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Und standen jetzt, Ostersonntag 2007, versammelt mit einem Teil der Gemeinde und ihren weltlichen und kirchlichen Vertretern in einem Obstgarten vor einer frühmittelalterlichen Kapelle, um im Namen Heinrich Heines einen Dichter zu ehren, dem diese Auszeichnung im Land seiner Sprache verwehrt worden war. Peter Handke. In der Ferne die Schneegipfel der Grenzgebirge zu Mazedonien und Albanien. Deutlich näher, auf einem Hang in Richtung des albanischen Teils der Großgemeinde Orahovac, zu der Velika Hodca gehört, die Antennen und Flutlichtmasten einer K-FOR-Station. Die Fröhlich- und Freundlichkeit der Stunde gebrochen durch Wirklichkeiten und Einsichten, denen sich keiner entziehen konnte. 1991 bereits hatte Handke in »Abschied des Träumers vom Neunten Land« Stellung gegen die Zerschlagung Jugoslawiens bezogen und dabei weder die deutsche Außenpolitik noch die Medien ausgespart, die die Serben als Aggressoren brandmarkten und den slowenischen Nationalismus als Fortschritt feierten. 1996 – drei Jahre vor dem NATO-Krieg – erschien in der Süddeutschen Zeitung als Vorabdruck Peter Handkes »Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien«. Er sah und beschrieb, wie mit Hilfe der Medien der Überfall auf Serbien vorbereitet wurde. Und wagte zu fragen: »Wird die Geschichte der Zerschlagungskriege jetzt nicht vielleicht einmal ziemlich anders geschrieben werden als in den heutigen Voraus-Schuldzuweisungen? Aber ist sie durch diese nicht schon längst für alle Zukunft festgeschrieben? Festgeschrieben? Nicht eher starrgestellt?, wie nach 1914, wie nach 1941 – starrgestellt und starrgezurrt auch im Bewußtsein der jugoslawischen Nachbarvölker, Österreichs vor allem und Deutschlands, und so bereit zum nächsten Losbrechen, zum nächsten 1991?« Und benannte »die Magazine, von Time bis zum Nouvel Observateur«, die »den Krieg unter die Kunden bringen«, darunter das Blatt, das sich hierzulande dabei besonders hervortut: »Es interessiert mich inzwischen, wie in dem zentralen Serbenfressblatt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deren Haßwortführer dort, deren Grundstock des Hasses, ein fast tagtäglich gegen alles Jugoslawische und Serbische im Stil(?) eines Scharfrichters leitartikelnder (›ist zu entfernen‹, ›ist abzutrennen‹, ›hat kaltgestellt zu werden‹) Reißwolf & Geifermüller – interessiert mich, wie dieser Journalist zu seiner Ausdauer im Wortbeschuß, von seinem deutschen Hochsitz aus, wohl gekommen sein mag. (…) Aber natürlich handelt (ja, handelt) er nicht allein; die ganze Zeitung weiß, was sie tut.« Die Reaktion, nicht nur in den Feuilletons, geht über Empörung weit hinaus, von sachlicher Auseinandersetzung mit dem von ihm meist fragend Vorgetragenen ist, anders als bei seinem »Abschied des Träumers vom Neunten Land«, keine Rede mehr. Nicht nur seine Meinung wird in Frage gestellt, sondern sein Schreiben überhaupt und auch er als Person. Eine der Antworten Peter Handkes darauf (im stern-Interview vom 1.3.1996): "Ich scheiße darauf, ob ich ein Dichter bin oder nicht. Ich bin ein sprachempfindlicher Mensch, und vielleicht bin ich ein Gerechtigkeitsidiot. Das Problem ist, daß keiner bei meinem Text bleibt.« Und auch: »Nie in meinem Leben hat es mich dorthin gezogen, wo das Tagesgeschehen im Vordergrund steht. Jetzt zum ersten Mal bin ich verwickelt in etwas, was für mich immer der Horror war, nämlich die Geschichte. Und ich bin höchlichst damit einverstanden. In meinem Lebe-Leben und in meinem Schreiben ist etwas hinzugekommen, was mir bisher gefehlt hat.« 1999, Überfall der NATO auf Serbien. Für Deutschland der erste Angriffskrieg seit 1939 und der dritte innerhalb eines Jahrhunderts gegen Serbien. Die Welt, 29.3.1999, fünf Tage nach Beginn des Bombardements: »Er hatte versprochen, in Belgrad zu sein, wenn die NATO mit ihren Luftangriffen begänne. Wahrscheinlicher ist, daß er zu Hause in Chaville bei Paris sitzt und den Krieg am Fernseher beobachtet.« Und Der Spiegel, vom gleichen Tag: »Was aber soll nun aus dem Haspelmann Handke werden? ›Mein Platz ist in Serbien, wenn die NATO-Verbrecher das Land bombardieren‹, hat er versprochen. Bis Ende vergangener Woche aber war noch unklar, ob die Heeresgruppe Amselfeld mit ihm rechnen darf.« Stimmen der gleichen Presse, die als Wahrheit verbreitete, was in Berlin gelogen wurde. Peter Handke fuhr nach Jugoslawien, während des Krieges, vom 31.März bis zum 3. April und vom 23. bis zum 29. April. Seine Aufzeichnungen während dieser Tage erschienen (auszugsweise) noch vor Kriegsende: »Unter Tränen fragend«. Und er fuhr nach Den Haag, aus Protest gegen das Tribunal, eingerichtet auf Druck der USA zur Rechtfertigung des völkerrechtswidrigen Krieges der NATO, das, »so viel es auch formal Recht sprechen mag, von Anfang, Grund und Ursprung falsch ist und falsch bleibt und das Falsche tut und das Falsche getan haben wird«. Und besuchte Milosevic in seiner Zelle, schrieb »Rund um das Tribunal« und »Die Tablas von Daimiel«: »… gäbe es die Möglichkeit von Prozessen, z.B. gegen den NATO-Bombenkrieg. Nur erklären sich dafür sämtliche Gerichte der Welt – siehe wieder die Opfer der Brücke von Varvarin – eben unzuständig, die lokalen wie die nationalen, die internationalen wie die universellen.« Und fuhr zur Beerdigung von Milosevic. Das Unisono fast der gesamten Presse hallt noch nach: Der Heinrich-Heine-Preis-Träger der Stadt Düsseldorf dürfe nicht Peter Handke heißen. Vergebens seine seit Jahren wiederholten Erklärungen wie: »Hier geht es ganz und gar nicht um ein ›Ich klage an‹. Es drängt mich nur nach Gerechtigkeit. Oder vielleicht überhaupt bloß nach Bedenklichkeit, Zu-bedenken-Geben.« Was ist damit gesagt, was nicht gesagt werden darf? Die Antwort mag erschrecken: alles. Das Drängen nach Gerechtigkeit schließt die Fragen nach Wahrheit ein, das Bemühen um Verständigung und Mitmenschlichkeit. Begrifflichkeiten, die als abstrakte Forderungen keiner von denen, die Peter Handke ausschließen und verdammen möchten, in Frage stellen würde. Die Widersprüche werden sichtbar erst im Konkreten. In der Wirklichkeit des Bombenterrors, in serbischen Enklaven wie Velika Hodca »im Elendstrichter Europas«. Wer fordert, der Dichter müsse davon absehen, will nicht nur den Dichter nicht, sondern will keine Dichtung. Das niedergehende Bürgertum ist gezwungen, Werte zu verleugnen, die es einst selbst hervorgebracht hat, seine Moral, Wissenschaft, Kunst. Die Geschichte geht weiter. Sie verweist auf die nachfolgende Gesellschaft, der die Zukunft gehört. Heinrich Heine: »Der Gedanke, den wir gedacht, läßt uns keine Ruhe, bis wir ihm einen Leib gegeben, bis wir ihn zur sinnlichen Erscheinung gefördert. Der Gedanke will Tat, das Wort will Fleisch werden.« Der Schauspieler Rolf Becker initiierte während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien eine Reise deutscher Gewerkschafter unter dem Motto »Dialog von unten statt Bomben von oben«
Erschienen in Ossietzky 15/2007 |
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