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In allen sechs Bundesländern und den beiden »Territorien« regiert Labor bereits und hat sich in den letzten Jahren überall behauptet. Doch schon in der vorangegangenen Bundeswahl hat Howard gleichsam in letzter Minute ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert und entgegen aller Demoskopie keine Niederlage erlitten, sondern extrem hoch gewonnen. Damals, 2001, hatte der norwegische Frachter »Tampa«, unterwegs nach Sydney, 438 Flüchtlinge, unter anderem aus Afghanistan, von ihrem sinkenden Boot gerettet. Howard spielte die Karte »Wir bestimmen, wer ins Land darf«. Vor der vom australischen Kontinent weit entfernten Christmas-Insel ließ er die »Tampa« aufbringen; die Flüchtlinge wurden später in Nachbarländer deportiert. Dann, ein paar Tage vor der Wahl, stoppte die australische Marine ein anderes sinkendes Flüchtlingsboot. Gefälschte Bilder – die angeblich Flüchtlinge zeigten, die ihre Kinder ins Meer warfen – wurden von Howard groß herausgebracht: »Solche Menschen, solche Kinderwerfer werden wir nicht nach Australien hereinlassen!« Australische Marinesoldaten und -offiziere entlarvten bald die Geschichte als total erlogen (die Eltern hatten keineswegs versucht, ihre Kinder zu ertränken, sondern sie zu retten). Aber diese Richtigstellungen kamen zu spät. Der verwirrte Labor-Vorsitzende Kim Beazley erwies sich als unfähig, die Wahrheit aufzudecken. Er dachte, für die braunen Flüchtlinge Stellung zu beziehen, würde ihm »patriotische Stimmen« kosten. Seine schwankende Haltung war vielen Wählern zuwider, andere wurden von Howards Lügen zumindest zeitweilig umnebelt. Die Rechten gewannen die Wahl. Heute ist Howards Koalitionsregierung so unpopulär, daß ihr baldiger Untergang geradezu unausweichlich erscheint. Oder wird Labor nochmals einen fast sicheren Sieg verpatzen? Der neue Vorsitzende Kevin Rudd treibt die Australian Labor Party so weit nach rechts, daß er viele Linke und Gewerkschafter vergrämt. »Diese ALP ist eine zweite liberale (das heißt konservative) Partei geworden!«, höre ich oft. Vor allem empört es viele, daß Rudd die Angriffe der Rechten gegen die Gewerkschaften nicht frontal pariert, sondern seinerseits kämpferische, erfolgreiche Gewerkschafter attackiert und sie in manchen Fällen aus der Labor Party ausschließt. In anderen Ländern würden die enttäuschten Wähler einfach zu Hause bleiben. Aber in Australien besteht Wahlpflicht: Wer auf der Wählerliste eingeschrieben ist und ohne Entschuldigung fern bleibt, riskiert eine Geldstrafe. Erbitterte Linke könnten den australischen Greens – die weit links von den deutschen Grünen stehen – ihre Stimme geben. Die Greens sind in den letzten Jahren bundesweit von vier auf mehr als acht Prozent gewachsen. Aber acht Prozent genügen kaum, um nach dem australischen Mehrheitswahlrecht Sitze im Unterhaus zu gewinnen (im Oberhaus, für das ein anderes Wahlrecht gilt, haben sie schon vier der 76 Sitze gewonnen). Rudd hat keine Neigung zu den Grünen, aber mit deren Stimmenzuwachs kann er leben, wenn er die Mehrheit im Unterhaus gewinnt und an die Macht kommt. Seine Strategie ist klar: Er treibt die ALP nach rechts, kriecht den Amerikanern, namentlich dem US-Präsidenten Bush und dem australisch-amerikanisch-britischen Medien-Herrscher Rupert Murdoch, in den Hintern. Er sorgt sich, daß Labor, 1892 von den Gewerkschaften gegründet, in der »Mitte« als zu gewerkschaftsnah betrachtet werden könnte. Darum greift er kämpferische, erfolgreiche Gewerkschafter an und schließt manche aus der Arbeiterpartei aus. Der seit langem versprochene Kampf gegen Howards verhaßte »Industrial Relations«-Gesetze, mit denen viele Errungenschaften der australischen Arbeiterbewegung wie Streikrecht, Überstundenbezahlung, Wochenendprämien, Urlaubsgeld, Kündigungsschutz abgeschafft wurden, ist ihm »unwichtig«. Er nimmt an, daß am Wahltag die vergrämtesten Linken, die rotesten Grünen doch ihre entscheidende Zweitstimme der ALP geben werden, um nur wenigstens Howard los zu werden. Geht diese Rechnung auf? Sicher ist das nicht. Manche bisherigen Wähler der Grünen sagen mir: »Mit der ersten Stimme wähle ich Grün, dann aber mit der zweiten alle anderen Kandidaten.« Solches Stimmverhalten hilft der ALP kaum. Daß sich Rudd auf Antigewerkschaftspropaganda einläßt, gewerkschaftliche Militanz verurteilt, ist ein typisches Beispiel der die eigene Partei zerfleischenden Labor-Angst, die »Mitte« zu verlieren. Noch ärger aber ist die Unfähigkeit der Partei, ihr mangelnder Wille, Howards neues Kaninchen aus dem Hut, die neue »Tampa«, abzuwehren. Soeben, kurz vor der Wahl, hat Howard die schlimme Lage der Kinder der Aborigines entdeckt. Die Kinder, die vielfach zu mehreren in gemeinsamen Betten in überfüllten zerfallenden Häusern schlafen, sind, so Howard, sexuell geschändet – von älteren Geschwistern, den eigenen Eltern, Verwandten, Besuchern. Unerträglich! Das muß sofort, also vor der Wahl, aufgegriffen, behandelt, geheilt werden. Als erstes will Howard diesmal nicht wie einst gegen die »Tampa« die Flotte auslaufen lassen – im Zentrum Australiens, wo die Ureinwohner leben, gibt es zu wenig Wasser –, sondern die Armee hinkommandieren. Er entsendet gern Truppen: nach Irak, Afghanistan, Ost-Timor, zu den Salomonen, versuchsweise auch mal nach Tonga. Er schickte Soldaten nach Papua-Neuguinea, sogar nach Bougainville, von wo er sie aber bald zurückziehen mußte. Auch ein Versuch, auf den Fidschis militärisch zu intervenieren, wurde – nach dem Absturz eines Hubschraubers – abgebrochen, zumal das dortige Militär gedroht hatte, im Fall einer Landung der Australier auf sie zu schießen. Nun überlegt sich Howard, die Armee zuerst ins Nord-Territorium zu schicken, wo die Bundesregierung mehr zu sagen hat als in den Bundesländern, 60 Dörfer der Aborigines zu besetzen und dort alle Kinder unter 16 vaginal und anal zu untersuchen, um festzustellen, ob sie sexuell mißbraucht werden. Den Eltern soll klargemacht werden, daß das nicht so weitergeht. Auch daß die Kinder nicht die Schule schwänzen dürfen. Falls die Aborigines das nicht verstehen und nicht parieren, werden die Auszahlungen, die Renten, das Arbeitslosengeld gekürzt. Um die Hälfte. Für die Aborigines, die unter der Armee wie auch unter der Polizei schon viel zu leiden hatten, sind das alles weitere Demütigungen. Aber Howard hat seine »Tampa« gefunden. Der Labor-Vorstand scheint, genau wie vor der Wahl 2001, fassungslos, verwirrt. Wie soll sich die Parteiführung verhalten? Schließlich ist sie nicht fürs Kinderschänden. Mögen sich auch die Ureinwohner empören – bundesweit sind sie nicht mehr als zwei Prozent der Bevölkerung, und das Nord-Territorium, wo die Schwarzen fast 30 Prozent ausmachen, entsendet nur zwei Abgeordnete. Ich sprach mit Kevin Tory, Vorsitzender des Gewerkschaftskomitees für die Rechte der Aborigines: »Ja, in manchen Dörfern, keineswegs überall, gibt es große Probleme mit sexuellem Mißbrauch an Kindern, mit Drogensucht, Alkoholismus, Gewalt. Aber Howard hat alles, was wir dagegen unternommen haben, mißachtet, schlimmer noch, er hat es bekämpft und in den elf Jahren seiner Regierungszeit unseren Organisationen 500 Millionen Dollar entzogen. Aber jetzt, einige Wochen vor einer für ihn schwierigen Wahl, entdeckt er diese Probleme.« David Wise (Darwin), ein weißer Australier, der – eine Seltenheit – von einer Familie des Yolmgu-Volkes adoptiert wurde, sagt: »Die Menschen wissen nicht, was da auf sie zukommt. Niemand informiert sie. Was Howard verbreitet, ist Quatsch. Wenn alles, was er daherredet, ernst zu nehmen wäre, wäre es eine Frage von fünf Milliarden Dollar. Seit Jahrzehnten suchen wir Ärzte, Lehrer, Sozialarbeiter – und jetzt soll das Militär diese Arbeit übernehmen?« Und was soll Labor dazu sagen? »Gar nichts. Wenn die Partei das aufgreift, wird Howard aus der Wahl eine Schwarz-Weiß-Rassenwahl machen. Und die Weißen stimmen gegen die Schwarzen.« David Wise ist erbittert: »Eins kann ich dir sagen: Ich habe zwei Kinder unter 16. Ich würde der Regierung, der Polizei, der Armee nicht raten, sie zwangsweise rektal zu untersuchen. Aber ich bin ja weiß ...«
Erschienen in Ossietzky 14/2007 |
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