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Wenn er nämlich in einer Sprache schreibe, daß ein Hund einem Hasen in den Wald hinterherrenne, komme in einer anderen Sprache etwas heraus wie: »Der weiße Holztisch drückt seine Pfoten in den Sand und stirbt fast vor Angst.« Da ist es fast unverzeihlich, daß die hier aus dem Französischen übertragenen poetischen Texte nicht auch im Original präsentiert werden. Aber das Bändchen ist populär konzipiert, mit den grellbunten, aber regelmäßigen Streifen auf dem Einband provokant unprofessionell. Das Vorwort von Androula Michael strotzt von biographischen Ungenauigkeiten und bemüht sich wacker um die Entzeitlichung der Texte, obwohl Picasso sie – wie übrigens auch seine Bilder – genau mit Datum, manchmal sogar mit Uhrzeit versah. Sie sollen als aparte Nebenleistung des Malergenies gelten. Dabei erkannte Picasso selbst, als Dichter »gescheitert« zu sein. Doch das Bändchen bietet wertvolle Einblicke in die Dynamik seiner Persönlichkeit, die man sich bislang monolithisch vorstellte. Die Kurztexte, die er nicht selten mehrfach bearbeitete, entsprechen dem surrealistischen Credo, vorgegebene Sinnzusammenhänge der bürgerlichen Weltsicht zu zerstören und statt ihrer die unmittelbare Umgebung oder eigene Eingebungen in assoziativen Sprachketten wiederzugeben. Dabei offenbart sich ein Picasso, den man von seiner Malerei nicht kannte. Wenn ein Zitronenzweig »in der Hitze des Malvenrots ... seinen Stachel im linken Nasenflügel des Mädchens in der Ferne auf ihren Traum« richtet oder »wenn der Vogel aus den Girlanden der im Bauch der bronzenen Spinne schlafenden Stunden es fertig brächte, seine Sterne zu den wütenden Stößen des mit Federn bekleideten Ziegenbocks auf dem Grund des windigen Zahlenmeeres auszubacken«, denkt man eher an die detailversessenen Gemälde von Salvador Dali. In Picassos kleinen Texten entrollt sich ein subjektiv-anthropomorphes Universum, das viel magischer und facettenreicher ist als seine Malerei. In den Texten entladen sich auch mehr Gewaltassoziationen als in den Bildern, zum Beispiel wenn eine »Flötenmelodie auf dem elektrischen Stuhl« evoziert wird. Seltener als in den Bildern ist kontemplativ registriertes Glück zu finden: »dein geöffneter Mund ist bereit – die Sonne zu schlucken«. Picasso schrieb depressiver, aufgewühlter, als er malte. Die Texte geben wohl Zustände des Deliriums oder auch eines schwierigen Erwachens wieder. Dora Maar berichtete, daß sie ihn in seinem Atelier weinend angetroffen habe. »Das Leben ist zu schrecklich«, habe er mehrfach wiederholt. Françoise Gilot erlebte ihn oft morgens so depressiv, daß er erst am späten Vormittag aufstehen konnte. Ein Immobilitätstrauma oder gar ein Stupor scheint einer schriftlichen Äußerung wie der folgenden vorausgegangen zu sein: »solange der Stuhl nicht kommt um mir wie immer vertraulich auf die Schulter zu klopfen und der Küchentisch sich nicht in meine Arme schmiegt und die Wärmflasche mich nicht auf die Lippen küßt und mir heiter und vergnügt tausend Dinge ins Ohr flüstert die ich kaum verstehe und das Handtuch und die Geschirrtücher nicht dazu Beifall klatschen ... wäre mir doch lieber sie vergnügten sich alle nach Lust und Laune und ich trennte die Schnur erst am Ende des Stierkampfs durch ...« Auch andere Texte vermitteln das Bild eines Gefangenen. Obschon er die finanziellen Mittel hatte, die Welt zu durchreisen – wahrscheinlich wäre ihm sogar während der Besatzung die Ausreise nach den USA geglückt –, pendelte er jahrzehntelang nur zwischen seinen Ateliers in Paris und der Cote d'Azur, wo er sich in seinen alten Tagen ganz niederließ. Eindrücke großer Reisen brauchte er nicht. Die heiter-utopische Kraft seiner Malerei, Grafik und Plastik – die oft die von den Surrealisten angestrebte Verallgemeinerung des Lustprinzips versinnbildlichte – basierte auf einer eigenartig begrenzten Erfahrungswelt. Auch konzentrierte sich Picassos Malerei stets auf ein zentrales Thema. Unterthemen oder gleichberechtigte Nebenthemen wie bei Dali wird man hier selten finden. Polythematisch aber sind seine Texte: eine bockig-hoffnungsleere Verneinung der bürgerlichen Welt. Wenn er jedoch seine morgendlichen Depressionen überwunden, mit seinen Freunden gespeist hatte und nachmittags zu arbeiten begann, war er meist energiegeladen gut gelaunt und wandte sich einem seiner Menschheitsthemen zu, die er immer wieder variierte. Welche Anstrengung ihn das Abheben kostete, vermitteln die »Gedichte«: So hielt er am 4. Januar 1936 über seine Gemälde fest, daß sie ihm »durch die Augen an die Brust gedrückt« würden, »vom karambolischen Peitschenhieb / Flügel schlagend / um das Rechteck meiner Begierde«. In der Behauptung der Vorwortschreiberin, Picassos poetische Texte hätten nichts mit dem zeitgenössischen Surrealismus zu tun, ist leicht eine Strategie der Picasso-Erben zu erkennen, den aktuellen Marktwert durch Annäherung an die moderne Happeningkultur zu erhöhen: Tabubrüche bürgerlicher Sprach- und Bildkultur sind populär geblieben, wenn es sich heute auch um Imitate handelt, die das surrealistische Ziel der Demokratisierung des Lustprinzips nur virtualisieren. Imitate, denen nun wiederum Picasso angeglichen wird, sind ganz in den bürgerlichen Ware-Geld-Zyklus integriert, wurden sogar zu seiner Repräsentanz. Picasso selbst führte nicht einmal ein Bankkonto. Bilder verkaufte er nur, wenn er Geld brauchte, das er dann in einem Schuhkarton aufbewahrte. Wenn ehemalige Gattinnen oder Geliebte Geld brauchten, erhielten sie ebenfalls einen solchen Karton. Als Picassos Nachkommen die Erbschaftssteuer beglichen, indem sie die Werke, die er selbst für seine zentralen hielt und nie aus der Hand gegeben hatte, dem französischen Gemeinwesen vermachten, handelten sie sicher in seinem Sinne. Die von Jahr zu Jahr aggressiver betriebene globale Verwertung des Werks riskiert jedoch die Banalisierung seines Glutkerns. Ich kenne viele Menschen, die bereits Picassos überdrüssig sind. Pablo Picasso: »Gedichte”, ausgewählt und mit einem Vorwort von Androula Michaël, aus dem Französischen von Holger Fock., Deutsche Verlagsanstalt, 192 Seiten, 14.95 ; Pablo Picassso: »Poèmes”, Présentation d`Androula Michaël, le cherche midi
Erschienen in Ossietzky 17/2007 |
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