanzministers. Marja Winken
Das Karma des KapitalsWieder mal, im verregneten Sommer, die Financial Times Deutschland gelesen. Sie lag in der Hotellobby aus, zum Mitnehmen. Wahrscheinlich hat sie's nötig. Nach einer Umfrage, die sie vor einiger Zeit gemacht hat, wissen nämlich neun von zehn Deutschen, daß die Kluft zwischen Armut und Reichtum hierzulande immer größer wird, und sechs von zehn wünschen deshalb eine stärkere Besteuerung der Spitzenverdiener. Das erste kann die FTD nicht leugnen, das zweite möchte sie im Interesse ihrer Auftraggeber verhindern. Also macht sie die Schlagzeile daraus: »Die Reichen werden reicher – gut so.« Warum? Das ist ganz einfach: »Die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen fördert Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit.« Nach dieser Logik sind an der Arbeitslosigkeit zu hohe und zu gleiche Löhne schuld, sprich: die Gewerkschaften. Einkommensminderungen unten seien nötig, damit einfache Arbeiten wieder bezahlbar würden, fordert die auf rosa Papier gedruckte Zeitung. Überproportionale Einkommenszuwächse oben seien hingegen nötig als »Bildungsprämie«. Deutschland habe nämlich im internationalen Vergleich viel zu wenig Studenten. Kein Wort darüber, daß daran vor allem die verkrustete deutsche Drei-Klassen-Schule und die im internationalen Vergleich horrende Ungleichheit der Bildungschancen schuld sind. An beidem möchte die FTD auf keinen Fall rütteln oder rütteln lassen. Deshalb soll es wieder einmal der Markt richten, mit höheren Einkommen für Akademiker, die dann all ihre Kinder auf die Uni schicken können – und so bis in Ewigkeit. Dazu passend der Kommentar auf der nächsten Seite: »Vergeßt Buddha!« Die »Fans von ›Karma-Kapitalismus‹«, die es sogar schon im Management von Unternehmen, vor allem aber in der Psycho-Guru- und Beraterszene gebe, übersähen eines: »Die buddhistische Lehre und westliches Karriere- und Gewinnstreben vertragen sich logisch überhaupt nicht.« Hat nicht der Dalai Lama anläßlich seines Deutschlandbesuchs in einem Spiegel -Interview hinsichtlich einer gerechten Verteilung der Ergebnisse der Arbeit sogar von Gemeinsamkeiten zwischen Buddhismus und Marxismus gesprochen? Papst Benedikt und Bischof Huber würden sich hüten, Gleiches von ihrer Religion zu behaupten. Deshalb rät die FTD allen Westlern, bei ihrer christlichen Tradition zu bleiben. Die sieht Almosen für die Armen vor, und das ist Umverteilung genug. Reiner Diederich
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Axel GundrumDie kleine Galerie von Sperl in der Joachimstraße im Berliner Scheunenviertel zeigt Gemälde von Axel Gundrum. Was sehen wir da? Menschen frisieren, dekorieren, maskieren und be- oder verkleiden sich. Im Spiegel oder auf der Leinwand des Malers wollen sie etwas Besonderes darstellen. Macht ihnen das Freude? Sie scheinen eher Angst zu haben. Sind sehe ernst. Steif. Wie Puppen. Wessen Puppen? Sie selber suchen sich Puppen, um mit ihnen ihre Träume durchzuspielen. Ziehen an Fäden. Fesseln sich oder lassen sich fesseln. Bleiben starr und stumm. Denken sie? Könnten sie sprechen? Im Katalog findet sich ein hilfreicher Satz von Raoul Hausmann, dem Dadaisten: »Wenn wir mit der alten Welt gebrochen haben und die neue noch nicht formen können, tritt die Satire, das Groteske, die Karikatur, der Clown, die Puppe auf; und es ist der tiefste Sinn dieser Ausdrucksformen, durch das Aufzeigen der Marionettenhaftigkeit, der Mechanisierung des Lebens, durch die scheinbare und wirkliche Erstarrung uns ein anderes Leben erraten und fühlen zu lassen.« Bei Gundrum sehen wir oft einen einzelnen Menschen nur mit den Dingen, mit denen er sich behängt oder umstellt hat. Schön? Häßlich? Manchmal erschrickt man beim ersten Hinsehen und auch beim zweiten. Aber der Künstler verachtet keinen, denunziert keinen, sympathisiert mit allen. Aus jedem seiner Menschenbilder spricht – wortlos – Sehnsucht nach verändernder Kraft. Etwa aus dem »Mann in der Ecke«, unter dessen dick wattiertem, feinem, viel zu feinem Mantel man die schmalen, schwachen Schultern ahnt. Oder aus dem Mädchen mit Punkfrisur, Lederjacke und Armbinde »Gegen Nazis«. Diesem vor drei Jahren aus dem Westfälischen in die Nähe von Berlin gezogenen meisterlichen Maler, dessen künstlerische Entwicklung durch die Begegnung mit Bildern von Otto Dix angestoßen wurde, wünsche ich Beachtung. Allen Freunden humanistischer Kunst wünsche ich, daß sie Gundrums »Menschenbilder« kennenlernen. Die Ausstellung wird nur noch bis zum 1. September gezeigt. E.S.
VerlagszauberGroße Verlagsnamen sind Namen großer Verleger: Kiepenheuer, Rowohlt, Suhrkamp. Das ändert nicht viel daran, daß große Verlage von heute Einrichtungen zur Entfremdung sind: Der Autor ist ein Hochglanzfoto, das Buch ein Gewinnmargensegment, der Druck wird als Druck auf die Rentabilität verstanden. Doch es gibt immer noch und immer wieder jene glücklichen Momente, wo sich Kunst und Verlag, Dichter und Verleger, Druckschrift und Buchverkauf ganz nahe sind. Der fünfzigste Geburtstags des Merlin Verlages, der dem achtzigsten seines Gründers Andreas J. Meyer ein paar Monate voraus ist, war ein solcher Moment. In Gifkendorf bei Lüneburg feierten die fünf festen Verlagsmitarbeiter mit einem losen Haufen von Freunden und Dichtern, Grafikern und Lesern, Künstlern und Käufern ein Sommerfest. Und wer wollte, konnte sehen, daß nicht alles ausgelagert sein muß, der Vertrieb zum Beispiel. In der großen Scheune des Verlages liegen edle Bücher und sitzen normale Leute; dort lesen auch unbekannte Autoren vor bekannten Dichtern. Meyer begann 1957 mit Jean Genet – der damalige Skandalautor bescherte dem Verleger Prozesse. Aber der Zauberer Merlin, dessen Namen man sich ins Verlagsschild schrieb, bewirkte Gutes: Als Theaterverlag, als Entdecker von Janosch und John von Düffel, als Verbreiter von de Sades Schriften, als Produzent zahlreicher bibliophiler Schönheiten, als Schirmherr der »Rixdorfer Drucke« und Betreuer von Künstlern wie Horst Janssen und Johannes Grützke kam Merlin immer wieder ins Geschäft. Und wußte sich dennoch vor jenen Fusionen zu bewahren, deren Ziel immer nur des Wortes »Buchgeschäft« zweiter Teil ist. Wenn große Verlage von einst wie »Aufbau« zunehmend ihr Gesicht verlieren, inmitten von Outsourcing und Lizenzeinkauf, so gelingt es Merlin-Meyer, seinem Anliegen treu zu bleiben: Jedes Buch braucht sein Gesicht. Das macht wohl mehr Leute glücklich, als die Glücksritter der Buchaktienmärkte glauben wollen. Denn es ereignet sich beim Geschäft mit der Belletristik gelegentlich jener schöne und traurige Zauber, der weltweit Geschäftsrechner abstürzen läßt. Matthias Biskupek
Weltprovinz und KräutergeschreyIn bibliophobischen Zeiten blüht – den Idealisten sei Dank – stets trutzig das Nebenzweiglein der Bibliophilie. Über diesen Zweig kann der dem Meinungsavantgardismus abholde Leser ab sofort Matthias Biskupeks im quartus-Verlag erschienene Essaysammlung erwerben. Er wird es nicht bereuen. Sie heißt »Lob des Kalauers«, herausgegeben, gestaltet und mit einem Nachwort versehen von Jens-Fietje Dwars ... Fadenheftung ... Englische Broschur mit weinrotem Vorsatz, Lesefaden und handmontiertem Etikett in Blindprägung ... Das klingt wie eine Ingredenzienliste aus dem schön-geistigen Literatur-Bilder-Drogenalmanach »Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten« (Faber&Faber), welchen man sich vor, nach oder parallel zur Essaysammlung zur heilsamen Erbauung lesend infundieren kann. Im ersten, von ernstem Schwarz ummäntelten Buch begibt der Leser sich in Biskupeks Gedankensammlung aus zehn Jahren. Der Autor legt für die heutige Schreiberzunft rare Eigenschaften an den Tag. Zuvörderst: Biskupek eifert nicht, er denkt nach. Zweitens: Er ist ironisch, aber kein permanenter Pointenreißer, und melancholisch, weil diese Eigenschaft zur Ironie gehört. Drittens: Hohn, Wichtigtuerei und Zynismus zugunsten der Leserunterhaltung sind Biskupek fremd. Er »kennt seine Pappenheimer«, das heißt er sieht die Menschen in ihren Ver- und Entwurzelungen und verurteilt sie nicht, sondern urteilt. Die Fragen unserer jüngeren Zeit nach Patriotismus, Provinz, Heimat oder nach dem »Ostwesen« beantwortet Biskupek mit gebotenem Groll, jedoch auch mit der Vorsicht eines Mannes, der über das (Geheim)Wissen eines uneitlen Menschen-, und Sprachkenners verfügt. Die Botschaften seiner »Für- und Widerreden«, gesendet vornehmlich aus der thüring'schen Kleinstadt Rudolstadt, heben sich, weil von wirklicher Essayistenkunst, ab von jeglicher Heimatblättelliteratur, die ihre Identität in Wurst&Kloß-Tümelei findet. Wie dunnemals Goethe, im »Garten vor der Haustür« musengeküßt, in antiken Metren Liebe, Lust und Welt bedichtete, so hat Matthias Biskupek mit einem handfesten Kräutergeschrey die prosaische Antwort der Jetztzeit gegeben. Als passionierte Kräuterhexe und Sammlerin schräger Begebenheiten gerate ich bei diesem Buch ins Schwärmen. Hinter dem Titel »Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten«, der etwas abgestanden klingt, verbergen sich großartige Sprachbotanik, Witz & Wissen, Einblicke in Biskupek'sche Leidenschaften, vergnüglichste Quacksalberei, poetische Heimatkunde und vor allem Geschichten. Diese Geschichten sind Essenzen der Geschichte, Destillate des Großen aus dem Kleinen und von zauberhafter Wirkung. Wieder einmal bewahrheitet sich die von unseren Feuilletons und verbissenen Geschichtsrackern so schwer zu begreifende Tatsache, daß sich die Historie eines Landes nicht nur aus Akten, Fakten und nackten Tatsachen speist, sondern eben aus jenen bildlichen, heiteren, bösen, schrecklichen, spießigen, weltläufigen, unheilvollen, süßen, giftigen, berauschenden, sinnigen, komisch-schrecklichen Menschenerzählungen, die uns Biskupek in seinen Kräuterwanderungen serviert. Am Ende der Lektüre möchte ich mich sofort mit einem Buckelapotheker verabreden, einen Rasselbock kaufen und ein Fläschchen Hingfong-Essenz naschen. Kerstin Hensel
Matthias Biskupek »Lob des Kalauers und andere Für- und Widerreden«, Edition Ornament im quartus-Verlag, 112 Seiten, 14.80 €; »Streifzüge durch den Thüringer Kräutergarten«, Faber&Fa-ber, 144 Seiten, 22.90 €
Knud Romer blinzelt nichtMan liest, staunt, hält nicht für möglich, was da zu lesen ist. Knud Romer, geboren 1960, Vater Däne, Mutter Deutsche, beschreibt »die drei Säulen« seiner Kindheit: Scham, Schuld, Angst, ausgelöst durch Verfolgung, Verachtung, Verhöhnung. So erlebt im Dänemark der sechziger, siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in der Kleinstadt Nykøbing. Für Mitschüler und Nachbarn ist Knud Romer das »deutsche Schwein«; auf ihrer Seite steht auch der Pastor. Geballter Zorn über die bornierte Bevölkerung führte dem Autor die Feder. Er demaskierte die braven Bürger der Stadt. Die Empörung der Dänen lief wie Feuerbrand über das Land. Das Buch blieb monatelang in den Bestsellerlisten. Der Mutter, dem wüst beschimpften »Hitlerliebchen«, setzt Romer im Roman ein Denkmal. Zur Zeit des Faschismus in Deutschland war sie, 19 Jahre jung, Hans Heilmann anverlobt, einem Mitglied der Roten Kapelle. Wie andere Aktive dieser Widerstandsgruppe (deren Name eine Erfindung der Nazis war) wurde Heilmann zum Tode verurteilt, hingerichtet im Namen des deutschen Volkes. »In ihr öffnete sich damals ein Abgrund, der sich nie wieder schloß«, schreibt ihr Sohn. Die Mutter war schön, gebildet, trank Wodka und rauchte Zigarillos. In Nykøbing wird sie, die deutsche Emigrantin, mit dem Hitlergruß verhöhnt. Jeder Gang unter Menschen ist ein Spießrutenlauf. Und auch Sohn Knud wird seiner Herkunft wegen bespuckt, getreten, beschimpft. Die Demütigungen erduldet er der Mutter zuliebe, die Mutter trägt das eiserne Rüstzeug für ihren Sohn – und für den »Sonnengott«, Romers Vater, einen Versicherungsbeamten, der 50 Jahre in seiner Firma ausharrte. Romer über ihn: »Ein Kontrollfreak. Das Leben stand zuverlässig still.« Die deutschen, mütterlichen Verwandten schildert er als kaltherzig und spießig, von denen des Vaters, den dänischen, wird seine Familie gemieden. Liebevoll gedenkt er aber seiner deutschen Großmutter. Eine Waschbenzin-Explosion hat sie im Krieg furchtbar entstellt. In der Glyptothek, der Sammlung antiker Skulpturen, sah er auf den Podesten die Großmutter in ihrer ganzen Schönheit stehen: Figuren, die keine Ohren, keine Nase haben, denen Finger oder Beine fehlen, die Gesichter erstarrt in lippenlosem Lächeln. Sensibel zeichnet Romer die Porträts der Großmutter, der Mutter. Seine Sprache ist zart und bissig, sein Witz treffsicher. Hat man sich den verstörenden Wahrheiten ausgesetzt, versteht man die Maßlosigkeit seines Zornes über diejenigen, die ihm und seinen Lieben das Leben zur Hölle machten und sich für die besseren Menschen hielten. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte, aufgeblättert am Schicksal einer deutsch-dänischen Kleinfamilie. Romer erzählt von gütigen Menschen, monströsen Zeitgenossen, Bosheit, Bitternis und einer Liebe, die alle und alles besiegt. Ein starker Autor. Sein Buch hat die Sprengkraft einer Handgranate (buchstäblich und überraschend der Schluß). Ich bin gespannt, ob dieser Roman ein Solitär bleiben wird in Romers reichem Schaffen (Werbefachmann, Schauspieler, Autor kulturhistorischer Bücher), sozusagen zum Befreiungsschlag wurde, um seine Lebensgeschichte auf Distanz zu rücken und sie gleichzeitig gültig aufzuheben. Ich vermute nach diesem heftigen Debüt, in ihm ist Stoff genug für einige weitere Bücher. Anne Dessau
Knud Romer: »Wer blinzelt, hat Angst vor dem Tod«, Insel Verlag, 169 Seiten, 16,80 €
Vor 68Im derzeit modischen Bild von der westdeutschen Geschichte nach 1945 ist die linke Opposition, jedenfalls die von der SPD nicht eingehegte, aus der Zeit vor der Studentenrevolte kaum zu entdecken. Einblick in außerparlamentarische oppositionelle Gruppierungen und Aktivitäten der Adenauer-Zeit in Frankfurt am Main, der »verhinderten Hauptstadt« der Alt-Bundesrepublik, gibt jetzt eine Sammlung autobiographischer Berichte unter dem Titel »Linke im Kalten Krieg«. Frankfurter Kommunisten, renitente Sozialdemokraten und Linkssozialisten erzählen darin von ihrem Erlebnissen beim Protest gegen Remilitarisierung und atomare Rüstung und in der Auseinandersetzung mit den Politikern der »Front gegen den Osten«, auch von der politischen Kriminalisierung, mit der die entschiedene Linke damals überzogen wurde. Sichtbar wird, daß speziell im Frankfurter Milieu eine Zusammenarbeit zwischen Linken unterschiedlicher Richtungen längere Zeit hindurch praktikabel blieb, trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten. Damals bewährte sich eine Gemeinsamkeit in der Aktion, entgegen den Absichten des KPD-Verbots von 1956, das ja die Linke insgesamt treffen und lähmen sollte. Interessant sind in dem Buch auch die Informationen über den Versuch kurz vor 1968, illegalisierte Kommunisten, Linkssozialisten und oppositionell gebliebene Sozialdemokraten zu einem neuen parteilichen Bündnis zusammenzuführen, ein Experiment, das dann durch die innerlinken Konflikte über die Intervention in der CSSR, die Neugründung DKP und die »revolutionären« Aufwallungen im SDS verdrängt wurde. Wenn das Buch für eine Neuauflage überarbeitet wird, wären etliche Details zu korrigieren, manches wäre zu ergänzen, und vor allem würde es sich empfehlen, die Stadtgrenzen Frankfurts thematisch zu überschreiten und den tatsächlichen damaligen Handlungsraum (andere südhessische Gemeinden, insbesondere Offenbach) einzubeziehen. Ungeachtet solcher Kritik – den Herausgebern ist es mit der Publikation gelungen, linkem Gedächtnisschwund entgegenzuwirken. Arno Klönne
Heinz-Jung-Stiftung (Hg.): »Linke im Kalten Krieg. Autobiographische Berichte aus Frankfurt am Main 1945 bis 1968«, PapyRossa Verlag, 374 Seiten, 18 €
Press-KohlAus der einschlägigen Presse beziehen neugierige Leser die märchenhafte Information: »Schneewittchen hat geheiratet.« Diese Festlichkeit kennen wir aus den Aufzeichnungen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, deren »Kinder- und Hausmärchen« erstmals 1812/15 erschienen. Die Schauspielerin Mariella Ahrens, welche von Bild am Sonntag zum Schneewittchen ernannt wurde, sieht natürlich jünger aus als ihre Grimmschen Kosenamensvetterin. Frau Ahrens hat nicht mit einer bösen Schwiegermutter zu kämpfen, sondern mit dem Wetter. »Tagelang schüttete es wie aus Kübeln. Auf dem Weg in die Kirche mußte die wunderschöne Braut mit einigen Windböen kämpfen. Doch der Schleier hielt. Als Mariella Ahrens gestern an der Seite von Patrick Graf Faber-Castell die Martin-Luther-Kirche in Stein verließ und ihrem Mann einen langen Kuß gab, riß die Wolkendecke auf und die Sonne strahlte auf das schöne Hochzeitspaar. Es war ein Geschenk des Himmels, sagt die Braut ergriffen ... Unter den 250 Gästen: Moderator Kai Pflaume, der begeistert sagte: Es war die absolute Märchenhochzeit. Mariella sah aus wie Schneewittchen.« Zur Schwiegermutter sagte Pflaume nichts. Die BamS weiß aber: »Mama Liselotte Gräfin Faber-Castell weinte vor Rührung Glückstränen.« Nicht so Fürst Alexander. »Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe, der vergangenen Sonntag im Schloß Bückeburg geheiratet hatte, war allein da. Wo war seine Frau? Der Fürst: Von den vielen Tausend Gratulations-Küssen, die sie bekommen hat, liegt sie jetzt mit Grippe im Bett. Zu den vielen Tausend Küssen, vom Fürsten mit einem Faber-Castell-Stift abgehakt, hätte die Fürstin viele Tausend Aspirin-Tabletten nehmen und sicherheitshalber mit Rührungstränen nachspülen sollen. * Bildunterschrift aus der zitierten Zeitung: »Schauspieler Christian Kohlund spielte in der ›Schwarzklinik‹ den Brinkmann-Konkurrenten.« Hoffentlich wird er nicht wegen Schwarzarbeit belangt. * »Katharina Thalbach wurde am 19. Januar 1954 in Berlin geboren«, berichtete Bild am Sonntag . »Nach dem Tod ihrer Eltern wuchs sie bei einer Pflegefamilie auf und absolvierte eine Schaupielausbildung als Stipendiatin bei Helene Weigel.« Zu der Pflegefamilie ist Katharina vermutlich nach dem frühen Tod ihrer Mutter gekommen, der Schauspielerin Sabine Thalbach. Ihr Vater, der berühmte Regisseur Benno Besson, verstarb im Februar 2006, als Katharina zweiundfünfzig Jahre alt war. * In einer Programmvorschau der Berliner Zeitung las man; »Martin Wuttke ist Arturo Ui.« Soll heißen Wuttke spielt Ui, denn wenn er Ui wäre, brauchte er den nicht auch noch zu spielen. »Zu Lebzeiten Brechts kam seine Hitler-Reflektion ›Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui‹ nicht zur Aufführung. Peter Palitzsch brachte die ... Persiflage erst 1958 mit Wolfgang Kieling auf die Bühne, doch Heiner Müllers Inszenierung gilt als die bedeutendere ... mit Martin Wuttke.« Ich erinnere mich an eine verhältnismäßig bedeutende Ui-Inszenierung des Berliner Ensembles, betreut von den bedeutenden Regisseuren Peter Palitzsch und Manfred Wekwerth (1959), über deren Hauptdarsteller Ekkehard Schall mein Kollege Lothar Kusche schrieb: »Ekkehard Schalls Schauspieler-Leistung als Arturo Ui übertrifft alles, was Schall bisher gezeigt hat, und das war gewiß nicht wenig« ( Die Weltbühne 14/1959). Auch für seinen Ui darf die Nachwelt dem Mimen Schall noch Kränze flechten. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 17/2007 |
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