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Sonst kann der Polizei-Computer, die arme Sau, Eure Gesichter nicht lesen und weiß dann bei Großdemos, etwa bei Papstbesuchen, nicht sofort, wie viele Atheisten sich heimtückisch auf den Platz geschlichen haben.« Die zweite Voraussage: »Damit das Gemeinwesen übersichtlich bleibt, kriegen wir alle Neugeborene direkt im Kreißsaal einen Minichip mit Codenummer, Mikro und Peilsender gleich hinter die Schläfenlappen implantiert. So weiß Vater (Staat) stets genau, wo wir uns gerade aufhalten und was wir mit wem so besprechen. Für den Fall des alleräußersten Staatsnotstands erhält der Chip dann noch einen kleinen fernzündbaren Sprengsatz ...« Die Leute haben damals über solch spinnerte, hirnrissige Phantasien eines ausgeflippten Satirikers herzlich gelacht. Die erste Pointe ist real längst ein alter Hut. Die zweite erzeugt im Publikum heute nicht unbedingt nur mehr einen fröhlichen Lacher, eher einen veritablen Schock, der sich durch gewisse aktuelle Anmerkungen mühelos verstärken läßt. Statt Schläfenlappen könnte man Schläferlappen formulieren, und die Notwendigkeit der kleinen systemerhaltenden Pflichtoperation ließe sich mühelos mit der Tatsache begründen, daß ja nicht alle Menschen stets ihr Handy mit sich führen, das jederzeit bequem geortet und problemlos unbemerkt als Raumüberwachungsmikrofon eingesetzt werden kann. Andererseits: Warum sollten wir unseren schwerarbeitenden staatlichen Mithörern nicht auch mal ein wenig Vogelgezwitscher gönnen, wenn sie uns sogar beim Waldspaziergang ihre fürsorgliche Aufmerksamkeit widmen? (Technischer Hinweis für Mobiltelefonbesitzer: Ausschalten nützt nix. Wer wirklich mit sich und den allgegenwärtigen Wärmekameras oder Satelliten-Überwachungssyste-men allein bleiben will, der muß schon den Akku entfernen oder das Handy in den nächsten Bach werfen. Was den Minichip betrifft: Bei Hunden und anderen Haustieren ist er bekanntermaßen bereits üblich, und gewisse US-Firmen haben ihn für Mitarbeiter in sogenannten sicherheitssensiblen Betriebsbereichen längst eingeführt beziehungsweise eingepflanzt. Fingerabdrücke und andere biometrische Merkmale nötigt Spanner Staat uns allen als potentiellen Straftätern und Sicherheitsrisiken ohnehin schon ab. Erkennungsdienstliche Behandlung hieß das früher im Knast. Seit dem 8. August 2007 sind wir dem Bürger-Chip nun einen großen Schritt nähergekommen. Der Deutsche Bundestag hat da nämlich beschlossen, ab 2008 ausnahmslos alle 82 Millionen Staatsbürger und sonstige Bewohner der BRD zu numerieren. Die Daten wurden bereits im Juli bei den Meldeämtern gesammelt. Von der ersten Lebensminute an soll dann allen bisher sogenannten Menschen eine von der Wiege bis zur Bahre lebenslang unveränderliche Identifikationsnummer verpaßt werden. Da jedoch Säuglinge, wie man ab und zu hört, leider häufig noch nicht der deutschen Sprache mächtig, geschweige denn fähig sind, sich elfstellige Zahlen für immer verläßlich einzuprägen, und weil es nun eben bekanntermaßen auf Gebärstationen gelegentlich zu Verwechslungen kommt, wird vermutlich zukünftig im Kreißsaal gleich neben der Hebamme ein Kontrollbeamter dem Neugeborenen beim ersten Schrei mit unabwaschbarer Farbe die Produktionsnummer aufstempeln. Später werden die glücklichen Eltern dann irgendwann in den Freudenruf ausbrechen »Hör mal, es kann sprechen!«, wenn das Kleinkind als erstes, statt wie bisher üblich »Mama« oder »Papa« zu artikulieren, seine Personennummer herunterstammelt. Keine Bange, das klingt alles schlimmer, als es ist. Handelt es sich doch nach dem Wortlaut des Gesetzes nur um eine »Steuer-Identifikationsnummer«, die verhindern soll, daß dem Finanzamt drei Monate alte Schwarzarbeiter oder andere Steuerhinterzieher durch die Lappen oder genauer: durch die Windeln gehen. Auch können wir doch alle felsenfest darauf vertrauen, daß die auf Nummer Sicher gespeicherten Daten niemals und unter keinen Umständen an andere Behörden weitergegeben werden dürfen; verläßlich wissen wir überdies, daß schon jetzt keinerlei grundgesetzwidriger Datenaustausch zwischen Geheimdiensten, Polizei, Bundeswehr, Meldeämtern, Krankenversicherungen oder Mautstellen stattfindet, gelle. Auf Ehre: Einzig aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung wird man irgendwann Paß-, Personalausweis-, Versicherungs-, Melderegister- und die neue Steueridentifikationsnummer vereinheitlichen müssen. Daß die bisher nur achtstellige (!) Personennummer im zentralen NADIS-Computer der Geheimdienste und die eventuell später daraus resultierende Häftlingsnummer dann selbstverständlich angeglichen werden müssen, wird jeder verantwortungsbewußte Verwaltungsinformatiker bestätigen. Schon des Kostendämpfungseffekts wegen. Nun hat die Sache aber einen Haken. Manche Leute vergessen ihre Identnummer einfach. Staatsangehörige mit »ausländischem Hintergrund« oder andere Verdächtige geben gar fälschlich vor, ihnen sei der Ziffern-Code entfallen; die Stempelfarbe aus dem Kreißsaal ist nach Jahrzehnten möglicherweise verblaßt. (Von demokratischen Tätowierungen hat man einstweilen noch großzügig abgesehen. Niemand soll die Möglichkeit erhalten, unser freiheitliches System vermittelst fadenscheiniger, vordergründiger Vergleiche mit einer dunklen Epoche deutscher Vergangenheit zu diffamieren) Es könnte sogar verbrecherische, terroristische (!), kinderschändende (!!), rauchende (!!!) Nummernfälscher geben. Was nun? Da bleibt nur der Chip. Meine vor zwei Jahrzehnten gestellte irre Prognose erhalte ich darum aufrecht, heute ihrer sicherer denn je. Die Implantationsprozedur erfolgt inzwischen längst nahezu schmerzlos durch eine gewöhnliche Injektionsnadel und ist damit jedem Bürger zuzumuten. Babys werden schließlich auch heute schon früh geimpft. Die aus Sicherheitsgründen unabdingbaren Peilsender kommen natürlich erst etwas später, wenn wir uns an Chip und elektronische PKW-, beziehungsweise Fahrrad-Innenstadt-Maut gewöhnt haben werden. Der Sprengsatz? Na ja ... als Satiriker gönnt man sich halt auch schon mal einen makabren Kalauer. Aber nichts ist unmöglich Schäuble. Die Individual-Sicherheitsvorrichtung, sollte sie jemals eingeführt werden, dient dann ja auch nur der Abschreckung und soll im Ernstfall wirklich nie gezündet werden! Nur höchstens im äußersten Staatsnotstand, als finale Rettungsexplosion zum Schutz vor Terroristen. Oder Kinderschändern. Geiselnehmern. Bankräubern. Gewaltbereiten Demonstranten. Oder zur Seuchenbekämpfung. Vorerst haben wir alle erst die Nummer. »Sehr geehrte/r 28723590017, wie wir von Augenzeugen erfuhren, hat Ihr Kind 89225711334, für das Sie gemeinsam mit 94487112908 das Sorgerecht tragen, am 03.10.2009 um 14.30 h vor dem Hause George-Orwell-Alle 84 im öffentlichen Straßenraum das Pflaster des Bürgersteiges mutwillig mit grünen, gelben und roten Kreidestrichen beschädigt. Sie werden hiermit aufgefordert ...« Bleibt noch eine Überlegung. Die Ziffernfolge der Steueridentifikationsnummer soll ausdrücklich zufällig sein und keinerlei Rückschlüsse auf persönliche Merkmale des jeweiligen Numerierten ermöglichen. Sagt man. Bei rund 82 Millionen Bundesbürgern würde also Verschiebungen durch Todesfälle und Geburten einkalkuliert eine achtstellige Zahl bis 100 Millionnen minus eins ausreichen, äußersten Notfalls eine neunstellige 000 000 001 bis 999 999 999. So viele Deutsche wird es hoffentlich nie geben. Das Berliner Gesetz sieht jedoch elfstellige Zahlen vor: über 99 Milliarden Möglichkeiten zur Speicherung von steuerpflichtigen Deutschen. Gigantisch! Die Weltbevölkerung beträgt gegenwärtig geschätzte sieben Milliarden Menschen. Hat man in Berlin erneut Erweiterungsgelüste? Möglicherweise sind die Eingeborenen in Kolonie Kunduz schon einkalkuliert. Oder ist das nur der Globalisierung geschuldet? Daß der Zahlencode keinerlei Rückschlüsse auf individuelle Merkmale zulasse, ist wohl wieder mal nur eine der üblichen staatstragenden Lügen. Eine Grundgesetzänderung scheint dringend erforderlich: »Artikel 1. Die Würde der Nummer ist eintastbar.« * Die ärztliche Psychologie kennt eine sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Sie kann bei Personen auftreten, die sich lebensbedrohenden Situationen ausgesetzt sahen und/oder durch Einwirkungen von außen inbesondere Angriffen mit Waffen schwere Verletzungen davongetragen haben. Unbehandelt zeigen sich als Symptome: gravierende Zunahme von Schreckhaftigkeit, krankhaft gesteigerte Wachsamkeit, übergroßes Sicherheitsbedürfnis, daraus resultierend Schwierigkeiten beim Einschätzen von realen oder vermeintlichen Gefahren und der Angemessenheit von Schutz- oder Vorbeugemaßnahmen. So weit in Kürze das, was ich mir als medizinischer Laie angelesen habe. Wem fielen da nicht in großen Teilen Parallelen zur Handlungsweise des Bundesinnenministers auf? Bei allem menschlichen Mitgefühl für das Opfer eines Attentats: Dürfen, nein müssen wir da angesichts der Tragweite und Brisanz innenministerlicher Entscheidungen als Staatsbürger nicht Fragen stellen? Es ginge ja im Ernstfall keinesfalls darum, einen Menschen persönlich zu diffamieren, sondern mögliche politische Risiken der Amtsführung des höchsten Verantwortlichen für Sicherheit und Bürgerrechte in unserem Lande auszuschließen. Darf man also Auskünfte verlangen über die persönliche Gesamtsituation eines Ministers? Eines Ministers übrigens, dem in anderen Fällen individueller Datenschutz eher läßlicher Luxus zu sein scheint? Unlängst hat er erneut Vorschläge gemacht, die in der verfassungs- und menschenrechtswidrigen Forderung gipfelten, Verdächtige einfach mal vorbeugend umzubringen. Schon der allergeringste Anschein, ein so hochgestellter Amtsträger werde auch nur möglicherweise bei seinen Entscheidungen von anderen Motiven als streng sachlichen Erwägungen geleitet, muß in einem Rechtsstaat zu seiner sofortigen Ablösung führen. Das mag ungerecht und herzlos anmuten, bei strikter Güterabwägung bleibt aber wohl keine andere Wahl. Einer muß es ja mal aussprechen: Kennt die Kanzlerin die Krankenakte ihres Ministers? Es wäre doch allemal humaner, einen Amtsträger auf bloßen Verdacht hin abzusetzen, als einen anderen Menschen auf bloßen Verdacht hin abzuschießen. * Allzu hart fällt hierzulande ein Exminister eh nicht. Der Arbeiteraristokrat Baron Walter Haschekies von Riester-Rentenzeck hat nach eigenen Angaben im vergangenen halben Jahr seit Januar 2007 zahlreiche wenigstens jedoch 20 vermutlich eher kapital- denn volksbildende Vorträge bei Banken, Versicherungen und ähnlichen Geldscheffelinstituten entgeltlich absolviert. Die Darbietungen waren drittklassig: Der Vortragende gibt das Honorar entsprechend dem Karlsruher Verfassungsgerichtsurteil bei vier Einzelveranstaltungen jeweils mit Klasse 3 »(mindestens 7.000 Euro)« an. Bei acht weiteren Eintragungen wird als jeweiliger Zahlungsgrund pauschal »Vorträge« angegeben, also der Plural; das sind immer wenigstens zwei. Adam Riese an die Front: 8 x 2 = 16 + (die o. a. Einzelshows:) 4? Macht zwanzig. Mindestens. Nehmen wir nun einmal an, die eingangs erwähnten auch nur 7.000 Euro pro Auftritt seien das Normalhonorar, bedeutete schon dies einen halbjährlichen »Nebenverdienst« von 140.000 Euro. Mehr als eine Viertelmillion im Jahr. Das ist zugegeben spekulativ gerechnet allerdings nach unten. Denn natürlich können es angesichts der Wischiwaschi-Angaben weit mehr als zwanzig Vorträge gewesen sein. Vor allem jedoch: »mindestens 7.000 Euro« kann natürlich ebenso 20.000 oder 30.000 heißen. Oder auch drei Millionen. Für lumpige sieben Riesen man frage Gerhard Schröder geht doch heutzutage kein Regierungspolitiker oder Exminister noch zwanzig Minuten in die Bütt. Schon gar nicht bei Firmen, denen er im Amt seinerzeit großzügig die Genehmigung zum Gelddrucken erteilt hat. Schließlich weigert sich die Bundestagsmehrheit noch immer beharrlich, Abgeordnetenbestechung, wie in zivilisierten Staaten üblich, unter Strafe zu stellen. »Mindestens 7.000.« Weshalb nennt so einer keine konkreten Zahlen? Niemand würde es ihm doch verbieten. Es gibt ja Beispiele. Wenige. Sehr wenige. Was uns das angeht? Die Abgeordneten sind doch »an Aufträge und Weisungen nicht gebunden« (Grundgesetz). Nur die Bindung an Überweisungsaufträge ist nicht verboten. Nun sagt es ja schon das Sprichwort: »Du sollst dem Exminister, der da leeres Stroh drischt, nicht die Taschen zubinden.« Bloß: Wer füllt sie ihm denn? Wir alle. Denn selbstverständlich setzen die Firmen ihre Honorar genannten Erfolgsprämien von der Steuer ab, und da muß sich ein Habenichts von Hartz IV-Empfänger nicht wundern, wenn man zum Ausgleich seinem Kind das Sparbuch wegnimmt. Rätselhaft nur, wieso die Website des Deutschen Bundestags in ihrer Auflistung von Nebeneinkünften spricht. Für Leute wie Riester sind doch eher die nun auch nicht gerade knapp bemessenen Diäten das Zubrot. Um es genau zu sagen: Man muß schließlich anerkennen, daß so einer wie Riester hohe Verdienste erworben hat. Für die Konzerne wie für sich. Wie wäre es da mit dem Bundesnebenverdienstkreuz? Es gäbe viele Auszeichnungswürdige in Berlin. * Vor geraumer Zeit hat der Bundesverkehrsminister die Notwendigkeit höherer Bußgelder mit einer gebotenen »Angleichung an die Inflation« begründet. Es war dies erstmals das regierungsamtliche Eingeständnis einer »Löhne-runter-Preise-rauf«-Politik. Inzwischen steigen die Lebensmittelpreise weiter rasant. Dem Wunsch nach Anpassung der Hartz IV-Regelsätze an die höheren Lebenshaltungskosten hat CDU-Generalissimus Pofalla der Zuständige vehement widersprochen. Maßstab für das Arbeitslosengeld II könne nicht der Preis einzelner Produkte wie etwa Milch sein. Man müsse die gesamte Marktentwicklung berücksichtigen. Manches sei im Gegenzug auch billiger geworden. Vermutlich Champagner. Da geht Pofalla eben von der eigenen Lebenshaltungssituation aus. Im Regelfall kriegt er das Edelgesöff zum Nulltarif eingeschenkt. Billiger geht's nicht. Da könnte er sich leicht modifiziert des berühmten Vergleichs zwischen teurem Brot und billigem Kuchen bedienen, den 1789 Marie-Antoinette aufgestellt hat: »Wenn dem Pöbel die Milch für seine Kinder zu teuer geworden ist, soll er ihnen halt Champagner geben.« Marie-Antoinette allerdings wurde unter anderem für ihren zynischen Ausspruch geköpft. Zum Glück für die große Koalition ist das Volk heute duldsamer. * Nach den Tragödien das Satyrspiel. Gegenwärtig gibt es wohl kaum einen Kabarettisten, der nicht mit Radfahrerkostüm und Doping-Spritze ausstaffiert auf die Bühne geht. Da möchte ich doch mal auch auf den positiven Aspekt der Skandale hinweisen: Wäre Arnie Schwarzenegger seinerzeit ohne die bei Bodybuilding-Wettbewerben übliche und erlaubte Dope seinerzeit Weltmeister, dadurch später Schauspieler und schließlich Gouverneur von Kalifornien geworden? Vielleicht ist demnächst sogar noch mehr drin. Na also.
Erschienen in Ossietzky 17/2007 |
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