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Mit der unverkennbaren Kommentarstimme Herwart Grosses aus dem Ensemble des Deutschen Theaters wurde aufgezählt, was die »Brüder« Siemens, Flick, Abs und Zitzewitz und »Schwestern« wie Pferdmenges und Thyssen im Osten am Besitz verloren hatten: »Alle diese Brüder und Schwestern möchten sich mit ihren verlorengegangenen Ost-Werten – Millionen und Milliarden plus Zins und Zinseszins wieder vereinen.« Was damals undenkbar erschien ... Später schuf Heynowski zusammen mit seinem vom Rundfunk kommenden Kollegen Gerhard Scheumann in dem heute legendären Studio H & S vor allem Filme über die politischen Brennpunkte der 60er/70er Jahre, Vietnam und Chile. Sie lieferten damit wichtige Gegeninformationen zu den dominierenden westlichen Darstellungen. Heute erweisen sich diese Filme als unschätzbare Zeitdokumente von weitgehend vergessenen Schauplätzen des Kalten Krieges und des internationalen Klassenkampfes, nützlich als Lehrstücke für aktuelle Auseinandersetzungen um Afghanistan, Irak, Venezuela, Bolivien. Die Dokumentarfilmwerkstatt H & S entwickelte spezifische Ausdrucksformen für eine »Kommunistische Dechiffrierung der Wirklichkeit«, wie sie einmal Dsiga Wertow gefordert hatte. Jetzt legt Heynowski seine Jugenderinnerungen vor, in denen er sich als ebenso akribischer Rechercheur bewährt wie in seinen Filmen, diesmal in eigener Sache. Durch die Einbeziehung auch vieler anderer Quellen entsteht ein für die »Flakhelfergeneration« exemplarischer Lebensbericht, weit mehr als persönliche Memoiren ein Rückblick auf Zeitgeschichte, den man auch all jenen Besserwissern zur Lektüre empfehlen möchte, die bar eigenen Erlebens, gestützt auf hervorgekramte fragwürdige Dokumente, über die Jugend prominenter Linksintellektueller urteilen, um sie als einstige kleine Nazis zu denunzieren: Walser, Jens, Hildebrandt, Dorst et cetera. Fortsetzung wahrscheinlich. Nach einer glücklichen Jugend in Ingolstadt und erstem NS-Drill in einer »Heimschule« wurde Heynowski, Jahrgang 1927, 1943 wie Grass, Walser, Loest, de Bruyn, Enzensberger und Ratzinger einer von knapp 200.000 Luftwaffenhelfern. Ein erster journalistischer Versuch erschien in der Jungvolk-Zeitschrift Der Pimpf und brachte den Verfasser mit dem Hauptschriftleiter (die Bezeichnung Redakteur hatte Goebbels per Pressegesetz verboten) Herbert Reinecker zusammen, damals auch erfolgreicher NS-Theater- und Drehbuchautor, nach dem Kriege produktiver Lieferant für Film und Fernsehen in Westdeutschland (»Derrick«). Der HJ-Oberbannführer unterstützte den Wunsch seines Besuchers, Kriegsberichterstatter zu werden. Dazu wurde nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 laut Führerbefehl nur noch bei der Waffen-SS ausgebildet. Bei einem Lehrgang in Berlin-Zehlendorf sah sich Heynowski »nun umstellt von Totenköpfen und SS-Runen«. Vom Schicksal, danach zu einer der Divisionen »Frundsberg«, »Hohenstaufen« oder »Hitlerjugend« einberufen zu werden, bewahrte ihn das Urteil einer selektierenden SS-Ärztekommission: »Nicht tauglich – nichtgermanisches Aussehen«. Statt dessen erlebt er die letzten Kriegstage als »Schütze Arsch« in Thüringen und im heimatlichen Ingolstadt und landet als Kriegsgefangener auf dem Acker in Bad Kreuznach. Seine ausführliche Darstellung der »Rheinwiesenlager« (der Rezensent kann sie aus eigener Erfahrung im benachbarten Sinzig bestätigen), ist um so verdienstvoller, als bis auf ein bei Ullstein erschienenes Buch des kanadischen Journalisten James Bacque »Der geplante Tod – Deutsche Kriegsgefangene in amerikanischen und französischen Lagern 1945–1947« dieses Thema ein weißer Fleck in der Geschichtsschreibung geblieben ist. Die Episode eines zweisemestrigen Studiums katholischer Theologie in Tübingen ist Heynowski nur kurzer Erwähnung wert. Ausführlicher geht er auf seine Redakteurstätigkeit bei der kurzlebigen Jugendzeitschrift Die Zukunft in der französischen Besatzungszone ein, von der er viele Querverbindungen zieht. Überhaupt beherrschen den zweiten Teil seines Buches weitgehend unbekannte oder vergessene Details von Biographien bekannter Zeitgenossen, belegt mit zahlreichen Quellenzitaten und Dokumenten. Hier profitiert das Buch vom eigentlichen Metier seines Autors. Viel erfährt man beispielsweise über den Münchner Verleger Helmut Kindler und seine antifaschistischen Aktivitäten im »Dritten Reich«, die wiederum zu Rudolf Herrnstadt und der »Roten Kapelle« führen. Deren hingerichtetem Mitglied Ilse Stöbe wollte Heynowski einen seiner nichtgedrehten Filme widmen. Schon die vielen gedrehten würden genug spannenden Stoff für eine Fortsetzung seiner Jugenderinnerungen liefern. Diese enden damit, daß Heynowski 1948 von der Wohnung der Eltern in Berlin-Steglitz täglich in den Ostteil der Stadt fährt, wo er 1949 Chefredakteur der dann zum Eulenspiegel gewandelten Satirezeitschrift Frischer Wind wird. Einer von mehreren namhaften DDR-Publizisten, die, im beginnenden Kalten Krieg kommunistischer Tendenzen verdächtigt, aus dem Westen in den Osten gingen. Als fast Achtzigjähriger blickt Heynowski bei der Lektüre von Helmut Kindlers Lebensbericht zurück: »Was hätte aus Deutschland werden können – ohne Spaltung? Ohne als Objekt zweier sich bekämpfender Systeme herhalten zu müssen. In einer antifaschistischen Demokratie, in der wir Jüngeren solche Vorbilder nötig gehabt hätten.« Walter Heynowski: »Der Film meines Leben. Zerschossene Jugend«, Verlag Das Neue Berlin, 335 Seiten, 19.90 €
Erschienen in Ossietzky 16/2007 |
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