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Manche Kritiker wiesen diesem Regen »Bedeutung« zu: Alle stehen im Regen. Na so etwas! Bedeutungshuberei. Wieder so ein Theater, das endlos erklärt werden muß. Das Programmbuch hat 114 Seiten, eine schöne Textsammlung. Mit Kleist und der Aufführung hat es wenig zu tun. Ein Ärgernis. Schade um die versessene Zeit! Intendant Armin Petras, der selbiges inszeniert hat (vorher in Frankfurt am Maine), hat sein Amt recht umtriebig begonnen und eine Menge Produktionen herausgebracht. Aus dem Arbeitsherbst erwähne ich nur Fleißers »Der starke Stamm« (inszeniert von Hermann Schein) als einzige Produktion, die mich überzeugte. Inzwischen hat Petras ein respektables Repertoire herausgebracht, von dem einiges schon wieder verschwunden scheint. Im feuchtnebligen Februar lief ich »Gegen die Wand«, ein Stücklein des Intendanten selbst (nach dem Film von Fatih Akins). Das tat weh. Mann und zwei Frauen (Anne Ratte-Polle, Anika Baumann und Peter Moltzen) quälen sich hitzig durch den Abend und scheitern. Können Leute von heute wirklich nichts anderes mehr? Sie quälen das Publikum. Nur fort von der Wand! »Sex Stadt Beziehungen« – eine Textcollage nach Sibylle Berg von Johannes Zacher und Amina Gusner, die auch Regie führt. Das ist die ähnliche Sülze wie in »Gegen die Wand«, nur ein wenig lustiger und etwas besser gespielt (Katja Riemann, die just in Bergmans »Szenen einer Ehe« am Kurfüstendamm reüssiert hat, Peter René Lüdicke, Werner Eng). Großstadtneurotiker und Wohlstandslangweiler, auch Sexisten vertreiben sich ihre Zeit (woher nehmen sie die?) in einer Szenebar, wollen alles Mögliche (sogar Liebe) und können offenbar gar nichts. Das betrifft die Figuren, beileibe nicht die Schauspieler, die aus diesem belanglosem Nichts wenigstens etwas zeitweilig Kurzweiliges machen. Solches Gelabere nicht langweilig darzustellen, erfordert hohe Kunstfertigkeit. Immer gelang es nicht. Für so dürftige Aussagen müßte bestenfalls eine Stunde wertvoller Lebenszeit ausreichen. Vor einiger Zeit hatte das Maxim-Gorki-Theater seines Namensgebers kluges Stück »Kinder der Sonne« aufgeführt. Daraus entwickelte inzwischen eine Gruppe junger Künstler unter Leitung des Regietalents Tilmann Köhler im Studio des MGT ein sogenanntes »Kloster der Wut«. Das ist eine Runde von Autoren mit einer Reihe von Aufführungen junger Stücke eben dieser Autoren sowie eines Meisters: Christoph Hein. »In seiner frühen Kindheit ein Garten«, erst Roman, dann ein Stück, wurde angeregt durch den 1993 auf dubiose Weise zu Tode gekommenen anarchistischen Kämpfer Wolfgang Grams. Im Text heißt er Oliver Zurek. Papa Richard Zurek (ehemaliger Gymnasiallehrer, dargestellt von Andreas Leupold) möchte Umstände und Ursachen für den Sohnestod finden. Das schafft er nicht. Abgesehen von den durch die Staatsmacht verwischten Spuren und vernichteten Dokumenten hindert ihn die eigene Kleinbürgerlichkeit und die seiner Familie, die gut anderthalb Stunden lang vorgeführt wird – lähmend. Lähmend ist diese Welt und auch die Darstellung (Regie: der Intendant). Dennoch: Hier sind Stoff und Thema größer. Heins geübte Hand greift an gesellschaftliche Wurzeln. Etwas begreift man schon, warum Grams und Genossen jenen Aufstand probten. Auch, warum dies Kloster eines der Wut ist. In zwei weiteren Produktionen, diesmal jüngerer Autoren, wird auch so eine Art Aufstand oder besser Ausstieg geprobt: Thomas Freyers »Separatisten« und Tine Rahel Völckers »Die Höhle vor der Stadt in einem Land mit Nazis und Bäumen«, beide inszeniert von Tilmann Köhler (alle drei Jahrgänge 1979 und 1981). In beiden Fällen wollen junge Leute ausbrechen, sich separieren, eigene Projekte anfangen, ein neues Leben beginnen, eine Art Freiheit für sich gewinnen oder eine Utopie. Mir scheinen ihre Wege eher in die Sackgasse zu führen. Die Liebesbeziehungen zerbrechen, und dann sind die Nazi in der Nähe, deren frühe Geschichte von Johanna erforscht wird. So begrüßenswert und förderungswürdig solche Versuche sind, ich sehe große Ansprüche und kleine Maße. Wenn ein Lebenscredo heißt: »Bald bin ich tot und habe nix geschafft«, so kann das eine richtige individuelle Einsicht sein. Aber als Konzept vom Ganzen? Haben wir nur Versager und Phrasendrescher unter uns? Gibt es keine andern Botschaften, keine Gegenentwürfe? Vom MGT habe ich vorerst genug, meine Gänge führen weiter. Zum Gesamteindruck nur so viel: Quantitativ ist die erste Petras-Spielzeit beeindruckend. Es wird unbändig viel, doch nicht allzu sorgsam gearbeitet, zu hastig. Die nächste Spielzeit sollte eine der genaueren Durchdringung werden. In der Volksbühne gab es in jüngster Zeit kaum Höhepunkte, daher nur rückblickend: Constanza Macras & Dorky Park zeigten ihr »I am not the Only One« im Prater an der Kastanienallee. So ungern ich in diesen Räumen sitze, das Thema interessierte mich als Emigrant und Remigrant: Auf den Welt-Brettern tummeln sich Geflohene und Vertriebene, freilich kleinen Formats, und beklagen ihr Leid. »Du bist überall fremd. Selbst wenn du wieder zurückgehst, wird es nie wieder deine Heimat sein.« Das stimmt. Doch so klein muß es nicht sein. Manches ist gar zu simpel. Und die Gestalt des Onanierers ist nun wahrlich das Langweiligste auf der Bühne. Von den beiden Johan-Simons-Inszenierungen (mit Bert Neumann als Szenograf) interessierte mich nur »Plattform« (nach Michel Houellebecq), des Themas wegen: verkehrte Welt im Bereich der Sexualität. Valérie und Michel trennen Liebe und Sexualität, kultivieren letztere und meinen, das sei die Grundlage für Liebe. Etwa nach dem Prinzip kapitalistischer Produktion und Reproduktion. So weit, so gut, dann doch schlecht. Im Zusammenstoß mit östlichen Kulturen bleibt westliche Dekadenz zurück. Wieder ein Scheitern, diesmal freilich ein verdientes, weil ein Scheitern westlichen Hochmuts. Nun war ich doch einmal wieder im derzeit ungeliebten Deutschen Theater. DT – das war einst ein Begriff für Güte. Ich dachte, wenigstens »Don Carlos« müßte man sich doch ansehen können, so ein großes Stück. Ach, was mußte ich da erleben! Daß Nicolas Stemann ein Spitzelstück daraus gemacht hat, mag angehen – so falsch ist es nicht. Die Inquisition wußte eben alles, und wenn es das Falsche war, wofür man verbrannt wurde. Aber dieser Regisseur macht Theater für Dumme, daher wimmelte es im szenischen Raum von Abhöranlagen und Kameras. Lediglich das Schlußbild mit dem Großinquisitor auf dem Bildschirm, das sich ständig bis ins Unendliche verlängert, um seine und seiner Sicherheitsleute Allgegenwart zu demonstrieren, vermag als Metapher halbwegs zu überzeugen. Der Infant ist bloß ein dummer Bub und darf die Hose herunterlassen, dabei stört die Halskrause. Auch Marquis Posa muß die Hose herunterlassen – schade um zwei im Grunde begabte Schauspieler wie Philipp Hochmair und Alexander Khuon. Ingo Hülsmann als Philipp behält wenigstens die Unterhose an, während er mit Posa aus einer Plastikflasche Wasser trinkt. Ein Freiheitstück wird zu einer Operation fürs Wasserlassen! Die deutsche Literatur hat wahrhaft wenig große Dramen, und die wenigen werden derart verschandelt – mit wenig Geist, aber viel Steuergeld. Nach so viel Gewalttat an Klassikern (ich denke den grauslichen »Faust« und die grauenhafte »Orestie« mit, die Michael Thalheimer atomisiert hatte) könnte es doch einmal eine Komödie sein. Nun vergewaltigte eben dieser Regisseur »Die Fledermaus«. Ja, die von Johann Strauß, die auf ein Lustspiel von Roderich Benedix zurückgeht, aus dem Meilhac und Halévy das Vaudeville »Réveillon« (»Neujahrsfest«) machten und Haffner und Genée eben »Die Fledermaus«, die Wiener Volksstück und Singspiel, französische Operette und Wiener Tanzmusik in sich vereinigte – eine Operette von solchem Format, daß Gustav Mahler sie zur »Komischen Oper« erhob. Welch ein köstlicher Scherz mit der bürgerlichen Welt, die ihre Revolution verspielt hat, mit beschädigten Figuren, die sich über die Schultern schauen und denen mit Witz auf die Finger geschaut wird und die über eine unsterbliche volksverbundene Musik weiterleben – die Botschaft der 9. Sinfonie in Champagner getaucht! Man kann dieses Werk wieder zur Satire machen, Ruth Berghaus hat es seinerzeit vorgemacht. Im DT wurde es zur Tristesse, die Figuren gerieten zu blökenden Krüppeln, doch ohne Beckettsche Tragik noch Witz, die Musik kam wie aus einem Blecheimer, in den man gekotzt hatte. Zerstörungswahn ohnegleichen! Und die Schauspieler? Singen konnte oder durfte keiner. Wozu mußte Ullrich Matthes den Eisenstein spielen, Nina Hoss die Rosalinde, Sven Lehmann den Frosch, Finzi den Alfred, Lebinsky gar den Orlowsky, den Strauß nicht umsonst von einer Frau gespielt wissen wollte? Alles Denunziation! Aber geht man ins Lustspiel, um sich grauslich zu öden? Etwas lachen konnte man wenigstens in der Box des DT, in der »Probe« des Schweizers Lukas Bärfuss. Eine Geschichte eines Mannes (Peter Rühring) zwischen Vaterschaftstest und Lokalpolitik. Sein Assistent Franzeck veranlaßt ihn zum Test, und das Kind ist nicht seines. Das ist ein Komödienstoff (am Rande tragischer Möglichkeiten), doch hier wird kräftig das Absurde herausgekehrt. Bettina Bruinier hat das richtig gesehen und inszeniert, die Schauspieler gehen mit. Köstlich Gabriele Heinz als Großmama. Da erkennt man noch einiges von der alten Spielkultur dieses Hauses.
Erschienen in Ossietzky 14/2007 |
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