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Ich sei doch wohl immer noch bei der Telekom und werfe diesem Staatskonzern Hunderte Euro zu viel hinterher, Jahr für Jahr, und das für schlechte Leistungen. Arcor dagegen habe speziell für unsere Bedürfnisse jetzt ein Service-Paket zusammengestellt, einen Monat kostenlos … »Raus aus dem Haus, aber schnell!« – so meine erste Reaktion. Doch dann tut er mir ein wenig leid. Ich fange an, ihm meine Abweisung zu erklären: Ob er nicht wisse, wofür er sich da abrackere, mit halbwahren Versprechungen, und am Ende seien sie alle – die abhängig Beschäftigten, ob bei Telecom, Arcor, Vodafone und wie sie alle hießen – die Dummen: Weniger Lohn bei längerer Arbeitszeit und schließlich Arbeitslosigkeit mit der Aussicht auf Hartz IV. Oh, da habe ich wohl das richtige Stichwort gegeben. Arbeitslosigkeit kenne er selber lange genug, obwohl er mal auf Betriebswirt studiert habe. Jetzt sei er froh, daß er Klinken putzen dürfe bei mickrigen Provisionen. Hunderte von Bewerbungen habe er losgeschickt, kaum Antworten bekommen, auch bei der Telekom habe er’s versucht, vergeblich ... Ich wende ein, sein jetziger Job als Kundeneintreiber für einen Billiganbieter habe doch erst recht keine Zukunft. Wir kämen doch nur weiter, wenn jeder sich gewerkschaftlich organisiere und gemeinsam im ganzen Land, möglichst in der ganzen EU, für anständige Arbeitszeiten und Löhne auf die Straße gehe, mit dem Ziel allgemeiner Arbeitszeitverkürzung, damit jede und jeder eine Anstellung finde. Da kann er nur resigniert-überlegen lächeln: »Politiker, Gewerkschaften, wo waren die denn, als ich arbeitslos war? Gehen Sie mir weg mit den Arbeiterführern, sei’s bei der SPD, ver.di oder IG Metall, die kungeln doch mit den Unternehmern, nur darauf bedacht, ihre Posten zu behalten und sich lukrativ ausstatten zu lassen, siehe VW.« Der Mann verabschiedete sich bald, als ich ihm unbedingt noch ein paar politische Gewißheiten über die Notwendigkeit gewerkschaftlichen Engagements mit auf den Weg zu geben versuchte. Was wohl ähnlich erfolglos ausfallen mußte wie sein Versuch, mir Arcor zu verkaufen. Heute, ein halbes Jahr später, frage ich mich, ob ich dem Haustürdrücker nicht Unrecht getan habe. Meine Gewerkschaft, ÖTV/ver.di, in der ich seit 37 Jahren Mitglied bin, hatte angekündigt, mit einem Streik bei der Telekom zu verhindern, daß dort ein Drittel aller Mitarbeiter in Billig-Unternehmen überführt werden sollte, bei wesentlich längerer Wochenarbeitszeit und mit einer empfindlichen Gehaltseinbuße. Mit über neunzig Prozent Zustimmung folgten die Beschäftigten dem Streikaufruf, die Stimmung in den Streikbüros war sehr gut wie auch bei vielen Aktionen, bei denen sie ihre Kreativität zeigten. Es kam starke Unterstützung aus der Bevölkerung, bei Umfragen waren bis zu 70 Prozent für den Streik, obwohl hier und da der Telefonbetrieb ausfiel. Die Medienmacher aber warfen den Streikenden vor, einfach die »ehernen Gesetze des Marktes« nicht begreifen zu wollen. Nach fünf Wochen hat ver.di den Streik abgebrochen, die große Tarifkommission der Gewerkschaft stimmte einem 70seitigen Verhandlungsergebnis mit der Telekom-Geschäftsführung zu. Die zur Zeit laufende Urabstimmung unter den Beschäftigten zu diesem »Kompromiß« genannten Abschluß und der Beendigung des Streiks sei nur noch eine »Formalie«, wußte Die Welt. Das wird wohl leider so zutreffen, denn ohne Rückhalt durch die Gewerkschaftsleitung läßt sich schlecht eine längere Arbeitsniederlegung durchstehen. Die großen Medien jubelten, wenn auch etwas gebremst, weil das Kaputtsparen der Löhne ja weitergehen soll: Financial Times Deutschland feierte den »Punktsieg« des Telekom-Chefs Obermann. »Wir sind sehr zufrieden«, zitiert das Handelsblatt den Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger, um dann martialisch zu werden: Obermann habe eine Schlacht mit der Gewerkschaft durchgestanden – aber der Krieg in der Branche ist noch längst nicht gewonnen.« Der Konzern müsse noch »schneller die Kosten killen, um seine Gewinnziele zu erreichen«. Staatstragend gab sich die FAZ: »Bittere Wahrheiten bei Telekom«, doch habe man sich endlich »der Realität gebeugt«. ver.di hat keinen Kompromiß, sondern eher eine bedingungslose Kapitulation akzeptiert. Wie von Telekom angekündigt, müssen die 50.000 ausgegliederten Mitarbeiter ab 1. Juli vier Stunden in der Woche länger arbeiten – nicht nur ohne Lohnausgleich, sondern mit 6,5 Prozent abgesenkten Gehältern. Für die bisher schon Beschäftigten wurden für die nächsten Jahre Ausgleichszahlungen vereinbart; für Neueingestellte aber gilt sofort die Lohnkürzung, und das bei steigenden Preisen, die den Lohn eh schon mindern. Einen derartigen Bruch mitten in der Laufzeit eines bestehenden Tarifvertrages – einfach durch juristische Tricks einer teilweisen Konzernauflösung mit anschließender Neugründung – und das bei einem Großkonzern mit dem Staat als größtem Aktionär, darf doch eine Gewerkschaft nicht hinnehmen und gar anschließend schönreden wollen. Man kann eine Abwehrschlacht verlieren. Doch sollte man die Wahrheit sagen: Wir haben verloren, wir sind von den Bossen im Verein mit den Regierenden, speziell den SPD-Ministern Steinbrück und Müntefering, erpreßt worden. Aber vermutlich war die ver.di-Verhandlungsführung immer noch durchsetzt mit alten SPD-Seilschaften und wollte sich nicht einlassen auf ihre einzige Stärke, die im Vertrauen auf die Mobilisierungsfähigkeit ihrer Mitglieder läge. Geradezu gewerkschaftsschädigend ließ sich ver.di-Verhandlungsführer Lothar Schröder vernehmen: »Die Anhebung der Wochenarbeitszeit sei bitter, führe dafür aber nicht zu einem Personalabbau« (zitiert nach FR). Wie das? Sollen in der neuen Billigfirma die Leute jetzt vier Stunden länger Zeit zum Kaffeetrinken haben? Will die Geschäftsleitung sie alle nur länger im Betrieb halten, ohne durch Personaleinsparung Kosten zu minimieren? Ach nein, der Herr Schröder von ver.di versteht sich als Co.-Manager des Konzerns, er sagt, er habe mit dem Telekom-Vorstand ausgehandelt, daß es zu »einer Rücknahme von (bisher) fremdvergebenen Aufträgen« (FR) kommen soll. Darauf ist er offenbar stolz! Ein Gewerkschafter, der nur das Wohl dieses einen Betriebes kennt. Daß durch solche Geschäftspolitik des Großkonzerns Telekom wahrscheinlich bis zu 10.000 Beschäftigte in bisherigen Zulieferfirmen ihren Job verlieren, kümmert ihn nicht. Aber Gewerkschaften haben nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn sie den lebensbedrohlichen »Krieg« (Handelsblatt), in den die Arbeitenden durch den allgemeinen Konkurrenz-Kapitalismus getrieben werden sollen, durch Aufbau von nationaler und internationaler Solidarität verweigern. Daß Firmenbetriebsräte gekauft werden können, haben wir zuletzt bei VW und Siemens lernen müssen. Daß jetzt auch eine Massengewerkschaft wie ver.di dazu beiträgt, daß billiger und länger umsonst gearbeitet werden muß, und so mithilft, noch viel mehr Menschen um Job und Verdienst zu bringen, ist neu und muß schleunigst innerverbandlich korrigiert werden. Übrigens verstehe ich den Arcor-Werber ein wenig mehr, nachdem ich las, bei Arcor bestehe schon länger ein Tarifvertrag, ungefähr zu den Bedingungen, wie sie nun bei Telekom ausgehandelt wurden. Bei Arcor ist die ver.di-Konkurrenzgewerkschaft »Transnet« im Geschäft. Die Transnet sitzt ebenfalls bei Bahn und Post mit am Verhandlungstisch, wo ähnliche Lohnabsenkungen wie bei der Telekom geplant sind. Sie ist auch Mitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund. Wenn aber die DGB-Einzelgewerkschaften nach dem kapitalistischen Grundgesetz einander Konkurrenz machen, ist ihrer aller Schwäche vorprogrammiert. (Trotzdem bleibe ich Gewerkschaftsmitglied und rate allen abhängig Beschäftigten, sich zu organisieren. Denn nur gemeinsam können wir stärker werden, auch gegenüber betriebsblind oder zynisch gewordenen Funktionären.) Kontext:
Erschienen in Ossietzky 13/2007 |
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