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Wenn das Werk in fünf Jahren vollbracht sein wird, wird die Welt voll Staunen und Bewunderung auf Deutschland blicken und die einmalige Leistung bei der Wiederherstellung verloren geglaubter Akten würdigen. Zugleich baut die deutsche Bundesrepublik jetzt erfolgreich ihren Spitzenplatz bei der Vernichtung von Akten aus. In Sachsen soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß das ruchbar gewordene Netzwerk von Justiz, Politik und organisierter Kriminalität aufklären. Von einem Filz von Immobilienschiebern, Zuhältern, Kinderschändern, Politikern, Richtern, Staatsanwälten und mafiösen Strukturen ist die Rede, so daß selbst der sächsische Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) auf einer Sondersitzung des Landtages zur Korruptions- und Justizaffäre mahnte und warnte: »Das perfide Netzwerk wird voraussichtlich zurückschlagen, weil wir es zerstören wollen.« In Dresden hat der Skandal politische Erdstöße ausgelöst, die mittlerweile auch in Berlin, vor allem in den Amtsstuben des Kanzleramtschefs Thomas de Maizière und des Verkehrsministers Wolfgang Tiefensee, zu spüren sind. De Maizière hatte in der fraglichen Zeit als sächsischer Innenminister Verfassungsschutz-Erkenntnisse verschwiegen, und Tiefensee war damals Oberbürgermeister von Leipzig, einem der Zentren der ausufernden Kriminalität. Nun soll der Skandal untersucht werden und siehe da: Ein großer Teil der »Ermittlungs-, Verfahrens- oder sonstigen Behördenvorgangsakten« oder Kopien ist zufällig im April vernichtet worden. Laut Buttolo soll es sich um »menschliches Versagen durch Fehlinterpretationen« gehandelt haben. Oberstaatsanwalt Avenarius ließ wissen, eine Wiederherstellung vernichteter Originalakten sei »nur in Einzelfällen möglich«. Was für ein Zufall, was für ein Dilemma! Von ähnlichem Mißgeschick ist die Bundeswehr betroffen. Das Verteidigungsministerium hat gegenüber dem Verteidigungsausschuß des Bundestages eingestanden, daß Geheimdienstinformationen über Auslandseinsätze der Bundeswehr aus den Jahren 1999 bis 2003 nicht mehr vorliegen. Es handelt sich um die beim Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) in der beschaulichen Gemeinde Grafschaft-Gelsdorf in Rheinland-Pfalz gesammelten Berichte deutscher und ausländischer Geheimdienste und Militärattachés zur Lagebeurteilung in Einsatzländern wie Jugoslawien und Afghanistan, die für den Bundestags-Untersuchungsausschuß zum Fall Murat Kurnaz von Bedeutung sein könnten. Auch hier war der Zufall im Spiel. »Der Datensicherungsroboter erlitt nach der Archivierung der Daten einen technischen Defekt und mußte Ende 2004 durch ein Austauschgerät ersetzt werden«, erklärte der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Wichert, gegenüber den Parlamentariern. Ein Teil der Bandkassetten sei nicht mehr lesbar gewesen. »Entsprechend der gültigen Vorschriften im Umgang mit Verschlußsachen wurden die nicht mehr lesbaren Kassetten am 4. Juli 2005 vernichtet.« Leider sei der Versuch gescheitert, die Daten wieder zugänglich zu machen. Aktenverluste, Aktenvernichtung haben in der wohlgeordneten Bundesrepublik eine schöne Tradition. Wer erinnert sich nicht gern an den Sonderausschuß des Bundestages zur Untersuchung der massiven Vernichtung und Manipulation amtlicher Daten im Kanzleramt des Kohl-Kabinetts kurz vor der Übergabe der Regierungsgeschäfte an Schröder und Fischer. Selbst die sonst so CDU-fixierte FDP stellte damals in ihrem Abschlußbericht fest: »In vielen der vom Ausschuß zu untersuchenden Komplexe (Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien, Leuna/Minol, Verkauf der Eisenbahnerwohnungen) konnte durch die Aktenentnahme des Bundeskanzleramtes die Entwicklung der Vorkommnisse nicht mehr vollständig rekonstruiert werden.« Den Aktenvernichtern im Kanzleramt, in Sachsens Behörden und anderswo böse Absichten zu unterstellen, wäre ungerecht, ja infam. In ihrem Arbeitseifer konnten sie lediglich der Versuchung nicht widerstehen, die in ihren Büros herumstehenden Dokumenten-Schreddermaschinen von Zeit zu Zeit zu füttern. Aus eigenem Erleben kann ich dieses Bedürfnis nicht teilen, aber zumindest nachempfinden. Nachdem mich die Wirren der »friedlichen Revolution« Anfang 1991 als Mitarbeiter in die kleine Bundestagsgruppe der PDS/Linke Liste nach Bonn verschlagen hatten, fragten mich viele Freunde und Bekannte nach meinen ersten Eindrücken. Die waren noch oberflächlich, unsortiert. Eigenartigerweise fiel mir als erstes ein Reißwolf ein: ein mehr als ein Meter hohes Ungetüm, das im engen Eingangsbereich unseres Büros in einem ehemaligen Kindergarten in der Bühringstraße stand. Gierig riß es sein Maul auf und verschlang auf Knopfdruck selbst dicke Aktenbündel. Solch hocheffektiven Papierzerstörer waren überall in den Gebäuden des Bundestages und der Regierung zu finden. Erich Mielke wäre glücklich gewesen, wenn er nur einige derartige transportable Apparate gehabt hätte. Wie jämmerlich klein war dagegen der Reißwolf in seinem Büro. 1990 nach der Erstürmung der Zentrale des Bösen in der Berliner Normannenstraße war er ein wichtiges Beweisstück für die Ruchlosigkeit des MfS-Chefs, auf das die Kameras aller Fernsehstationen zuschwenkten, um genüßlich darauf zu verharren. Welch dunkle Abgründe taten sich auf bei diesem Anblick. Ein Glück, daß Mielke und seine Tschekisten nicht über die modernen hochleistungsfähigen Geräte der Firma »Reißwolf« verfügten. MfS-Aktenverwahrerin Birthler müßte auf die Wiederherstellung wertvollster, nur manuell vernichteter Akten für alle Zeiten verzichten, dem Frauenhofer Institut gingen so schon rare Arbeitsplätze und Millionenzuschüsse verloren, und manch verdienter krimineller Netzwerker hätte in den vergangenen Jahren nicht durch immer neue Enthüllungen über nichtswürdige Stasi-IM von den eigenen, aktenkundig gewordenen Taten ablenken können.
Erschienen in Ossietzky 14/2007 |
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