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Nein, schuld war, wie wir nun durch Pawelka wissen, der Jude, der Kommunist, der Schriftsteller Ilja Ehrenburg. Dessen Tötungsaufrufe an die sowjetischen Soldaten seien »der eigentliche Grund, warum diese Gräuel in diesem Maße vorgekommen sind«. Da wurde also eine neue, noch aggressiver klingende Strophe eines alten Liedes angestimmt: Ehrenburg als Haßprediger und als Anstifter zu Mord und Vergewaltigung. Für diese Behauptung mußte schon früher ein Flugblatt aus der Endphase des Krieges herhalten, in dem dazu aufgerufen wurde, den »Rassenhochmut der germanischen Frauen« zu brechen, sie »als rechtmäßige Beute« zu nehmen. Doch nicht nur Ehrenburg selbst, sondern auch andere haben seine Autorschaft für dieses Flugblatts, von dem bislang niemand ein Original gesehen hat, stets bestritten. Es handelt sich also wohl um eine bewußte Fälschung. Aufgeklärt ist inzwischen ein Vorgang um einen Prawda -Artikel vom 14. April 1945 aus der Feder Georgi Alexandrows, Abteilungsleiter im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Unter der Überschrift »Genosse Ehrenburg vereinfacht« wurde der Schriftsteller dafür gerügt, daß er die Verlegung deutscher Truppenteile von der West- an die Ostfront mit der größeren Furcht vor sowjetischer Besetzung erklärt hatte. Alexandrow verkündete beruhigend, die Rote Armee führe einen »Kampf um die Liquidation der Hitler-Armee«, beabsichtige jedoch nicht, »das deutsche Volk zu vernichten«. Ehrenburg schrieb daraufhin tief betroffen einen Brief an Stalin, in dem er darlegte, daß es keinen Gegensatz zwischen seinem und Alexandrows Standpunkt gebe. Dennoch stand er bis Kriegsende faktisch unter Schreibverbot. Neuere Forschung (Carola Tischler) verweist auf zwei wichtige Tatsachen. Erstens: Stalin hatte in einem denunziatorischen Schreiben die Mitteilung erhalten, Ehrenburg habe auf vielen Versammlungen das kulturlose Verhalten von Rotarmisten bei der Besetzung Deutschlands scharf kritisiert. Zweitens: Der Alexandrow-Artikel richtete sich in erster Linie an die Adresse der Alliierten, denen die Stalinsche Führung das Festhalten an der abgesprochenen Politik gegenüber Nazideutschland signalisieren wollte. Fazit: Ilja Ehrenburg war das Bauernopfer der Diplomatie vor der Potsdamer Konferenz. In der für die Begegnung mit der deutschen Bevölkerung entscheidenden Kriegsphase hatte er genau das Gegenteil dessen getan, wofür ihn Politiker und Medien hierzulande immer aufs neue an den Pranger stellen. Freilich hatte er in der kritischsten Phase der deutschen Aggression als unermüdlicher Publizist die barbarischen Züge der faschistischen Kriegsführung gebrandmarkt und dabei auch vom Haß als mobilisierender Kraft gesprochen (wie Scholochow mit seiner Erzählung »Schule des Hasses«, 1942). Eine pauschale Verteufelung alles Deutschen hingegen lag ihm fern und ist in seinem Werk nicht auffindbar. In Zeiten, wo viel von »Europa« die Rede ist, wäre es angebracht, auf Ehrenburg zurückzukommen – als jemand, der sich, kosmopolitisch geprägt, anhaltend und engagiert mit europäischer Kultur und Zivilisation beschäftigt hat. Schon in seinem ersten, mit feuilletonistischer Leichtigkeit geschriebenen Roman »Die ungewöhnlichen Abenteuer des Julio Jurenito« (1922), in dem er den »Meister« als »Provokateur der Weltgeschichte« (Ralf Schröder) durch den alten Kontinent schickt, dem sich nationaltypische Charakterfiguren als »Jünger« zugesellen, präsentiert er seinen Lesern ein Innenbild europäischer Daseinsweisen und Befindlichkeiten. Und es ist beklemmend zu lesen, bis wohin ihn die (vielleicht durch das Erbe langer jüdischer Leidenserfahrung sensibilierte) dichterische Phantasie trägt – etwa wenn der »Meister« in seinem Pariser Studio eine Einladung verfaßt, in der von »feierlichen Veranstaltungen« zur »Ausrottung der Juden« in verschiedenen europäischen Städten die Rede ist. Der russische Jünger, der entsetzt ausruft, solches sei doch im zwanzigsten Jahrhundert undenkbar, erhält zur Antwort, eben dieses werde sich »als ein sehr lustiges und leichtsinniges, als ein Jahrhundert ohne moralische Vorurteile entpuppen…« Bald darauf wendet sich der »Meister« an die Behörden mit der Bitte, ihm für wichtige Experimente mit »Stickgasen« eine Gruppe Kriegsgefangener zur Verfügung zu stellen. Und der Jünger aus Deutschland mit Namen Schmidt eröffnet dem Russen, er werde, bevor sein Land an der Reihe sei, »mit einem unserer Konzentrationslager fürlieb nehmen müssen«, dort werde er »die deutsche Organisation und die deutsche Kultur kennenlernen«… Vierzig Jahre später schrieb Ehrenburg aus erfahrungsgesättigter, altersweiser Sicht seine Memoiren »Menschen, Jahre, Leben« und ließ ein ganzes Zeitalter Revue passieren. Da hatten sich selbst seine schlimmsten Vorahnungen mehr als bestätigt. Erstaunlich war allein schon, daß ihm nach allem Erlebten und über die bestehenden ost-westlichen Klüfte hinweg eine solche Zusammenschau gelang. Und mit welch ungebrochener geistiger Kraft war dies geschrieben, mit welcher unglaublichen Fülle lebendiger Porträts: Da präsentierte sich die europäische Geisteswelt ebenso wie die wechselnde Politszene, und all dies konnte nur jemand entwerfen, bei dem sich ein Literatendasein mit dem eines vielbeschäftigten Diplomaten verband. Aber erneut gab es Widerstände: In der DDR blockierte die Zensur jahrelang die deutsche Übersetzung, in der BRD bedrohten Rechtsradikale und andere Ehrenburg-Hasser den Kindler-Verlag und bewirkten eine Verzögerung der Buchausgabe. Es scheint so, als ob die unrühmlichen Seiten des hiesigen Ehrenburg-Kapitels nicht eher abgeschlossen sein werden, bevor nicht die deutsch-russischen Beziehungen von den revanchistischen Restbeständen der kriegerischen Vergangenheit befreit sind. Gegenwärtig, in einem Moment wiederum zunehmender rußlandfeindlicher Töne, stehen die Chancen dafür nicht sonderlich gut.
Der Oberbürgermeister von Rostock, Roland Methling, hat die Umbenennung der dortigen Ehrenburgstraße ins Auge gefaßt. Die NPD schlug vor, den Namen Ehrenburg durch den des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu ersetzen. Die Ossietzky -Redaktion regte in einem Schreiben an Methling an, eine internationale Ehrenburg-Konferenz einzuberufen. Das Büro des Oberbürgermeisters, dem sehr viele Briefe zugingen, bewertete unsere Anregung als »konstruktiv«. Die Konferenz wird sich allerdings nur dann als konstruktiv erweisen, wenn sie als Forum für Ehrenburg-Kenner konzipiert wird.
Erschienen in Ossietzky 16/2007 |
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