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Viele junge Leute freuten sich, ich dachte an jene Zeiten, als auch ich noch rocken konnte. Ein Musical auch im Grips-Theater: »Schöne Neue Welt« nach Aldous Huxley. Zu hoch gegriffen, fürchtete ich. Aber Volker Ludwig hatte mit »Linie 1« langanhaltenden Erfolg, also war er der Librettist und Achim Gieseler der Komponist. Das Stück zielt auf heute: »Schöne Neue Welt« mit ihren Pharmaka und Glückspillen, genetischen Manipulationen, Schönheitsoperationen und sonstigen Eingriffen allüberall. Die Satire machte mir Freude. Gieselers elektronische Popmusik schien mir durchaus geeignet, doch meine Ohren haben sich nichts davon gemerkt. Auf zur Schaubühne, diesem einstigen Glanzstück, wo in früheren Jahrzehnten Welttheater stattgefunden hat. Seit längerem betrete ich sie ungern. Diesmal ging ich vor allem der jüdisch-israelischen Thematik wegen. Das Cameri Theater Tel Aviv gastierte aus Anlaß des »Festivals Internationaler Neuer Dramatik« mit israelischer Dramatik, darunter zwei Stücken von Yael Ronen: »Reiseführer in das gute Leben« und »Plonter«. Der »Reiseführer« (welche Ironie schon im Titel) zeigt den Ausnahmezustand, also den gewöhnlichen Zustand Israels. Da kommen entsetzliche Dinge zur Sprache, so wenn ein betrunkener israelischer Soldat einen Kameraden überfährt und daraus einen palästinensischen Anschlag macht (der auch nichts Ungewöhnliches wäre). Ungleich härter noch stellt Ronen diesen Zustand in »Plonter« (»Verworren«) dar: Die Mauer führt durch ein von Palästinensern bewohntes Haus; es gibt dort einen Checkpoint zwischen Wohnraum und Toilette. Irrer geht‘s kaum. Gesteigert wird die Wirkung durch das eindringliche Spiel jüdischer Schauspieler, die arabische Selbsttöter spielen; Araber spielen Juden. In diesem Wahnsinn darf, ja muß gelacht werden, am meisten in jener Szene, in der wohlhabende jüdische Intellektuelle einen arabischen Gast bewirten und alle Formalia und Sitten durcheinandergeraten. »Plonter«, durchdrungen vom Wunsch nach Frieden, sollte von deutschen Bühnen gespielt werden. Überhaupt sollte man auf die israelische Dramatik schauen, unter anderem auf Savyon Liebrecht, die mit den Stücken »Spreche ich chinesisch?« und »Sonia Mushkat« auf sich aufmerksam macht. Ebenfalls in der Schaubühne »Stoning Mary« der englischen Autorin Debbie Tucker Green (jamaikanisch-afrikanischen Ursprungs, in der Nachfolge Sarah Kanes), von Benedict Andrews inszeniert. Außerdem »Trade«, von schwarzen Schauspielerinnen dargestellt. Hier geht es unter anderem um sogenannten SexTourismus in karibischen Ländern und viele damit verbundene Konflikte, vor allem um brutal-nackte Ausbeutung; Kritik richtet sich gegen jene Länder, aus denen die Freier und auch Freierinnen kommen. Das Spiel-, genauer Lesetempo ist sehr schnell, eher hastig, die Bilder wechseln verwirrend. Ein Kunstprinzip, Geschlossenheit und Zusammenhang jener Welt in Frage zu stellen, löst sie auf bis zur teilweisen Unverständlichkeit. »Stoning Mary« hat einen Kindersoldaten (beeindruckend Rafael Stachowiak) getötet, der ihre Eltern mordete – sie wird dafür gesteinigt, eine biblische Strafe. Ein aidskrankes Paar scheitert an seiner Krankheit; und im Ganzen geht es um Überlebenskämpfe härtester Art, vordergründig in afrikanischen Ländern, mit schwarzen Schauspielern; nach Vorschrift der Autorin soll das Stück dort spielen, wo man es aufführt, dann auch mit weißen. Gerade die Vermischung schwarzer mit weißen Themen und Problemen macht es sehenswert. Leider mangelt es der Inszenierung an einer Ästhetik, die politisch-soziale Kritik sinnlich überzeugend machen würde. Das Festival »100 Grad« der freien Theatergruppen fand zum vierten Male in den drei Spielstätten des »Hebbel am Ufer« (HAU) und in den Sophiensälen statt. War es in den vergangenen Jahren ein einziges Tauhu-Wauhu gewesen, ließen sich jetzt ein paar Strukturen und Höhepunkte (keine Berggipfel, aber kleine Anhöhen) ausmachen. Man spricht nicht mehr von Off- oder Off-off-, sondern von Off-off-off-Theater. Na ja! Immerhin 250 Produktionen, die wohl niemand überschauen konnte. Jede Gruppe durfte nur eine Stunde agieren. Was fiel mir auf? »Was gibt´s Neues, Pussy?« von Marcus Reinhardt und Robert Schupp, eine Art Kabarett, es wird alles Mögliche durchgehechelt, nicht ohne politischen Witz, aber kleinformatig. Bedauernswert die Darsteller, die sich gegen duftige Geräusche offener Toiletten durchsetzen mußten. Das seien doch natürliche Vorgänge! Wieder so ein Ferkel-Einfall junger Theatermacher. Besser gefiel mir die Gruppe »textmarker« mit »Das Dorf«, einer Geschichte über ländliches Kommuneleben. Das war etwas Handfestes. Einigen Spaß machte »Baustelle Luftschloß«, eine Art Pantomime von drei Personen mit Plastikspielzeug über die Bewegungen eines Baggers, die auf Männerfantasien zurückgeführt oder ihnen aufgesetzt werden. Das mochte verstehen, wer will – immerhin setzte es Phantasie frei. Es gab noch eine Pantomime: »Tristan« von Max Merker, ziemlich geschickt in der Körpersprache. Ob sie zum großen Stoff führte, wurde mir nicht klar. Da tat es wohl, wieder mal Heiner Müllers Sprache zu hören. Johannes Schmit inszenierte Müllers »Wolokolamsker Chaussee IV«. Stefan Stern bewältigte Müllers Blankverse – ein neuer Kentaur. In »Das Schattenkabinett« von Bernd Freitag, einem Chorwerk mit 20 Dresdenern, das ein wenig auf antike Weise Menschenleben, Krankheit, Tod und Politik beschreibt, erzählt, besingt, wird auch kollektiv geweint – ein heute seltener Vorgang. Freitag, der bei Schleef gelernt hat, scheut weder großen Ton noch großen Gestus. In den Sophiensälen Wiederbegegnung mit der Gruppe Lubricat unter Dirk Cieslak: »How to take over«. Der Stoff ist argentinischer Herkunft, Ergebnis einer Recherche über die seit 2001 in diesem Lande entstandene und gewachsene Bewegung zur Übernahme von Fabriken. Gezeigt werden Gruppenbildungsprozesse. Fünf Schauspieler aus vier Ländern führen soziale Demokratie vor. Das lohnt sich anzusehen. Noch einmal Argentinien, diesmal in der Kreuzberger Wrangelstraße: »La Marea« (Die Gezeiten) von Mariano Pensotti, 2005 in Buenos Aires uraufgeführt, jetzt vom HAU hergeholt, vom Autor inszeniert. Straßentheater. Es handelt vom alltäglichen Leben, von Liebe und Leid, kleinen Gemeinheiten und Freuden. Die Personen agieren stumm, die Texte sind innerer Monolog. Dadurch entstehen enge Beziehungen zwischen Darstellern und Publikum, Grenzen fallen, aber Neues erfährt man nicht. Man sieht sich. Manchen reicht das, mir nicht. Magerer Naturalismus. Daß der seit vergangenem Jahr halbwegs verwaiste Bahnhof Zoo zum Theaterort werden könnte, hätte man kaum gedacht. Jetzt ist er es. Die Gruppe dort nennt sich »Oper Dynamo West« und beginnt in der DB-Lounge. Dann wandert man durch Halle und über Bahnsteige, wie seit Mnouchkine gehabt. Christina Geiße bildet mit Olaf Dröge ein Paar. Ladeninhaber spielen mit, eine Arie wird gesungen – die Grenzen zwischen Theater und Realität zerfließen. Man kann so etwas machen, aber neue Räume werden nur äußerlich erschlossen, geistig-soziale kaum. Das Theater ist auf Suche nach neuen Spiel-Räumen. Christina Emig-Könning und andere versuchen es seit einem Jahr mit der Friedhofskapelle der Georgen-Parochial-Gemeinde in Friedrichshain. Bisher gab es meist Lesungen, Performances, auch Shows für Moden und Floristen. Nun eine Collage aus Texten von Gryphius, Hölderlin, Büchner, Rilke sowie Arbeiter- und Kirchenliedern. Man hatte Lebensthemen mit dem Tod vereint, reflektierte die eigene Lage als Theatermacher in Friedhof und Kapelle. Bei einigen Liebhabern wird das vermutlich wirken. Letzte Station: Ballhaus Ost, Pappelallee, Prenzlauer Berg, bei mir um die Ecke. »Picknick am Wegesrand«, »Stalker«, »Glück für alle« – was haben diese Titel miteinander zu tun? Alles. Nach der erstgenannten Erzählung der Brüder Arkady und Boris Strugackij von 1976 schuf Andrej Tarkowskij 1979 seinen Film »Stalker« und nach diesem Jens Dietrich als Dramaturg und Oliver Ernst als Regisseur die Bühnenvorlage »Glück für alle«. Es geht wirklich um Glück, aber was ist es eigentlich? Film in Drama – das kostet Nerven. Wie passen Film-Dialoge in Bühnendramaturgie? Die beiden halfen sich, indem sie Filmsequenzen ins Spiel brachten, die das Geschehen kommentieren. Zu Wort kommen fünf Personen, hauptsächlich ein Philosoph, ein Schriftsteller und eine Wissenschaftlerin. Die Essenz des Ganzen: Menschen können wohl nicht glücklich sein. »Schmerzlosigkeit«, so der Philosoph, reicht nicht. »Todglücklich« (wie bei Handke), geht nicht. Das Ganze endet resignativ. Solche Metamorphosen kann ein Stoff erleben: bei den Strugackijs zum grotesken Sarkasmus, bei Tarkowskij zur surrealen Tragödie, bei Dietrich/Ernst zur gefälligen Boulevard-Resignation. Kein Neuerertum bei den »Freien«. Die Zeiten, als aus dieser Basis des Theaters Richtungweisendes, Experimentelles kam, sind vorüber. Auch HAU-Festivals werden das nicht leisten. Aber – wer weiß? Bildet sich hier irgendwann doch wieder Humus für neue große Pflanzen?
Erschienen in Ossietzky 16/2007 |
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