Die klaren Vorstellungen künftiger Bürokraten

Sergej Guk

Verstört, beinahe traurig blickte Präsident Wladimir Putin, als er kürzlich den Fraktions- und Ausschußvorsitzenden der Duma mal wieder die Leviten las: Soeben habe er die Regierung beauftragt, die Bewohner baufälliger Häuser so schnell wie möglich in die neuen Wohnungen umzusiedeln. Für diesen Zweck müßten so und so viele Milliarden Rubel flüssig gemacht werden. Er wisse allerdings nicht, wieviel von diesem Betrag unterschlagen werde. Er fürchte, daß von den Finanzströmen viel verdunste und versickere und abgezweigt werde, also nicht das Ziel erreiche. Putin bat die Abgeordneten in diesem Zusammenhang auch, die Zweckdienlichkeit der Verwendung von Steuergeldern unter ihre Kontrolle zu nehmen.

Sogleich beteuerten die Staatsmänner, sie würden nun mit der Hydra der Korruption auf der Stelle Schluß machen. Besonders eindrucksvoll reagierte Wirtschaftsminister German Gref mit dem Versprechen, zu diesem Zweck in sämtlichen Büros seines Amtes Videokameras zu installieren. Denn – nicht wahr? – man muß sich die Korruption folgendermaßen vorstellen: In ein Arbeitszimmer des Wirtschaftsministeriums schleicht eine dunkle Gestalt und überreicht einem Entscheidungsträger ein dickes Kuvert. Der Bürokrat grinst zufrieden, steckt das Schmiergeld in seine Schublade und sitzt – zack – in der Mausefalle, denn da alles gefilmt worden ist, braucht er nur noch verhaftet zu werden. So die Vorstellung des Ministers.

Wie die schmutzigen Geschäfte in Wirklichkeit abgewickelt werden, ist längst den Medien zu entnehmen: erstens nur über Vermittler, denen beide Seiten vertrauen, zweitens nicht mit Bargeld, sondern durch Überweisung auf die (geheimen) Auslandskonten der korrupten Beamten. Zudem braucht man sich nur die Paläste und die Prachtwohnungen mancher Staatsdiener anzusehen, um die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Dazu bedarf es keiner Videokameras. Aber das Geschäft mit Überwachungsanlagen blüht, und durch persönliche Geschenke an die Auftraggeber kann es immer noch üppiger und profitabler gedeihen. Nach oben kann der Beschenkte dann melden: »Maßnamen zur Korruptionsbekämpfung getroffen« und sich dafür auch noch belobigen lassen.

Kurz nach der Initiative des Wirtschaftsministers wurden just in seinem Ministerium zwei hohe Beamte wegen Annahme von anderthalb Millionen Rubel Schmiergeld verhaftet. In diesem Fall verzichtete Gref auf offizielle Bekanntmachung. Ich bin gespannt, was nun Neues von ihm zu erwarten ist.

Die jüngste Meinungsumfrage unter Abiturienten ergab, daß viele von ihnen nach dem Studium Beamtenposten erstreben. Von einer Zukunft als Kosmonaut oder als erfolgreicher Wissenschaftler – wie früher – schwärmt kaum noch einer. Das Traurigste daran ist, daß sich die Bürokraten in spe nicht mit dem staatlichen Gehalt begnügen wollen, sondern sich von vorn herein ungeniert bereit erklären, Schmiergelder anzunehmen, um sich damit ihr persönliches Schlaraffenland schaffen können.

Diejenigen von ihnen, die in den Familien kleiner Unternehmer großgeworden sind, wissen, wie hilflos ihre Eltern gegenüber der Beamtenwillkür sind. Auf den widerspenstigen Besitzer eines Ladens kann man scharenweise Prüfer und Aufsichtsbeamte ansetzen – von der Umweltpolizei bis zur Feuerwehr. Und jeder findet einen Grund, das Geschäft dichtzumchen oder mit einer hohen Strafe zu belegen – falls sich der Betroffene nicht rechtzeitig besinnt, Schmiergeld zu zahlen und sich dadurch von allen Beanstandungen loszukaufen.

Je näher die Parlamentswahl (2. Dezember) rückt, desto mehr edle Ritter tauchen auf, die uns verheißen, sie würden Rußland endlich von der Korruption befreien. Haltet den Dieb!

Erschienen in Ossietzky 16/2007