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Für Ministerpräsident Roland Koch und seine CDU ist die 1946 vom Volk mit großer Mehrheit beschlossene Verfassung, die auch vorschreibt, die Grundstoffindustrie zu sozialisieren, ein ständiges Ärgernis. Ein Fremdkörper in ihrer neoliberalen Vorstellungswelt. Ein Klotz am Bein. Dennoch veranstaltete Koch zum 60jährigen Bestehen der Verfassung am 1. Dezember 2006 eine pompöse Feier. Sein Intimus aus Schwarzgeldtagen, Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung, stellte ihm dazu eine bunte Truppe, die die pazifistische und antifaschistische Verfassung mit einem Großen Zapfenstreich schmähte. Konsequenterweise war das Volk bei diesem Trauerspiel ausgesperrt. Ein denkwürdiges Jubiläum. Ihr bestürzendes Verfassungsverständnis hatte die Hessen-CDU kurz zuvor bekundet, als sie beschloß, an den Hochschulen sollten Studiengebühren erhoben werden. Damit bewirkte sie große Unruhe im Land; denn nach Artikel 59 Absatz 1 der Verfassung ist der Unterricht an allen öffentlichen Schulen und Hochschulen unentgeltlich; »begabte Kinder sozial Schwächergestellter« haben Anspruch auf Erziehungsbeihilfe. Ein Gesetz kann die Zahlung eines »angemessenen Schulgelds« anordnen, »wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet«. Einigkeit besteht zwischen allen Experten darüber, daß mit »Schulgeld« auch Hochschulgeld gemeint sein kann. Im übrigen ist nicht schwer zu verstehen, was die Mütter und Väter der Verfassung im Sinn hatten: Chancengleichheit im Bildungswesen. Deshalb Entgeltlichkeit nur als Ausnahme. Und nur, wenn sie wirtschaftlich tragbar ist. Gerade das aber gilt heute als ganz unzeitgemäß, weil der rüde Spätkapitalismus längst alles zu Marktgütern verwandelt hat, was sich irgendwie verhökern läßt, vom Sport bis zur Musik, von der Daseinsvorsorge bis zur Gesundheit und neuerdings auch bis zum Recht. Sollte da die Bildung abseits stehen? Sollte das sozialistische Verfassungsgerümpel gar dazu führen, daß etwa nur die Kinder der Reichen Studiengebühren zahlen? Nicht mit mir, mag Roland Koch geschnaubt haben, das muß weg! Aber wie? Zwar könnte man die Verfassung ändern, aber das ist in Hessen besonders schwierig, weil man dafür nicht nur im Landtag eine Mehrheit braucht, sondern auch in einer zusätzlichen Volksabstimmung. Also mußte man nach anderen Wegen suchen. Wie, wenn ein Rechtsgutachten bescheinigen würde, daß der fatale Artikel 59 bisher mißverstanden worden ist? Da hatte der Ministerpräsident den richtigen Riecher. In dem Universitätsprofessor Christian Graf von Pestalozza fand er einen Gutachter, der den Hessen ihre Verfassung nach dem alten Bundeswehr-Spruch erklärt: »Alle machen’s falsch, nur einer macht’s richtig.« Pestalozza eben, von Selbstzweifeln nicht geplagt, ein forscher Forscher. Schon seine launig klingende Frage: »Welches Grundrecht bedeutet auf den zweiten Blick das, was es auf den ersten zu sagen scheint?« verriet seinen abgründigen Zynismus. Kostenloser Hochschulbesuch, schrieb er, sei eine »luxuriöse Draufgabe« zum unentgeltlichen Schulunterricht, die sich der arme Staat nicht mehr leisten könne (als wäre Hessen 1946, als die Verfassung geschaffen wurde, viel reicher gewesen als heute). Den Artikel 60, der besagt, daß die Hochschulen unter dem Schutz des Staates stehen, interpretierte der Rechtsprofessor so, daß der Staat das für die Hochschulen benötigte Geld den Studierenden als den Nutzern abnehmen dürfe, ja müsse. Auf deren wirtschaftliche Lage komme es dabei nicht an. Wenn ihnen der Staat jetzt ein Darlehen gewähre, könnten sie studieren und die kreditierten Gebühren später zurückzahlen, sobald sie gut verdienten. Auf eines legt der Graf allerdings nachdrücklich Wert: Die »Reichen« dürften nicht höher belastet werden als die »Armen«; denn das verbiete die Verfassung – eine kühne Behauptung, die er einfach mal so aufstellte. Ein Mann wie ein Erdbeben. Seine Rabulistik läßt keinen Stein auf dem andern. Jeder i-Punkt wird von allen Seiten anvisiert, analysiert, wegdiskutiert. So löst sich der Verfassungstext langsam auf, verliert seinen Sinn. Was einst ein Stück emanzipatorischer Politik war, wird zur Re-Legitimierung von Klassenherrschaft umfunktioniert. Mit dieser Gesetzeszersetzung werden die Verfassungsväter – politisch verfolgte Sozialisten und Kommunisten, aber auch antifaschistische Christdemokraten wie Eugen Kogon – von einem Rechtstechniker verhöhnt, dessen aristokratisch-elitärem Denken Chancengleichheit ein Greuel ist. Wer dieses Gutachten nicht gelesen hat, weiß nicht, wozu Juristen fähig sind. Kochs Jubel ging unter im landesweiten Protest nicht nur der Studierenden. Die Gewerkschaft GEW und der DGB organisierten den Widerstand gegen das Gesetz, das die Einführung von Studienbeiträgen ab Wintersemester 2007/08 vorsieht. Und das Volk, dem mit der Einführung des Bezahlstudiums auf Kredit eines seiner Grundrechte entwunden werden soll, merkte auf. Laut Verfassung kann ein Hundertstel der stimmberechtigten Hessen Grundrechtsklage erheben. Schon Ende Mai waren weit mehr als die erforderlichen 43.000 Unterzeichner gewonnen. Am 22. Juni wurde die »Volksklage« mit mehr als 72.000 Unterschriften dem Hessischen Staatsgerichtshof übergeben. Eine weitere Klage in gleicher Sache hatten schon im Februar dieses Jahres die Landtagsfraktionen der SPD und der Grünen erhoben. Nun muß sich erweisen, ob die Verfassungsväter von 1946 ihren Willen bruchsicher formuliert haben. Das ist zu hoffen; denn es gibt Versicherungen gegen Einbruch und Glasbruch und Dammbruch, aber keine gegen Verfassungsbruch.
Erschienen in Ossietzky 13/2007 |
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