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In einem anderen Stück, »Der Gute Mensch von Sezuan«, sind es die Götter selbst, die in die Richter-Roben schlüpfen, um schnell wieder in den Himmel zu entschwinden, wenn ein guter Mensch sie um Gerechtigkeit bittet. Im »Kaukasischen Kreidekreis« schmückte Brecht gar die Hüte der Rechtsanwälte mit großen Schnecken, um anzudeuten, daß sie von Berufs wegen jeden Prozeß in die Länge ziehen. Einmal jedoch spricht auch bei Brecht ein Richter Recht. Es ist Azdak im »Kaukasischen Kreidekreis«, der »Armeleute-Richter«, wie ihn Brecht nennt. In den Wirren einer Palastrevolte zufällig auf den Richterstuhl gelangt, fällt er, ein Mann der Gosse, gerechte Urteile, da er die herrschenden Gesetze überhaupt nicht kennt. Und die Rechtsanwälte, die vor ihm mit stimmlichem und tänzerischem Aufwand ihre Plädoyers vorbringen wollen, fragt Azdak zu deren Verblüffung nicht nach ihren Argumenten, sondern nach ihrem Honorar, denn: »Ich höre Ihnen ganz anders zu, wenn ich weiß, Sie sind gut.« Warum ich hier eine Laudatio auf einen so gerechten Menschen wie Jens Uwe Heuer zu seinem 80. Geburtstag mit Brechts Meinung vom Recht als verordneter Ungerechtigkeit beginne? Das hat eine einfache Bewandtnis. Es ist im Brechtschen Sinne ein echter Verfremdungseffekt, wenn ausgerechnet ein Rechtsgelehrter in schwieriger Zeit dem Theater Brechts, damals das Berliner Ensemble, ein guter Berater wurde. Und das nicht nur in seinem Fach, der Juristerei, sondern in allen Fragen der Politik, der Philosophie und der Ästhetik, damals für ein Theater Überlebensfragen. Ich spreche von dem Jahr 1989, der Zeit der großen Veränderungen. Eigentlich hätte zutreffen müssen, was Brecht einmal über Veränderungen dichtete: »Oh, Wechsel der Zeiten, du Hoffnung des Volks.« Aber der Ruf »Wir sind das Volk« hatte sehr bald gewechselt, und es hieß dann endgültig: » Wir sind ein Volk«. Diesen Wechsel hat sich das Kapital von jenseits der Grenze einiges kosten lassen, nach zuverlässiger Schätzung 50 Millionen Deutsche Mark. Denn das Kapital drängte mit aller Macht dorthin zurück, wo es 40 Jahre zuvor die Macht verloren hatte. Und die meisten Leute, die damals auf den Straßen waren, wollten eigentlich einen besseren Sozialismus und kein siegreiches Kapital. Die Regierenden des Landes DDR aber, die eigentlich in Veränderungen jene Hoffnung hätten sehen müssen, die Brecht als »Hoffnung des Volkes« lobte, hüllten sich, zurückgezogen in ein »Großes Haus«, in, wie sie meinten, klassenbewußtes Schweigen und stabilisierten die Lage, indem sie das Wort »Veränderung« einfach aus allen Veröffentlichungen strichen. Es war also die Zeit, die eigene Antworten dringender erforderte als je zuvor. Wir hatten den Rechtswissenschaftler Uwe Jens Heuer, der uns von Freunden empfohlen wurde, schon vorher mehrmals zu Meetings ins Berliner Ensemble eingeladen. Die Meetings waren eine Einrichtung, die noch auf Brecht zurückging. Sie sollten dazu dienen, jeweils aktuelle Fragen der Politik und der Gesellschaft mit Fachleuten zu diskutieren. Heuer hatte damals gerade sein Buch »Marxismus und Demokratie« beendet, ein Thema, das uns in vielen unserer Stücke immer wieder beschäftigt hatte. Ausgehend von dem Gedanken, daß Stabilität eines sozialistischen Landes nur in seiner ständigen Veränderung liegen kann und daß unsere Wirklichkeit nichts anderes ist als das tägliche Wirken der Menschen, die es bewohnen, versuchten wir im Theater, unserem Publikum nicht nur die Fähigkeit zu diesen Veränderungen zu vermitteln, sondern vor allem die Lust dazu. Gerade bei einer der letzten Inszenierungen damals, es war Heiner Müllers »Germania. Tod in Berlin«, waren wir auch auf einen Text von Brecht gestoßen, den er in seinem »Me-ti, Buch der Wendungen« als eine Art Anrede an die werktätige Bevölkerung geschrieben hat: »Aber hütet euch vor Leuten, die euch predigen, ihr seid dazu da, die Große Ordnung zu verwirklichen, die als Theorie fertig vorliege und nur verwirklicht werden müsse. Das sind Pfaffen. Sie lesen wieder einmal irgend etwas in den Sternen, was ihr machen sollt. Bisher wart ihr für die große Unordnung da, nun sollt ihr für die Große Ordnung da sein. In Wirklichkeit handelt es sich für euch doch darum, eure Angelegenheit in die eigene Hand zu nehmen und zu ordnen; dies machend schafft ihr die Große Ordnung.« Wir haben bei den Meetings mit Uwe Jens Heuer damals vieles besprochen, darunter natürlich auch Juristisches. Denn uns wollte damals nicht in den Sinn, warum die Regierung einen Regierungsbeschluß, der auf den letzten Willen Brechts zurückging, nicht in die Tat umsetzte. Nach diesem Beschluß sollte der Nachlaß Brechts nach dem Tod von Helene Weigel in die Hände der Akademie der Künste gelegt werden, und zwar bei Wahrung der finanziellen Ansprüche der Erben. Uwe Jens Heuer, als erfahrener Jurist der DDR, nannte uns sogleich den Grund: Trotz der Rechtskräftigkeit, die sie selbst geschaffen hätten, fänden sozialistische Politiker nicht den Mut, einen sozialistischen Beschluß umzusetzen, da sie fürchteten, die westliche Presse könne von einem Verstoß gegen westliches Rechtsverständnis sprechen. Schade, uns wäre viel erspart geblieben. Doch das nur nebenbei. Damals half uns Uwe Jens Heuer vor allem in einer entscheidenden Frage, nämlich wie es zu diesem Niedergang kommen konnte. 1989 schien uns Theaterleuten, daß die Wirren, die Staat und Gesellschaft erfaßt hatten, eine direkte Folge waren der zunehmenden Unsicherheit und Irritation führender Politiker, was nach unserer Meinung auch auf deren chronischen Theoriemangel zurückgeführt werden mußte. Uwe Jens Heuer belehrte uns mit einer Entdeckung, die uns überraschte. Ich möchte das, was er uns entdeckte, die »Flucht in die Gewißheit« nennen. Denn nach Heuers Meinung waren es nicht Unsicherheit oder Irritation der Politiker, die zur zunehmenden Verwirrung führten (und damit zur ihrer Unfähigkeit, mit entstehenden Konflikten umzugehen), es war im Gegenteil die Sicherheit, in der sie sich wähnten. Jene verhängnisvolle Gewißheit, als Marxisten stets die Wahrheit zu wissen und so nur das gesetzmäßig Richtige zu tun, führte in die Katastrophe. Man berief sich dabei auf Lenin, der gesagt hatte: »Der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist«, und vergaß dabei den Rest des Satzes, der den ersten Teil erst verifiziert. Denn da wird die »konkrete Analyse der konkreten Situation« gefordert. Diese falsche Gewißheit, Recht zu haben und durch den Marxismus ständig im Besitz der Wahrheit zu sein, ist eine alte Crux der Marxisten, die sich vor allem gegen Marx selber richtete. Heuer schreibt darüber: »Die Ereignisse des Jahres 1989 müssen beim letzten Marxisten jenes geschichtliche Denken in Frage gestellt haben, das die Geschichte einem naturnotwendigen Prozeß gleichsetzt, der keine Alternativen kennt und gleichsam die Garantie des Sieges gibt. Dieses Herangehen ist keine Erfindung von Stalin, wir finden sie ausgeprägt im Werk Kautskys, aber auch bei Engels. Seinen Höhepunkt erreicht es aber doch wohl im orthodoxen Marxismus-Leninismus und seinen Schulbuchversionen. Nicht nur von Rosa Luxemburg, auch in den Arbeiten Lenins, Gramscis, Ernst Blochs, Walter Benjamins und vieler anderer wurde immer wieder der Kampf gegen dieses Marxismusverständnis geführt. Es war vielleicht dem »Marsch der Kolonne« dienlich, nicht aber dem eigenverantwortlichen, selbstständigen Kampf … Hans Heinz Holz hat das in seiner Würdigung des Kommunistischen Manifests deutlich herausgearbeitet. Jede fundierte Prognose schließt auch die Wirkungen ein, die von dieser Prognose ausgehen, »weshalb sie stets eine Prognose über reale Möglichkeiten ist – und nicht vergleichbar mit dem Gewißheitsgrad der Voraussage einer Sonnenfinsternis oder dem Erscheinen des Halleyschen Kometen.« So Uwe Jens Heuer in seinem Buch »Marxismus und Politik«. Heute gibt es eine ganz andere »Flucht in die Gewißheit«, und zwar von ganz anderen Leuten zu ganz anderen Zwecken. Heute soll weltweit die Gewißheit verbreitet werden, daß es außer dem bestehenden System des Kapitalismus und seines Salto mortale, Neoliberalismus genannt, kein anderes System menschlichen Zusammenlebens geben könne. Durch intensives Marx-Studium, organisiert von McKinsey, sind auch Manager zu der Ansicht gekommen, daß eine Theorie nur zur materiellen Gewalt werden kann, wenn sie die Massen ergreift. Und so verkünden Kanzel, Katheder und Bildschirm unaufhörlich eine neue Religion. Sie trägt einen weiblichen Namen und stammt tatsächlich von einer Dame, die sich allerdings die »Eiserne Lady« nannte. Mit TINA (»There Is No Alternative«) beabsichtigte die Eiserne Lady, die Geschichte anzuhalten, da sie mit dem Neoliberalismus auf ihrem freiheitlichen Höhepunkt angekommen sei. Die stereotype Behauptung, diese Welt sei vielleicht nicht die beste aller Welten, aber heute die einzig mögliche, soll nun zum allgemeinen Alltagsbewußtsein der Menschen werden, das dann mehr noch als Gewalt die Herrschaft der »verordneten Unordnung und der planmäßigen Willkür« (Brecht) zuverlässig sichert. Wahrscheinlich war es die Sorge, daß diese Religion, die den Gott der Alternativlosigkeit anbetet, auch auf die Linke übergreifen könnte, die Heuer veranlaßte, folgenden Text zu schreiben: »Die marxistisch-leninistische Orthodoxie hatte die Theorie der Politik (und der politisch geformten Ideologie) unterworfen und ihre Autonomie weitgehend aufgehoben. Heute aber steht eine linke Partei vor einer ganz anderen Gefahr, daß nämlich die Politik sich von der Theorie gänzlich loslöst zugunsten des Aufgehens im bürgerlichen Politikbetrieb, wobei manche den Pragmatismus pur betreiben, andere Zitate von Marx, sogar von Lenin verwenden, gute Analysen und interessante Zukunftskonstruktionen vorlegen, die aber für die praktische Politik folgenlos bleiben. Ohne marxistische Theorie aber wird es auf die Dauer keine sozialistische Politik geben.« Soweit der Text, der aus den frühen neunziger Jahren stammt. Eine Eigenschaft Heuers, die einen Rechtwissenschaftler auch im Brechtschen Sinne zum Philosophen macht, ist sein Humor. Ich höre noch heute das plusternde Lachen eines anderen wichtigen marxistischen Philosophen, wenn er sagte: »Die Revolution ist eine zu ernste Sache, als daß sie ohne Humor zu machen ist.« Es war Hanns Eisler, der das sagte, bekanntlich im Hauptberuf Musiker. Und noch eine Eigenschaft, die ich an Hanns Eisler beobachten konnte und die ihn zum wirklichen Philosophen machte, finde ich auch bei Uwe Jens Heuer. In vertrauter Runde erweist er sich als Unterhalter von rabelaisschem Witz. Sein Humor wird es mir gestatten, noch von einer etwas anderen Eigenschaft zu sprechen, die, wie es scheint, besonders linke Philosophen befallen hat. Und ich will nicht verhehlen, daß sie auch häufig unter Theaterleuten anzutreffen ist. Die Forschung spricht von »authentischer Selbstgewißheit«. Der Volksmund sagt dazu: »Besserwissen«. Treffen zum Beispiel zwei linke Philosophen zusammen, egal ob zum Meinungsaustausch auf einem Kongreß oder zum Plausch in trauter Runde, ist sicher, daß die, die da als unzertrennbare Gleichgesinnte zusammenkommen, in der Regel als unversöhnliche Widersacher von einander scheiden. Jedenfalls bis zum nächsten Treffen, wo sich der Vorgang wiederholt. Marx soll da keine Ausnahme gebildet haben. Schon eine Differenz in Sachen »Ideologie« – zum Beispiel ob es sich dabei um »falsches« oder »interessiertes« Bewußtsein handelt, kann zur Folge haben, daß man sich nicht mehr grüßt. Der Vorschlag, nach einer Niederlage noch einmal einen ganz neuen Anfang mit Marx zu machen, kann mir nichts dir nichts dazu führen, ein »Marx-Liquidator« zu heißen… Natürlich braucht ein Mensch Gewißheiten, und sei es nur die, daß es keine ewigen Gewißheiten gibt. Und es wird für Marxisten immer eine wichtige Frage sein, wie ich zu Wissen komme, dessen ich mir gewiß sein kann. Also zu verläßlichem Wissen oder, wie Uwe Jens Heuer es in seinem Buch »Marxismus und Religion« vorschlägt, Wissen, an das ich glaube. Es bleibt also die Frage: Wie kann ich mir einer Sache gewiß sein? Und wie immer, wenn guter Rat teuer ist, ist Brecht zur Stelle. Er hatte es gar nicht ungern, wenn man ihn dazu gebrauchte, das, was man selbst sagen will, besser zu sagen. Brecht, von mir einmal befragt, warum das so sei, antwortete kurz und bündig: »Brechts Slogans sind die besten.« Seinen Galilei läßt Brecht zur Frage der Gewißheiten folgendes sagen: »Ich habe nicht vor, zu beweisen, daß ich bisher recht gehabt habe, sondern herauszufinden, ob. Ich sage: Laßt alle Hoffnung fahren, ihr, die ihr in die Beobachtung der Sonnenflecken eintretet! Vielleicht sind es Flecken, vielleicht sind es Sterne, aber bevor wir Flecken annehmen, welche uns am meisten gelegen kämen, wollen wir lieber annehmen, daß es Fischschwänze sind! Ja, wir werden alles, ja, alles noch einmal in Frage stellen… Und was wir heute finden, werden wir morgen von der Tafel streichen und erst wieder anschreiben, wenn wir es noch einmal gefunden haben. Und was wir zu finden wünschen, das werden wir, gefunden, mit besonderem Mißtrauen ansehen. Also werden wir an die Beobachtung der Sonne herangehen, mit dem unerbittlichen Entschluß, den Stillstand der Erde nachzuweisen! Und erst wenn wir gescheitert sind, … werden wir zu fragen anfangen, ob wir nicht doch recht gehabt haben und die Erde sich dreht! Sollte uns aber dann jede andere Annahme als diese unter den Händen zerronnen sein, dann keine Gnade mehr mit denen, die nicht geforscht haben und doch reden. Nehmt das Tuch vom Fernrohr und richtet es auf die Sonne!«
Erschienen in Ossietzky 16/2007 |
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