Bei der Dorfjugend von Velika Hoca

Gabriele Senft  

Ostersonntag nachmittag in Velika Hoca gestaltet jeder der Reisenden nach seinem Wunsche. Beim Schlendern durchs Dorf begegnet mir Peter Handke, oberhalb des Weges an einem belaubten Gang. Ich möchte ihn nicht mit meiner Kamera stören.

Mir schließen sich zwei sehr sympathische 15jährige Mädchen an. Wir können uns gut auf Englisch unterhalten, so daß ich ihnen von meinem Sohn in ihrem Alter erzählen kann. Die beiden Freundinnen Tania und Daliburka sind aufgeschlossen und wißbegierig, und so finde ich mich bald an der festlich ausgestatteten Ostertafel bei Tanias Familie.

Auch Daniel, ihren achtjährigen Bruder, der uns heute am Dorfplatz Sonnenblumenkerne anbot und mit Rolf Becker Fußball spielte, treffe ich wieder. Die Mädchen wohnen die Woche über in einem Internat in Kosovska Mitrovica, gehen dort zur Schule. Jetzt genießen sie die Osterferien in ihrem Heimatort.

Als ich vor dem Abendprogramm einen Abstecher zu meinem Schlafquartier mache, begleiten sie mich am »Cafe Sesam« vorbei, wo Vorkehrungen für die abendliche Disco der Dorfjugend getroffen werden: Wenn ich den Mut hätte, dorthin zu kommen, ich könne auch sie dort antreffen.

Jedoch bis Mitternacht hält mich die Herzlichkeit der älteren Dorfbewohner im Gemeindezentrum. Der serbische Gesang, Musik, Tanz, Umarmungen, seltene serbische Speisen, Trinksprüche und Freundschaftsbekundungen. Käthe Reichel beeindruckt alle durch Energie und Lebensfreude. Und Peter Handke versucht, einige Lieder mit der Maultrommel zu begleiten.

Aber ich bin doch neugierig, wie es in der Disco zugeht, und so zieht es mich danach ins »Cafe Sesam«. Ich habe ja die Einladung der Mädchen, die ich aber zu so später Stunde nicht mehr antreffe. Etwas amüsierte, aber auch anerkennende Blicke ernte ich, daß ich mich zu den hier versammelten Jugendlichen wage, ihre Eltern trauen sich nicht in diese Gesellschaft.

Sie bieten mir zu trinken an, und ich werde auch zum Tanzen aufgefordert, was ich nicht ablehne. Natürlich bin ich ein exotisch anmutender Gast, aber ich habe meine Fotokamera dabei – und so werde ich akzeptiert. Die größte Stimmung kommt – wie bei der älteren Generation – bei der traditionellen serbischen Musik auf, die voller Inbrunst mitgesungen wird.

Als ich mich verabschieden möchte, komme ich mit zwei jungen Männern ins Gespräch. Wir stellen bald fest, daß ich am Tage bereits ihre Ehefrauen kennengelernt habe, die wegen der kleinen Kinder nicht hier sind. Sie sprechen als sorgenvolle Familienväter und sagen mir nun auch, was sie von unserer Spendenaktion für ihr Dorf halten. »Und wenn ihr uns eine Million Euro gebracht hättet… Wichtig ist nur, daß ihr da seid, nicht das Geld.« Bojan sagt das, der als Handelsvertreter schon einige Länder kennengelernt hat. »Wir haben hier kein richtiges Zuhause mehr, wir müssen weg hier, mein Sohn hat hier keine Chance. Vielleicht gehen wir nach Italien oder nach Griechenland oder nach Deutschland…« Meine beiden aufmerksamen Gesprächspartner begleiten mich noch bis vor s Hoftor, zwei liebenswerte, höfliche Männer. Ich drücke ihnen noch einen schnell aufgeschriebenen Gruß für meine Freundinnen Tania und Daliburka in die Hand.

Gabriele Senft arbeitet als Fotografin in Berlin. Buchveröffentlichung: »Die Brücke von Varvarin«.

GAGI, KOSOVO JE SRBIJA (25. Aug. 2007, 14:59)

Erschienen in Ossietzky 15/2007