Politiker von der Rückseite

Sergej Guk  

Manche russischen Politiker kämpfen unermüdlich auch im Sommerloch. Die zersplitterten Neoliberalen, die seit langem miteinander im Clinch liegen, können sich nicht entscheiden, wer aus ihren Reihen als Präsidentschaftskandidat nominiert werden soll. Daß keiner von ihnen die geringste Chance hat, von der Öffentlichkeit ernst genommen zu werden, stört sie nicht.

Ein Bewerber von links, der sich als künftiger Kremlherr empfiehlt, lockt die potentiellen Wähler immerhin mit einer Vision: »Volkseigentum – dem Volke!« Wie aber will er das Ziel erreichen? Er ruft die russischen Oligarchen auf, sie möchten sich bitte daran erinnern, daß das, was sie heute besitzen, »vom ganzen Volk geschaffen« wurde. Nach dieser Predigt schlägt er ihnen vor, sich von ihrem Gewissen leiten zu lassen und zu beweisen, daß Patriotismus und Vaterlandsliebe für sie keine Fremdwörter seien. Die Neureichen sollten sich besinnen und die Fluchtkapitalien aus dem Ausland zurück in die Heimat transferieren; außerdem sollten sie ehrlich die fälligen Steuern zahlen und der Nation einen Anteil an ihren Aktien kostenlos überreichen.

Diese Appelle haben mich beinahe ergriffen, aber eine andere Geschichte verdrängte die Rührung. Können Sie sich, liebe Leser, einen gerissenen Finanzmenschen vorstellen, der sich wie ein Kind betrügen ließ? Nachher fühlte er sich so beleidigt, daß er seine Erniedrigung nun der Presse anvertraute.

Im Jahre 2003 wollte er, gerade in die Staatsduma gewählt, auch für das Amt des Oberbürgermeisters von Moskau kandidieren. Eine innere Stimme flüsterte ihm zwar zu, er werde es – trotz all seiner Kapitalien – nie schaffen. Doch in diesen Stunden der moralischen Quälerei erschienen vor ihm zwei Herren, Manager eines überregionalen Fernsehsenders. Sie klärten den Bewerber auf: PR-Aktionen im Fernsehen könnten innerhalb von zwei Wochen Wunder wirken. Und das schon für lumpige fünf Millionen. Nicht Rubel, versteht sich – Dollars. Sie seien aber auch bereit, Euro anzunehmen.

Die Summe war für den Bankier wirklich lumpig (»Ich hatte damals etwas flüssiges Geld in der Kasse«, erklärte der Kandidat später, als er vor Journalisten beichtete). Die beiden Verführer schmiedeten das Eisen, solange es heiß war. Gleich am nächsten Tage, sagten sie ihrem Opfer, feiere man den 80. Jahrestag des Fußballclubs Dynamo. Aus diesem Anlaß werde ein Wettschwimmen unter Beteiligung führender Politiker stattfinden. Er sollte auch hinkommen, um von Fernsehkameras aufgenommen zu werden. Der Bankier erschien. Und dann... Aber das weitere soll er lieber selbst erzählen:

»Nachher sitze ich mit den beiden vor dem Bildschirm und glotze die Nachrichten. Ich sehe irgendwelche Männer in Badeanzügen. Sonst nichts. Moment mal: Was soll das? Und höre die Antwort: Sind Sie blind? Da, dieser Rücken, das sind Sie. Alle Zuschauer haben Sie wahrgenommen, zweifeln Sie nicht daran. Apropos: Für diese Sendung schulden Sie uns noch 150.000 Dollar extra.« Der Mann, mit allen Wassern gewaschen, ließ sich so primitiv ködern.

Das Pikanteste an der Geschichte: Laut Gesetz durfte der Bankier gar keine so hohen Summen für seine Wahlkampagne ausgeben. Verboten. Aber der übers Ohr gehauene Mann war so tief gekränkt, daß er nicht davor zurückschreckte, sich in den Medien bloßzustellen.

Erschienen in Ossietzky 13/2007