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DDR-Antifaschismus – nur ein Etikett?Arno Klönne Im unteren PISA-Rang wird die deutsche Vergangenheit ungefähr so verstanden: Nazis und Kommunisten haben einst eine schöne und florierende Demokratie kaputt gemacht, dann kam die erste deutsche Diktatur und anschließend, nach einer blutigen Rangelei zwischen den Geschwistern Hitler und Stalin, die zweite, diesmal nur ostdeutsche Diktatur als Verlängerung der ersten, lediglich unter anderem Vorzeichen, beherrscht von »rotlackierten Faschisten« – um einen Begriff zu verwenden, den einst Kurt Schumacher in der Auseinandersetzung mit KPD und SED unters Volk brachte. Soweit es sich bei jungen Leuten in dem besagten PISA-Rang um Sympathisanten der NPD handelt, nimmt sich diese Geschichte etwas anders aus: Die erste deutsche Diktatur war gar keine, sondern eine volksgemeinschaftliche Abwehrschlacht gegen jene Bolschewiken, die dann nach 1945 in Mitteldeutschland zeitweise die Macht an sich reißen konnten. Selbstverständlich sind solche Historiographien nicht Sache des gebildeten Diskurses. Der hat gegenwärtig eine klügere, durchaus eingängige Lesart von Geschichte im Angebot: Der »rote Totalitarismus« in Teildeutschland nach 1945 war nicht nur politisch und ökonomisch ein Desaster, er hat sogar in seinem antifaschistischen Anspruch versagt. Anders als in Westdeutschland beziehungsweise der Alt-Bundesrepublik ist eine Aufarbeitung der Geschichte des »Dritten Reiches« in der SBZ respektive der DDR nie geschehen, ehemalige Nationalsozialisten konnten dort – wenn sie systemloyal agierten – bruchlos weiterleben, der Antisemitismus genoß staatliche Billigung, der staatlich verordnete Antifaschismus war nichts weiter als eine Legitimationsformel für die Herrschaft der Kommunisten und zugleich ein gegen die westdeutsche Politik eingesetztes Propaganda-Instrument. Und eben deshalb ist Rechtsextremismus im wiedervereinigten Deutschland eine unerbetene Hinterlassenschaft der DDR. Soweit die Geschichte, wie wir sie glauben sollen. Aufwendige TV-Dokumentationen, zeitgeschichtliche Foren und akademische Publikationen legen uns diese Version nahe: Glückliches Westdeutschland, das den Faschismus so rasch und überzeugend hinter sich gelassen hatte, daß es des Antifaschismus nicht bedurfte – armes Ostdeutschland, dem infolge der SED-Diktatur der Faschismus immer noch tief in den Knochen sitzt... Muß ich dieses Geschichtsbild jetzt übernehmen? Mit meinen eigenen Erfahrungen, denen eines Westdeutschen, hat es nichts zu tun. Ich habe die frühe Bundesrepublik als eine Gesellschaft erlebt, in der die Wirklichkeit des deutschen Faschismus verdrängt, verschleiert und beschönigt wurde, in den Alltagsgesprächen, in der Publizistik, im Wissenschaftsbetrieb, in den Filmen, in den Reden der meisten Politiker. Wer dagegen aufmuckte, wurde als Außenseiter stigmatisiert oder eben als Kommunist, der den deutschen Wiederaufstieg stören wolle. Als Gymnasiast, Ende der 1940er Jahre, war ich auf der Suche nach Menschen und Traditionen, die dem Bündnis von Hakenkreuz und Stahlhelm entgegengestanden und sich nach 1933 als widerständig erwiesen hatten, und als Student in den 1950er Jahren setzte ich solche »Nachforschungen« fort; bei aller Kritik an einer stalinistischen Vergangenheit und der damaligen SED-Gegenwart ergab sich für mich dabei ein klarer geschichtlicher Sachverhalt: Die DDR stellte ein politisches Terrain dar, in dem Alternativen zu Hitlerdeutschland in Erinnerung gehalten und öffentlich gemacht wurden, ganz anders als in den politisch-offiziellen Gefilden der BRD. Ein Beispiel: Antifaschistische Literatur aus der Zeit vor 1933 oder aus dem Exil war am ehesten bei DDR-Verlagen zu finden, und nur die DEFA bot Filme an, die über das »Dritte Reich« und den Widerstand aufklärten. Einige Zeit später, als ich beruflich mit historisch-politischer Jugendbildung zu tun hatte, kam eine weitere Erfahrung hinzu: Dokumentarisches Material über die Staatsverbrechen des »Dritten Reiches«, auch über die Politik der Vernichtung des europäischen Judentums, war merkwürdigerweise in den westdeutschen Archiven kaum irgendwo aufzufinden; man mußte es sich aus der DDR besorgen, und von dorther kamen auch die ersten systematischen Informationen über jene Nazi-Elite, die nach 1945 unangefochten in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen Westdeutschlands saß. Aus westdeutscher Sicht also stellt sich heraus: In der deutschen Nachkriegsgeschichte blieb es keineswegs ohne Wirkung, daß die DDR sich staatsoffiziell antifaschistischen Überlieferungen verpflichtet fühlte. Die fragwürdigen Seiten des DDR-Antifaschismus sind damit nicht weggedacht. Zweifellos war vieles in der Darstellung des Widerstandes gegen den Faschismus, wie sie in der DDR gepflegt wurde, parteikommunistisch verengt. Auch wurden in der DDR Warnungen vor einem neuen Faschismus allzu oft tagespolitisch instrumentalisiert und versimpelt für die Auseinandersetzung mit der Politik der BRD. Die durchaus zutreffende Feststellung, daß vom Faschismus analytisch nicht reden kann, wer vom Kapitalismus schweigt, wurde von DDR-Autoren nicht selten zum Banalen hin verkürzt. Und schließlich ist zu bedenken, daß staatlich angeordnete und organisierte politische Pädagogik, auch antifaschistische, stets in Gefahr ist, sich in Ritual und Routine zu verwandeln. Allerdings ist hier von Kurzschlüssen abzuraten: Daß gegenwärtig in manchen Regionen der neuen Bundesländer die neofaschistische Werbung günstigen Boden findet, ist nicht in erster Linie auf die inneren Schwächen des DDR-Antifaschismus zurückzuführen. Eher darauf, daß nach dem Untergang des ostdeutschen Staates im gesamtdeutschen ideologischen Trend mit der kommunistischen Tradition ja auch deren antifaschistische Inhalte verworfen schienen. Und ganz gewiß auch darauf, daß gerade im ostdeutschen Terrain nach dem Anschluß an die Bundesrepublik sich jene sozialen Verwerfungen kapitalistischer Ökonomie herausstellten, aus denen faschistische Demagogie ihren Nutzen zieht. Eine Ironie der Geschichte: So manches, was in der DDR mitunter reichlich schulmeisterlich dem Publikum über Herkünfte des faschistischen Weltbildes dargelegt wurde, erweist sich als realitätsnah in Zeiten, in denen der DDR-Antifaschismus allgemeiner Verdammung anheimfällt. Die seriöseren der zahlreichen demoskopischen Studien über Neigungen zu einem faschistischen Weltbild und deren regionale Verteilung führen zu einem bemerkenswerten Ergebnis: Im Vergleich der alten und der neuen Bundesländer schneidet, was die Abkehr von hitlerdeutschen Mentalitäten angeht, die ältere Generation in Ostdeutschland gut ab. Politische Sozialisation in der DDR ist offenbar in dieser Hinsicht bei allen schon genannten inneren Schwächen und Widersprüchen durchaus nicht erfolglos gewesen. Und die Gründe dafür? Neofaschistische Agitation hatte dort keine Chance, öffentlich aufzutreten. Damit war die untergründige Weitergabe faschistischer Ideen nicht verhindert, aber es war ein Zeichen gesetzt: Nie wieder! Anders als in Westdeutschland war in der DDR in Wirtschaft, Politik und Kultur ein systematischer Wechsel des Leitungspersonals vollzogen worden, hier konnten sich ehemalige Nazis oder Helfershelfer des NS-Staates nicht auf den Satz berufen, was im »Dritten Reich« Recht gewesen war, könne nach 1945 nicht Unrecht sein. Ein historischer Bruch stand außer Frage, seine Begründung außer Zweifel. Und die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand war im öffentlichen Raum der DDR überall gegenwärtig. Nicht ohne Verengungen in der historischen Sichtweise, auch nicht ohne didaktische Torheiten, aber doch so, daß weithin bewußt wurde: Es gab das eine – und es gab das andere Deutschland in der Epoche des Faschismus. Zu diskutieren wäre, was sich aus den Erfahrungen mit dem Antifaschismus in der DDR, den produktiven und den problematischen, in die Gegenwart hereinholen läßt – in einen Staat, der sich als freiheitlich-demokratisch, jedoch nicht als antifaschistisch definiert (eine Differenz, die des Nachdenkens wert ist).
Erschienen in Ossietzky 16/2007 |
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