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Unter den 1,5 Millionen Ostdeutschen, die seit 1990 ihre alte Heimat verlassen haben, ist der Anteil junger qualifizierter Frauen besonders hoch. In den entlegenen wirtschaftsschwachen Regionen ist dadurch ein Männerüberschuß von 25 und mehr Prozent entstanden. Das Frauendefizit ist europaweit ohne Beispiel. Es übertrifft selbst das in den Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands, die seit langem unter der Landflucht von Frauen im gebärfähigen Alter leiden. In Ostdeutschland fehlen aufgrund der Frauenabwanderung schon jetzt 100.000 Kinder (wie die Studie ohne Angabe von Bezuggrößen konstatiert). Der demografische Abwärtstrend wird sich fortsetzen. Die zurückgebliebenen partnerlosen jungen Männer haben häufig keine Ausbildung, keinen Arbeitsplatz. Nach Darstellung des Berliner Instituts bilden sie eine »Unterschicht«, die von wesentlichen gesellschaftliche Bereichen ausgeschlossen und besonders anfällig für »rechtsradikales Gedankengut«, das heißt für neonazistische Gewaltpropaganda, ist. Nicht gerade dieses politische Gefahrenpotential, aber die sich abzeichnende demografische Katastrophe treibt dem einst so aalglatten Wolfgang Tiefensee die Sorgenfalten ins Gesicht. Schließlich ist er nicht nur Verkehrsminister, sondern auch Ostbeauftragter der Merkel-Regierung und als solcher zuständig für die wenigen Leuchttürme und die vielen schwarzen Löcher im deindustrialisierten Anschlußgebiet. In seiner Not entwickelte er einen sensationellen Plan. Er beabsichtigt, in den kommenden zwei Jahren vier Millionen Euro für ein Modellprojekt in zwei dünn besiedelten Regionen im Osten bereitstellen. Dort sollen unter anderem mobile ärztliche Versorgung, Mehrgenerationenhäuser und rollende Bibliotheken gefördert werden. Bereits im Juli soll die Entscheidung fallen, über welche Regionen das Glück hereinbricht. Ungerechterweise erntete er für dieses bahnbrechende Unterfangen außer Kritik nur Hohn und Spott. Zu offensichtlich schien den Kritikern, daß die jungen Frauen im Osten, die an Abwanderung denken, vor allem Zukunftsperspektiven und sichere Arbeitsplätze brauchen. Das sieht auch der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, so. Allerdings meint er, daß das Elend der zurückgebliebenen ostdeutschen jungen Männer an ihrem schlechten Bildungsniveau liege: »Die Jungen haben die gleichen Chancen wie Mädchen. Sie müssen sich nur auf den Hosenboden setzen und den Ernst der Situation begreifen.« Aber was geschieht dann, wenn die Jungen fleißig und gebildet wie die Mädchen sind – suchen sie dann ihre Chancen auch im Westen? Hier weist der allseitig gebildete ehemalige Chefarzt einen Ausweg. Er erinnert sich, wie im alten Rom durch den Raub der Sabinerinnen dem Frauenmangel abgeholfen wurde, und meint: »Wir werden unseren jungen Männern sagen müssen: Qualifiziert euch, damit ihr eine Perspektive habt, und sucht euch dort Frauen, wo es welche gibt.« Gemeinsam sollten sie dann ins schöne Anhaltinische zurückkehren. Damit die Ostflüchtlinge, vor allem die Frauen, wirklich in die gebeutelte Heimat zurückfinden, hat das Land schon vielerlei versucht und erfunden, zum Beispiel die zauberhaften »Heimatschachteln«. Sie werden an 18- bis 30-jährige Einwohner Magdeburgs verschickt, die das Bundesland verlassen haben, und enthalten unter anderem Proben regionaler Produkte, wie Magdeburger Knäckebrot und Pralinen, Gutscheine für Bars, ein Zeitungsabonnement und einen »Heimat-Magneten« für den Kühlschrank im Westen. Der Inhalt soll die Sehnsucht nach der Heimat wecken und an die schöne Zeit, als sie als anerkannte Ossis ihre ALG-II-Euros, ohne zu arbeiten, verjubeln konnten. Doch auch die Schachteln bewirkten nicht viel, und so war guter Rat teuer. Der kam kürzlich aus Brandenburg. Von ganz oben. Von einem der Sprecher des Allmächtigen. Auf dem Festakt zum 850-jährigen Gründungsjubiläum der Mark Brandenburg redete der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, den Ostdeutschen ins Gewissen: »Die flotten und pfiffigen Landestöchter sehnen sich nach einer Charmeoffensive der ... Männer. Die müssen aufwachen, sonst sind die hübschen Mädchen weg.« Die Kirche sei gern bereit, den jungen Männern hilfreich zur Seite zu springen und »Traumhochzeiten« auszurichten. Nun ist das Ei des Kolumbus gefunden. Welche jungen Ostdeutschen, Frauen oder Männer, Beschäftigte oder Arbeitslose, könnten schon dem Angebot einer »Traumhochzeit« widerstehen? Möglicherweise würde Bischof Huber den feierlichen Trauakt selbst vollziehen und die jungen Paare könnten obendrein als Belohnung eine extrafeine »Heimatschachtel« und persönliche Einladungen zu dem unlängst von der Eppelmann-Aufarbeitungsstiftung angekündigten »Geschichtsfeuerwerk« zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR erhalten. Gerade die jungen Frauen könnten dann vielleicht erfahren, von welchen Lasten und Leiden sie diese Revolution befreit hat: von zahllosen Maßnahmen zur Durchsetzung der gesetzlich garantierten Gleichberechtigung, unentgeltlichem Besuch aller staatlichen Bildungseinrichtungen, Stipendien für alle unabhängig vom Einkommen der Eltern, dem Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz, gleichem Lohn für gleiche Arbeit, umfassenden Fördermaßnahmen in der Ausbildung und im Beruf, bezahltem monatlichen Haushaltstag, kostenloser Abgabe von Verhütungsmitteln, uneingeschränkter Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ohne Zwangsberatung bei Kostenübernahme durch die Sozialversicherung, staatlicher finanzieller Unterstützung für junge Eheleute und kinderreiche Familien, vorbildlicher Betreuung von Schwangeren, staatlicher Mütterberatung, Babyjahr bei voller Lohnfortzahlung, beispielhafter, nahezu kostenloser Betreuung des Nachwuchses in Kinderkrippen und -gärten, vorbildlicher gesundheitlicher Betreuung der Kinder und Jugendlichen von obligatorischen Schutzimpfungen bis zu wiederkehrenden prophylaktischen Untersuchungen auf allgemein- und zahnmedizinischem Gebiet und schließlich vom Renteneintritt mit 60 Jahren. Von alledem sind Frauen in der heutigen Bundesrepublik glücklicherweise frei. Wenn das kein Grund ist, im Jubiläumsjahr 2009 die friedliche Revolution und die »Wiedervereinigung« am dann auf dem Berliner Schloßplatz errichteten »Denkmal für Freiheit und Einheit« zu preisen, was dann?
Erschienen in Ossietzky 13/2007 |
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