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Vom Anbeginn war es dringend geboten, dem »Rad [des Unrechts] in die Speichen« zu fallen (Dietrich Bonhoeffer), diesem Krieg und den Aggressoren mit allen Mitteln, gerade auch mit dem Mittel des »Landesverrats«, in den Rücken zu fallen. Doch ausgerechnet denjenigen Soldaten, die wegen Kriegsverrats, das heißt wegen im Krieg begangenen Landesverrats, zum Tode verurteilt wurden, hat der Deutsche Bundestag eine Rehabilitierung versagt, im Unterschied zu den Kriegsdienstverweigerern, Deserteuren und Wehrkraftzersetzern. Wollte man für den Fall künftiger Angriffskriege vorbeugen? Dem Entwurf der Fraktion Die Linke zur Aufhebung der durch die Wehrmachtsjustiz gefällten Todesurteile wegen Kriegsverrats sind die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP mit der Begründung entgegengetreten, die Kriegsverräter hätten durch ihre Handlungen oft ihre eigenen Kameraden in eine nicht ausschließbare Lebensgefahr gebracht. Das sei verbrecherisch gewesen (Protokolle des Deutschen Bundestages vom 20. Mai 2007, 16. Wahlperiode, Seite 9971). Dies Argument ist in doppelter Hinsicht verfehlt: Historisch trifft der Vorwurf nicht zu. Keinem einzigen der 39 wegen Kriegsverrats ergangenen Todesurteile läßt sich eine Handlungsweise entnehmen, die zu einer Lebensgefahr für deutsche Soldaten hätte führen können. Die Beschuldigungen zielten durchweg auf allgemeine Unbotmäßigkeit, wie Aufsässigkeit gegenüber Vorgesetztenwillkür oder menschlichen Umgang mit Kriegsgefangenen, auch Hilfe für verfolgte Juden. Selbst in dem einzigen Fall, in dem (durch den Oberleutnant Harro Schulze-Boysen) ein Mitarbeiter des sowjetischen Nachrichtendienstes über die Planung eines Angriffs auf die Sowjetunion informiert wurde, geschah dies nicht während der Kampfhandlungen, sondern schon Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion. Gerade dieses Urteil ist übrigens im Jahre 2005 von der Staatsanwaltschaft Berlin für aufgehoben erklärt worden. Die wenigen anderen Urteile, in denen landesverräterische Kontakte mit dem Kriegsgegner erwähnt werden, enthalten keinerlei Hinweise darauf, daß diese Kontakte mit einer Gefährdung von Kameraden hätten verbunden gewesen sein können. Im Gegenteil: Entsprechend ihrer unscharfen Jurisdiktion verwendeten die NS-Militärrichter den bewußt schwammig gefaßten Tatbestand Kriegsverrat höchst willkürlich, meist kombiniert mit anderen Straftatbeständen, zum Beispiel Wehrkraftzersetzung. Als im Kriege begangene »Feindbegünstigung« und damit vollendeter Kriegsverrat galt beispielsweise »bolschewistische Agitation«, etwa die Verteilung eines kommunistischen Flugblatts, das Zertrümmern eines Hitlerbildes. Als todeswürdig galt den Richtern des Reichskriegsgerichts fast jede Handlungsweise, die den Feind irgendwie »begünstigen« oder der »deutschen Kriegsmacht einen Nachteil« hätte zufügen können. Die Behauptung, ein im Zweiten Weltkrieg begangener Landesverrat habe häufig auch die Lebensgefährdung von Kameraden eingeschlossen, ist überhaupt erst nach Kriegsende aufgetaucht, nämlich in einer rechtsradikal gefärbten Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Lüneburg vom 12. Mai 1951. Sinngemäß schloß sich die Staatsanwaltschaft der Darstellung des Beschuldigten, des an vielen dieser Todesurteile beteiligten Oberstkriegsgerichtsrats Manfred Roeder, an, wonach der Vorwurf eines von Verrätern aus dem Hinterhalt geführten »heimtückischen Dolchstoßes« auch nach diesem verlorenen Krieg keine »Legende, sondern traurige Wahrheit« sei. Der deutschen Militäropposition gegen Hitler warf die Staatsanwaltschaft vor, ein »ungeheures Maß an Schuld« auf sich geladen zu haben. Auch rechtlich ist der Vorwurf der Gefährdung von Kameraden nicht haltbar. Selbst wenn ein von dem verbrecherischen Charakter des Hitlerschen Angriffskrieges überzeugter Bürger jemals mit dem Gegner konspiriert hätte, wäre das keine strafwürdige, sondern eine höchst ehrenwerte Tat gewesen. Die Mitteilung von Angriffs- und Aufmarschplänen an die Behörden eines mit einem eindeutig verbrecherischen Vernichtungskrieg überfallenen Landes erfüllt eine moralische Pflicht. Sie zielt darauf ab, dessen Bürger vor Mord und Zerstörung zu bewahren und einen Krieg abzukürzen, der Tod und unermeßliches Leid auch für das eigene Land zur Folge hat. Es ist unerfindlich, wieso jeglicher Widerstand gegen einen noch so verbrecherischen Krieg, selbst gegen den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg, jede auf eine Abkürzung des Massensterbens zielende Sabotage »verwerflich und kriminell« sein soll, sofern mit der Widerstandshandlung vielleicht auch das Leben der an dem Angriff beteiligten Soldaten irgendwie gefährdet werden könnte. Bundesregierung und Bundestagsmehrheit messen hier mit zweierlei Maß: Die Rehabilitierung der von der Wehrmachtsjustiz wegen Kriegsverrats Verurteilten wird verweigert, weil sie ihre eigenen Kameraden und die Zivilbevölkerung in Lebensgefahr gebracht hätten. Auf das angestrebte Ergebnis – die Herbeiführung eines schnelleren Kriegsendes und damit die Rettung von Hunderttausenden, ja vielleicht Millionen von Menschenleben, auch auf der eigenen Seite – soll es nicht ankommen. Was die konservativen Politiker den Verrätern des Zweiten Weltkrieges vorwerfen, eine Gefährdung der eigenen Kameraden, ging nicht von den Widerstandskämpfern aus, sondern von Hitler und der übrigen Wehrmachtsführung, die den verbrecherischen Angriffskrieg führten, einen Vernichtungskrieg, der neben Millionen von Opfern in den überfallenen Ländern auch das Leben von etwa drei Millionen deutscher Soldaten kostete. Und welch ein Verständnis vom Recht auf Widerstand! Jeder auf Rettung vieler Menschen der überfallenen Länder und des eigenen Landes gerichtete Widerstand soll kriminell sein? Graf von Stauffenberg, der mit der Explosion im Führerhauptquartier am 20. Juli 1944 den Tod auch unbeteiligter niederer Ordonnanzen in Kauf nahm, nichts anderes als ein »simpler verbrecherischer Verräter«? Nach der Theorie der Gegner einer Rehabilitierung hätten auch der Oberstleutnant und spätere Generalmajor Hans Oster und der Generaloberst Ludwig Beck, die die deutschen Angriffspläne und -termine an die Niederlande, Frankreich, Belgien, England, Jugoslawien, Dänemark und Norwegen verrieten, »verwerflich« und »kriminell« gehandelt. Oder wird hier ein Unterschied gemacht, weil es sich um Angehörige der militärischen Führungsstäbe handelte, nicht wie bei den meisten wegen Kriegsverrats Hingerichteten um einfache Mannschaften? Im Gegensatz zu höheren Stellen fehlte den unteren Diensträngen neben Verbindungsmöglichkeiten zu den Feindmächten ohnehin jeglicher Einblick in Angriffspläne und andere wichtige militärische Geheimnisse, deren Verrat das Leben von Kameraden hätte gefährden können. Vor wenigen Jahren diffamierte ein sächsischer Historiker den Urheber des Bürgerbräu-Attentats vom 9. November 1939, Georg Elser, mit der Begründung, mit dem Anschlag auf Hitler habe er auch das Leben unschuldiger NSDAP-Mitglieder gefährdet. War da Stauffenberg mitgemeint? Oder gilt solchen reaktionären Historikern und Politikern nur der von konservativen Eliten, nicht der aus Arbeiterkreisen geleistete Widerstand als notwendig und ehrenvoll? Jedenfalls wirkt das Verdikt weiter, das die Staatsanwaltschaft Lüneburg im Jahre 1951 gegen die Oppositionellen der »Roten Kapelle« aussprach: »Landesverrat hat noch immer und zu allen Zeiten als das schimpflichste Verbrechen gegolten.« Hinter der angestrengten Verachtung der Verräter des nationalsozialistischen Krieges steht ersichtlich das noch immer lebendige Gefühl einer tiefen Verbundenheit mit der vermeintlich unpolitischen Wehrmacht. Das traditionelle Ressentiment gegen entschlossenen Widerstand, ja in diesem Fall sogar gegen bloße Kriegsstörung, nährt sich aus den gleichen Quellen wie nach dem Ersten Weltkrieg die Dolchstoßlegende mit der Einstimmung auf einen neuen Krieg. Ganz anders, als sie mit der Gefährdung der Kameraden im Zweiten Weltkrieg argumentieren, stellen sich CDU/CSU, SPD und FDP zu der Gefährdung unbeteiligter Zivilisten in den unter Beteiligung der Bundesrepublik geführten neuen Angriffskriegen. Fast täglich wird gemeldet, daß bei Luftangriffen der US-geführten Truppen im Süden Afghanistans Dutzende von Zivilisten umgekommen sind. Schon in den ersten sechs Monaten des Jahres 2007 sollen die Kämpfe in Afghanistan mehr als 2.800 Menschen das Leben gekostet haben. Nach Angaben der Vereinten Nationen und von Menschenrechtsgruppen liegt die Zahl der zivilen Opfer höher als die der getöteten Aufständischen (vgl. Süddeutsche Zeitung , 2.7.07). Diese Menschenopfer in großer Zahl sind bei den von der Bundeswehr unterstützten Luftangriffen der US-Streitkräfte auf afghanische Dörfer nicht etwa zufällig, unvorhergesehen, sondern von vornherein einkalkuliert. Nicht anders, nur noch schlimmer, geht es im Irak zu. Dort sterben täglich mindestens zwanzigmal so viele Zivilisten eines gewaltsamen Todes als Soldaten der Verbündeten. Um die genauen Zahlen der Opfer unter den Zivilisten kümmert sich keine Regierung. Auf die Frage des Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele (Die Grünen), wie viele Personen bei Einsätzen des deutschen Kommandos Spezialkräfte (KSK) in Afghanistan getötet, verletzt oder gefangen genommen worden sind, antwortete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Peter Wichert, solche »statistische Erhebungen« würden nicht vorgenommen. »Leben ist ein kostbares Gut. Das gilt auch für das Leben von Soldaten, unabhängig davon (...), in wessen Dienst sie stehen. Achtung vor dem Leben ist eine der Kernaussagen unseres Grundgesetzes«, sagte der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen in der Bundestagsdebatte über den Antrag der Fraktion Die Linke am 10. Mai 2007 und empörte sich mit diesen Worten über die wegen Kriegsverrats Verurteilten, weil sie das Lebens ihrer Kameraden gefährdet hätten. Für den Oberst der Reserve van Essen, Befürworter auch des Tornado-Einsatzes in Afghanistan, zählt anscheinend nur das Leben tötender Soldaten als kostbares Gut, nicht aber das Leben unschuldiger Zivilisten am Hindukusch und in anderen überfallenen Ländern. Die dürfen sich nicht auf das fundamentale Menschenrecht auf Leben berufen. Offenbar geht es um Grundsätzlicheres. In einer weiterhin mehr von militärisch-technischen Kategorien als von humanem Denken geprägten Gesellschaft gilt der Krieg noch immer als absoluter Wert. Da kommt es auf die inhumanen Folgen eines Krieges kaum an. Wolfram Wette und Detlef Vogel (Hg.) unter Mitarbeit von Ricarda Berthold und Helmut Kramer: »Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und ›Kriegsverrat‹«, Aufbau-Verlag, 564 Seiten, 24.95 ; Informationen zu diesem Thema bietet auch die Ausstellung »›Was damals Recht war ...‹ – Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht«, die vom 10. August bis 21. Oktober in Köln zu sehen ist, später in Wilhelmshaven, München, Halle, Freiburg, Peenemünde, Bielefeld und Kiel. In wenigen Wochen wird sich der Bundestag in zweiter Lesung mit dem Antrag der Fraktion Die Linke befassen.
Erschienen in Ossietzky 17/2007 |
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