Stunde der Kammerjäger

Bernd C. Hesslein

Er stelle nur Fragen, rechtfertigt sich Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für seine Erwägungen, daß zur Terroristenbekämpfung auch die gezielte Tötung gehören müsse. In seiner Besessenheit begreift er nicht – und disqualifiziert sich damit für sein Amt –, daß nach Hitler kein deutscher Politiker wie ein Kammerjäger auftreten darf, frei nach der Devise: »Wer lästig ist, wird eliminiert.«

Der Hang zu solchen verbalen Eskapaden zeigte sich schon früh unter den demokratisch gewendeten Politikern der Bundesrepublik. So bezeichnete der seinerzeit nahezu allmächtige CSU-Politiker Franz Josef Strauß linke Autoren als Ungeziefer, das ausgerottet gehöre. Und auch die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder sprach (s. Ossietzky 16-08, Seite 660) und handelte nach dem Kammerjägerprinzip: Sie überließ Menschen, die unter dem Schutz von Artikel Eins des Grundgesetzes standen, ungerührt den US-amerikanischen Folterknechten.

Der Rechtsstaat Bundesrepublik, das sollte nicht vergessen werden, ist bereits mehrfach unter dem Motto »Gefahr in Verzug!« dauerhaft beschädigt worden, ehe sich nun der Verfassungsminister Wolfgang Schäuble daran macht, ihm im Namen der Sicherheit die liberalen Flausen völlig auszutreiben.

Es dürfe keine Denkverbote geben, sagt die Bundeskanzlerin, die damit Schäuble einen Freibrief ausstellt und alle Abgrenzungen zum rechten Rand des Parteienlagers öffnet. Zu Schutzhaftlagern ist es dann nur noch ein kleiner Schritt, ja fast eine Selbstverständlichkeit.

Sicher ist, daß nach den Amputationen des Doktor Schäuble am Grundgesetz dies eine andere, nicht zu akzeptierende Republik sein wird. Es ist an der Zeit, sich zu wehren.

Wichtig ist zu begreifen, daß hinter dem scheinbar monolithischen Schlagwort vom »Weltweiten Terrorismus« die Leidensgeschichten von Menschen, Völkern und Nationen stehen, die heute noch am Bändel ihrer einstigen Herrscher hängen, seien es die USA, Rußland oder Europa, die älteste koloniale Macht. Doch die Welt, noch halb archaischen Gesellschaftsmustern verhaftet und zugleich unkontrollierten Geschwindigkeiten in Wirtschaft und Wissenschaft ausgesetzt, ist dabei, »one world« zu werden. Von Freude schöner Götterfunken keine Spur. Unangeleitet und wenig motiviert bunkern sich Militaristen wie Terroristen ein und greifen zu Keule oder Bombe.

Krieg aber ist ebenso wenig eine Option wie der halbstarke Spruch, man lasse sich nicht erpressen. Am Ende aller Feindschaften steht immer das Wort, wie es auch am Anfang stand. Es ist unser wichtigster gemeinsamer Besitz. Nur: Wo sind die Propheten, die mit ihren Reden die Menschen erreichen?

Erschienen in Ossietzky 17/2007