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Nach den Bescheidenheiten, Verwirrnissen, dem Klein-Klein muß es doch noch einmal den großen Gestus geben! Also auf zum Berliner Ensemble, das unter dem frischen Siebziger Peymann immer noch das beste Theater Berlins ist, wenn auch nicht immer das aufregendste – das sei Castorf vorbehalten. Handke, Strindberg, Schiller – mit den Namen läßt sich einiges machen. Dachte ich. Doch der letzte Handke? »Spuren der Verirrten«? Wer verirrte sich da? So viele? Alle? Der Autor? Das Stück widerstrebt dem Theater. Auch ein Meister der Regie wie Peymann kann es mit etwa 20 Spielern, die eher Sprecher sind und gruppiert etwas aufsagen, was man kaum als Botschaft annehmen kann, nicht verlebendigen. Keine Botschaft den armen Seelen im Theatron, doch in den Ohren sanfter Klang einer poetischen Sprache, die sich ins Nichts verirrt. (Ernst Schumacher hat in Ossietzky 4/07 ausführlich darüber berichtet.) Also doch wieder zum Klassiker, der mehr Antworten gibt als die Zeitgenossen? Welch Meisterwerk: Strindbergs »Dödsdansen«, »Totentanz« (»Todestanz« wäre richtiger). Als dramatische Dichtung sowieso, aber auch als Inszenierung von Thomas Langhoff, mit den ehemals Großen des Deutschen Theaters wie Dieter Mann, Dagmar Manzel, Götz Schubert, denen Peymann Gastrecht gab. Im BE durften sie wieder groß sein – es war ein Fest der Schauspielkunst wie lange nicht gesehen. Alle die späteren Ehekrisenstücke von Albee, O´Neill, Williams sind beinahe überflüssig nach diesem. Aber es gibt viele Länder und Bühnen und Schauspieler und Zuschauer. So laßt andere auch spielen, nur nicht allzu viel Müll des Ewiggleichen! Über Schillers »Wallenstein« in der Regie von Peter Stein schrieb der von mir hoch verehrte Ernst Schumacher in Ossietzky 11/07. Meine Meinung steht der dort veröffentlichten nahezu diametral entgegen. Ich muß dazu Stellung nehmen. Drei Punkte gibt es, in denen ich mit Schumacher weitgehend übereinstimme: die vorzügliche Darstellung des Octavio Piccolomini durch Peter Fitz, der zwar kein »Buchhalter« ist, aber außerordentlich eindrucksvoll das Funktionieren der Macht zeigt; Jürgen Holtz‘ Leistung als Buttler mit den Methoden der Brecht-Schule, nahezu der schauspielerische Höhepunkt des Abends; die historische Leistung Schillers wie Steins. Womit ich nicht übereinstimme: Klaus Maria Brandauer hat mit Hans Albers nichts zu tun. Der Vergleich ist schlicht unpassend. Aber die Rolle ist nicht glücklich besetzt (vorgesehen war Gert Voss). Brandauer war am stärksten in den stillen Szenen, auch in reflektierenden. Sein Burgtheater-Hamlet wirkte nach. In den Szenen des Staatsmannes und Militärs war er am schwächsten. Friedlands Sterne strahlten nicht. Seine unhistorische Kostümierung und Maskierung gerade in dieser Inszenierung war unverständlich. Er lebte sich nicht aus. Daß Wallenstein ein genialer Politiker war, der verändern wollte, kam nur bedingt heraus. Entgegen der von Stein gedruckten Ansicht. Die erfundene Liebesgeschichte, die berühmte klassische »Nebenhandlung« um Thekla Wallenstein und Max Piccolomini, ist eben das, was die Wallenstein-Tragödie zum »opus magnum« gemacht hat. Wofür streitet Wallenstein, auch mit vom seinerzeitigen Recht her strafwürdigen Mitteln? Für das Ende eines unsinnigen Krieges? Gewiß. Für Frieden? Gewiß. Für sich. Gewiß, er prätendiert. Aber eben auch für ein Reich des Friedens, der Schönheit und des Glücks. Dafür stehen diese beiden schönen jungen Menschen. Auch für deren Lebenserfüllung kämpft Wallenstein. Die Tragödie wird vor allem über diese Geschichte spürbar. Nicht nur über den Mord an einem unbequem gewordenen Generalissimus. Es ist ein Verdienst Steins, diese Geschichte ausgespielt zu haben, die man nie zuvor so sah. Das Meiste war immer gestrichen. Man kann sich diesen Handlungsteil noch schöner gespielt vorstellen, als es Friederike Becht und Alexander Fehling vermochten. Dennoch: Sie rührten ans Mark. Und so habe ich – nach mehr als zehn Wallensteinen – ihn eigentlich das erste Mal richtig verstanden. Wallenstein fiel nicht nur als Usurpator und selbstgerechter Herrscher (das Stück ist auch ein Bonaparte-Drama), sondern als Visionär eines Reichs des Schönen (Schiller hatte kurz vorher seine »Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen« verfaßt) und als ein Politiker, der in Mecklenburg wirtschaftlich und sozial Neues durchsetzen wollte. Haupt- und Nebenhandlung gehören zusammen. Das übersieht Schumacher. Für geradezu absurd halte ich die politischen Gedanken: »Wallenstein« als Gegenentwurf zu Heiligendamm. Ich habe weder von Peymann noch von Stein jemals eine derartige Absicht gehört. Aus der Produktion ist sie nicht abzulesen. Und für noch absurder halte ich den Vorwurf der »Meiningerei« – Stein als Nachfolger Georgs II. von Meiningen. Ich halte diese Aufführung – trotz einiger erheblicher Einwände – für einen Gegenentwurf zur Kakophonie des gegenwärtigen sogenannten Regietheaters, das außer Untergängen nichts mehr zu verkünden weiß und in der Kloake endet. Hier dagegen geht es um Rettung und Widerstand. Hier vernimmt man im Sprachkunstwerk eine Botschaft des klassischen Humanismus, und man erkennt gerade in dieser Inszenierung Wurzeln der unseligen deutschen Geschichte. Mit dem Fall Wallensteins und dem Ende des Dreißigjährigen Krieges begann ein Desaster, wovon sich Deutschland nie erholt hat – bis an das Ende der großen Kriege im 20. Jahrhundert. An dem wir zu leiden haben – bis heute! Das inszenierte Stein am historischen Fall und historischen Stück: großes politisches Theater, wenngleich es durch den Hauptdarsteller nicht voll aufging. Das sah Schumacher nicht. Es ist die Aufführung des Jahres.
Erschienen in Ossietzky 17/2007 |
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