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Heute, nach den Untersuchungen des ehemaligen Brigadegenerals und Leiters des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, Heinz Loquai, scheint dies festzustehen: Das »Massaker von Racak«, mit dem wir kriegsbereit gemacht werden sollten, war mit hoher Sicherheit eine (leider normale) Schießerei zwischen Bürgerkriegsgegnern. Und der »Hufeisenplan« zur Vertreibung aller Kosovoalbaner, mit dem Verteidigungsminister Scharping die Bombardierung Jugoslawiens rechtfertigte, war eine Erfindung des Bundesverteidigungsministeriums, um die erst nach der NATO-Bombardierung einsetzenden großen Flüchtlingsströme zu begründen. Wir wissen heute, daß es 1999 entgegen der Behauptung von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping in der Kosovohauptstadt Pristina kein serbisches KZ gab. Wohl aber gab es 1944 an diesem Ort ein deutsches KZ, in dem mit Hilfe von kosovoalbanischen SS-Leuten Juden, Serben und Roma ermordet wurden. Wir wissen, daß im jugoslawischen Bürgerkrieg von allen Seiten schwere Verbrechen begangen wurden, Verbrechen, die es aber nicht rechtfertigen, mit der Parole »Nie wieder Auschwitz« (Außenminister Joseph Fischer) zugunsten einer Seite einzugreifen, die schon im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Großdeutschlands stand. Schon im Ersten Weltkrieg haben berühmte deutsche Schriftsteller und Professoren sich in gemeinsamen Erklärungen und Aufrufen hinter ihre Regierung gestellt und die deutsche Propaganda unterstützt. Wir warnen vor Fortsetzung in einer Zeit, in der die Bundeswehr als Krisenreaktionsstreitmacht fähig gemacht werden soll, jederzeit und an jedem Punkt der Welt militärisch einzugreifen. Die – entschieden selektive – Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in den Staaten, die wir zu Recht oder zu Unrecht als Schurkenstaaten betrachten, kann keine Rechtfertigung dafür sein, daß von deutschem Boden wieder Krieg ausgeht. Wir fordern Mißtrauen gegenüber allen deutschen Regierungen, die sich so leichtfertig wie das gegenwärtige Kabinett zu kriegerischen Einsätzen bereit finden. Wir fordern die deutschen Medien auf, sich nach dem Vorbild der französischen Presse bei ihren Lesern, Hörern und Zuschauern für die Fehlinformationen zu entschuldigen, die ungewollt erfolgten, da man der Desinformation und Propaganda der Regierung geglaubt hatte. Dies alles war keine Entschließung des deutschen PEN. Es war – im Jahr 2000 auf der PEN-Mitgliederversammlung in Nürnberg – eine Fehlspekulation von Christoph Hein und mir. Wir hatten geglaubt, daß es diesmal anders laufen könne als 1914. Daß diesmal die deutschen Intellektuellen sich nicht hinter den Krieg ihrer Regierung stellen. Das war ein selbstverschuldeter Irrtum. Mit Grandezza servierte Johano Strasser, der damalige Generalsekretär (und heutige Präsident) des PEN aus der Grundwertekommission der SPD, unseren Antrag am Ende der Mitgliederversammlung ab: Wir haben nur noch zehn Minuten. Das gemeinsame Mittagessen muß pünktlich eingenommen werden. Alles, was im Antrag stehe, so stellte Johano Strasser als Versammlungsleiter fest, sei falsch. Den »Hufeisenplan« etwa, mit dem die Bombardierung Jugoslawiens begründet wurde, habe es doch gegeben. Sein Freund Scharping habe ihm das ausdrücklich versichert. Und jetzt schnell abstimmen, sonst wird das Essen kalt. 78 Mitglieder stimmten gegen den Antrag, ganze neun stimmten zu, und die deutschen Intellektuellen, soweit sie im PEN angesiedelt sind, konnten ihr Essen warm einnehmen. Die Mitglieder des deutschen PEN stehen heute mit diesen 78 Nein-Stimmen kaum schlechter da als 1914 die 93 berühmten Schriftsteller und Professoren mit ihrem Aufruf »An die Kulturwelt«. Sie stellten sich, damals, als unser Volk sich erhoben hatte »wie ein Mann«, ebenfalls hinter Wilhelm II., den »Schirmherrn des Weltfriedens«, hinter »Deutschlands reine Sache« und verkündeten: »Es ist nicht wahr, daß unsere Kriegführung die Gesetze des Völkerrechts mißachtet.« Freund Scharping hatte als Verteidigungsminister auch viel über die Verbrechen der Serben beschworen: »Und wenn einem Flüchtlinge erzählen, und das nicht einmal, sondern mehrfach, daß man Frauen ihre Kinder aus den Armen reißt und ihre Köpfe abschneidet, um mit ihnen Fußball zu spielen, wenn ermordeten Schwangeren der Bauch aufgeschlitzt wird und der Fötus erst gegrillt und dann in den Bauch zurückgelegt wird ...« Den Scharping hat inzwischen sein freundschaftlicher Berater, der Rüstungslobbyist Moritz Hunzinger, im Swimming-Pool absaufen lassen. Hunzinger war während des Krieges für den Verteidigungsminister Scharping eine besondere Adresse. Er rettete auch unschuldige Serben vor Bombardierungen. Im Auftrag der Messer Griesheim GmbH veranlaßte er General Klaus Reinhardt, den damaligen NATO-Befehlshaber, die Belgrader Messer-Tochtergesellschaft Tehnogas bei der Auswahl der Bombardierungsziele zu schonen. Das alles steht in einem Buch, das von der FAZ im März 2007 sehr positiv besprochen wurde. Sie schreibt (und entschuldigt sich damit, obwohl die überwältigende Mehrheit des deutschen PEN ein klares Nein zu solchen Entschuldigungen gesagt hat, bei ihren Lesern): Die medialen Sympathien in den Balkankriegen der neunziger Jahre waren im damaligen Westeuropa schnell geklärt, und ein Parteigänger der serbischen Seite wie der Schriftsteller Peter Handke erregte nicht nur durch den Inhalt, sondern oft bereits durch die bloße Tatsache dieser Parteinahme Verwunderung, Ablehnung, Feindschaft. Die Fronten waren so klar wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr, und der Vergleich der serbischen Kriegführung mit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, der anläßlich des Kosovo-Krieges von 1999 durch Rudolf Scharping seinen Weg bis in den Deutschen Bundestag fand, stellte sogar einen direkten Bezug zwischen beiden Ereignissen her. Damit wurde an der moralischen Berechtigung des NATO-Einsatzes auf dem Balkan kein Zweifel gelassen. Weitgehend unbekannt allerdings war bislang, daß bereits 1992, also zu Beginn der Kämpfe in Bosnien-Hercegovina, die amerikanische Werbeagentur Ruder Finn im Auftrag der Regierungen des gerade unabhängig gewordenen Staates Kroatien und der seinerzeit noch nicht autonomen Republik Kosova eine Kampagne ausarbeitete, die dazu dienen sollte, die gerade bekanntgewordenen Fotos aus Gefangenenlagern in Bosnien in Zusammenhang mit deutschen Konzentrationslagern zu bringen. Diese Kampagne fand ihren Niederschlag in den deutschen Medien, auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Deutschland. »In der öffentlichen Meinung konnten wir auf einen Schlag die Serben mit den Nazis gleichsetzen«, so zitiert heute die FAZ den Ruder-Finn-Chef James Haff: »Sofort stellte sich eine bemerkbare Veränderung des Sprachgebrauchs in den Medien ein. Die emotionale Aufladung war so mächtig, daß es niemand wagte, dem zu widersprechen, um nicht des Revisionismus bezichtigt zu werden.« Das von der FAZ rezensierte Buch (Jörg Becker/Mira Beham: »Operation Balkan: Werbung für Krieg und Tod«, 130 Seiten, 17,90 ) ist ebenso wie General Loquais Buch über Scharpings Hufeisenlügen im juristischen Fachverlag Nomos in Baden-Baden erschienen. Von Ossietzky-Herausgeber Otto Köhler stammt der Satz, der Krieg zur Zerschlagung Jugoslawiens sei »der Gründungsmythos der Berliner Republik«
Erschienen in Ossietzky 15/2007 |
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