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Volksvertretung So schützen sich Vom Autor W.B. erschien im Ossietzky-Verlag das Buch »Rechts-Sprüche« (166 Seiten, 11 €)
Grenzanlagen im Wandel der ZeitDie Ostdeutsche Angela Merkel kann auch als gesamtdeutsche Kanzlerin nicht ohne DDR-Grenzanlagen leben. In Börgerende bei Heiligendamm steht ein – bis zum Frühjahr 2007 vergessener – alter DDR-Grenzturm. Rechtzeitig zum G8-Treffen erinnerte sich die Regierung an diesen Turm und verpaßte ihm einen neuen Anstrich, eine starke Lampe sowie ein Dachgeländer. Mit Hilfe des Strahlers wurden während der Konferenz der acht größten Terroristen und Kriegstreiber der Strand und die Ostsee ausgeleuchtet. Verbal verteufelt die Kanzlerin zwar das DDR-Grenzregime, aber bei solchen Gelegenheiten zeigt sich: Die kanzlerische Heuchelei ist das Einzige, was durch Merkels G8-Zaun keine Grenze findet. Künftig wird der Grenzturm vermutlich helfen müssen, die EU vor Einwanderern zu schützen. Uwe Reinecke
Nicht mal eine Floskel wertMeine arbeitslose Freundin nimmt gern an Umfragen im Internet teil. Oft wird Eines aber hat sie sich schon früh abgewöhnt: ihren wahren beruflichen Status anzugeben, nach dem sie in der Regel am Anfang gefragt wird. »Mindestens teilzeitbeschäftigt mußt du schon sein, als Arbeitsloser fliegst du nämlich gleich zu Beginn der Umfrage raus.« Ein Freund bestätigt das. Er antwortete einem Callcenter, das ihn angerufen hatte, auf die Frage nach dem Beruf wahrheitsgemäß mit »Ich bin zur Zeit arbeitslos.« Die Reaktion des Befragers schildert er mir mit Bitterkeit: »Ich stehe da, den Hörer in der Hand, und plötzlich wird aufgelegt. Nichts, kein Dank für die Bereitschaft zur Teilnahme, nicht mal eine kurze Höflichkeitsfloskel zum Abschied. Da merke ich wieder mal: Als Arbeitsloser bin ich sogar in einer so banalen Situation der letzte Dreck.« Stefan Hug
An die LokalpresseDer Tag des Rentenaufschwungs rückt immer näher, und ich grüble in meinen schlaflosen Nächten darüber nach, ob ich mir zwei zusätzliche Mollen leiste, mit meinem Enkel eine Schlemmerrunde bei McBillig einlege oder auf eine luxuriösere Bestattung spare. Den meisten meiner Altersgenossen erscheint die Aufstockung um 0,54 Prozent zwar poplig, aber Meckerer gibt’s immer. Außerdem muß man das im Zusammenhang sehen. Für die ganze Rentnerarmee macht das insgesamt nämlich 1,2 Milliarden Euro aus, und die müssen von jüngeren Arbeitslosen erst mal erwirtschaftet werden. Und diese 1,2 Milliarden liegen nur knapp unter dem Gewinnzuwachs des Siemens-Konzerns, der laut Presse 1,3 Milliarden Euro beträgt. Die Kabeldreher haben also ihren Profit nicht auf die Vorstandsmitglieder verteilt, sondern bis auf eine Restsumme auf unsere betagten Mitbürger umgelegt. Das soll den Elektrikern erst mal einer nachmachen. – Erwin Habedank (74), Frührentner, 09623 Rechenberg-Bienenmühle * Der US-Präsident hat, wie der Berliner Kurier unter der versöhnlichen Überschrift »Bush säuft wieder« zu berichten weiß, zur Flasche gegriffen! Bis zu seinem 40. Geburtstag soll er ja ganz schön geschluckt habe, aber dann hat ihm die Vorsehung die Pulle aus der Hand geschlagen und durch einen Heiligenschein ersetzt. Und jetzt hat sich die First Laura vor dem ehelichen Terror ins Hay-Adamas-Hotel verdrückt. Was hätte sie denn auch machen sollen – etwa den Iran um Asyl bitten? Aber irgendwie kann ich auch Dabbeljuhs Frust verstehen. Obwohl er der mächtigste Mann auf unserem immer heißer werdenden Planeten ist, hat er es nicht auf die Liste der 100 angesehensten Personen geschafft, da liegen selbst Kate Moss oder Justin Timberlake weit vor ihm. Ja, wenn er gemodelt oder geröhrt hätte, aber so! Da ist es doch verständlich, daß ihm die Prozente zu schaffen machen. Außerdem: Jeder Mensch macht Fehler . Ich wollte, ich hätte auch einen. – Helene-Ernestine Demuth (58), Sozialarbeiterin, 39164 Klein-Wanzleben * Was für eine Aufregung, nur weil sich unser Bundespräsident unter vier Männeraugen getroffen hat. In dem Gespräch mit Christian Klar wollte Horst Köhler ihm nur vorschlagen, eine Grußadresse an den nächsten CSU-Parteitag zu richten, ein paar nette Worte über den Segen des Kapitalismus. Dabei hat doch unsere Bundeskanzlerin gerade mit der allergrößten Freude den derzeitigen Topterroristen in Heiligendamm empfangen, der schon als Gouverneur in Texas an die 150 Gefangene hat hinrichten lassen. Und inzwischen einige Hunderttausende Afghanen, Somalier und Irakis auf dem Gewissen hat. Aber Köhler und der Langzeithäftling konnten sich nicht einigen. Nun muß Klar nachsitzen. – Werner Veritas (43), Praktikant, 54689 Irrhausen * Nachdem die G-8-Staatsoberhäupter abgereist sind, fragt man sich doch, ob ihre nächste Begegnung nicht etwas billiger gemacht werden kann, und da hätte ich eine Idee. Wenn das Treffen auf einer Weltraumstation durchgeführt würde, entfiele das teuere Gatter, massenhaftes Andocken von Globalisierungsgegnern wäre beim gegenwärtigen Stand der Weltraumtechnik nicht möglich. Der Antransport von Bundeswehr- und Polizeikräften wäre also unnötig, und mit Panzerfahrzeugen, Wasserwerfern und selbst Pfefferspraydosen wäre auf Grund der Schwerelosigkeit sowieso nichts anzufangen. Man stelle sich nur einmal frei schwebende Polizeiknüppel und die an ihnen befestigten Beamten vor! Dann würden Handgreiflichkeiten schon im Gelächter ersticken, und die acht oder dann vielleicht zehn Visionäre könnten ungestört über den Klimaschutz palavern und aus der blauäugigen Fernsicht Afrika und den ganzen Planeten besser beurteilen. – Waldemar Obenauf, Hobby-Astronom, 72250 Zuflucht * Zur Zeit empören sich die Berliner Zeitungen, das ND, die Morgenpost und andere, über die »Tellerwäscheraffäre«. Da sind doch bei der Konferenz der Polizeipräsidenten der europäischen Hauptstädte Berliner Polizeibeamte vom Abschnitts- und Streifendienst freigestellt und als Kraftfahrer, Wagenwäscher, Service- und Abwaschkräfte zur Betreuung der befreundeten bewaffneten Organe eingesetzt worden. Dagegen ist nun die Gewerkschaft der Polizei auf die Barrikaden gestiegen. Sie hat sich auf die Erklärungen des Innensenators berufen, der behauptet hatte, nicht genügend uniformierte und zivile Fahnder für den Schutz der Bürger und ihres Eigentums zur Verfügung zu haben. Ich finde, die Kritik greift zu kurz. Der Kontakt mit diesen Gästen gab den Berliner Kommissaren bestimmt Gelegenheit zu tieferem Einblick in höhere Kriminalität. Und außerdem: Der Polizeipräsident hat ja erklärt, solche zweckentfremdeten Einsätze habe es 1. nie und 2. wenn ja, dann nur höchst selten gegeben. – Ingomar Kettenrauch, Bio-Berater, 12572 Berlin-Rauchfangswerder * Wie ich den Medien entnommen habe, wird zur Zeit leidenschaftlich darüber debattiert, wo ein Denkmal für im Ausland um ihr Leben gekommene Bundeswehrsoldaten einen würdigen Platz finden könnte. Unter anderem sind Standorte am Verteidigungsministerium und am Reichstag in der Diskussion. Ich finde, solche Gedenkstätten sollten nicht in der Heimat, sondern dort errichtet werden, wo die Soldaten die Freiheit Deutschlands verteidigt haben, zum Beispiel am Hindukusch. Das würde zugleich die Wirtschaft und den Tourismus in diesen Regionen fördern. Der Wiederaufbau, die Sanierung und die topographische Erschließung dieser bisher vernachlässigten Gebiete ist ja sowieso Deutschlands humanitäres Anliegen. Außerdem würden wir damit gleich einer hinterhältigen Behauptung des Querkopfes Kurt Tucholsky den Wind aus den Segeln nehmen, hatte er doch einst behauptet: »Die Anzahl der deutschen Kriegerdenkmäler zur Anzahl der deutschen Heine-Denkmäler verhält sich hierzulande wie die Macht zum Geist«. – Mahatma Klugweiß, Eventberater, 01728 Possendorf Wolfgang Helfritsch
Die AnderenBei einem kürzlichen Berlin-Besuch stieß ich auf das nützliche kleine DDR-Buch von Ralph Hartmann, in dem er kurz und knapp das westdeutsche Lügennetz aufspannt und dann die gröbsten Verdrehungen, die zu den Lebenslügen schon der alten Bundesrepublik gehörten, widerlegt. Bei dem Satz »Es ist die Stasi, die de facto mit der faschistischen Gestapo auf eine Stufe gestellt wird« (S. 28) erinnerte ich mich an den hochgelobten und perfekt gemachten Film über »Das Leben der Anderen«, der in den letzten Monaten auch in den italienischen Kinos lief und selbst von der linken Presse gelobt wurde! Klischees vermarkten sich eben. Damit scheint das Westbild über die Stasi-Diktatur bis auf weiteres filmisch zementiert zu sein. Peter Kammerer, Soziologe in Urbino, mit dem ich darüber redete, schickte mir seinen kurzen Kommentar zum Film, den verschiedene deutsche Blätter, die sonst seine Beiträge drucken, abgelehnt haben. Obwohl der Film schon aus den deutschen Kinos (nicht aus den Köpfen) verschwunden ist, scheint mir der kurze Text noch lesenswert, zumindest als Rarität für Ossietzky-Leser: »Das Leben der Anderen«. Eine Art Emilia Galotti der DDR. Mächtiger Minister will mit Schauspielerin vögeln und sie – nachdem sie sich weigert – als Künstlerin vernichten (samt ihrem lover). Setzt dazu Polizei (Stasi) ein mit allen unappetitlichen Folgen. In der Stasi sitzt ein linientreuer, aber fühlender, wenn auch verklemmt fühlender Mensch und will die beiden retten; schwimmt also gegen die Befehle, sie aber auch ausführend. Der komisch-tragische Zwist macht diesen Herrn eigentlich zur Hauptfigur und zum einzigen wirklichen Widerständler, der für das, was er tut, bezahlt und auch nach der Wende nicht mehr hochkommt. Doch das Leben der Anderen ist dem Film wichtiger. Die labile, nicht sehr standfeste große Schauspielerin endet unter einem LKW (ob Selbstmord ist so unklar wie sie selbst). Ihr Geliebter, ein »bedeutender Schriftsteller«, ist dem Regime gegenüber farb- und ahnungslos (noch 1985!!!), bis der Selbstmord eines Freundes ihn zum Handeln zwingt. Das Maximum politischen Handelns ist für ihn, dem Spiegel unbequeme Wahrheiten (die Selbstmordrate) der DDR zu verraten. Das bringt ihn in Gefahr und bruchlos ins vereinte Deutschland. Wieder ist er erfolgreich, weil er aus der ganzen Geschichte einen Bestseller macht. Dem Ministerschwein sagt er jetzt mit Verachtung den brechtschen Satz ins Gesicht: »Und so was hätte fast die Welt regiert« abgewandelt: »Daß Schweine wie Sie uns regiert haben!«. Ein ähnliches Thema wurde in der BRD schon 1958 abgehandelt im Film »Das Mädchen Rosemarie« (trotz Nina Hoss Vorsicht vor dem Remake von 1996). Der Vergleich zeigt einen bedeutenden Unterschied zwischen DDR und BRD. In der DDR kamen »die Mächtigen« mit Geld nicht weit; da half anscheinend nur noch die Stasi. Wenn sie half. (P.K.) Susanna Böhme-Kuby
Gegen LegendenbildungWar die DDR antisemitisch? Hat ihre Schule vierzig Jahre lang den Holocaust verschwiegen? Die Fragen geistern seit 1990 regelmäßig durch die Medien. Der Autor Matthias Krauß, Jahrgang 1960, zitiert im ersten Kapitel seines Buches aus Victor Klemperers »LTI (Lingua Tertii Imperii)«. Klemperer gibt darin die Äußerung eines seiner Kollegen aus dem Jahre 1934 wieder, daß man bei intensiver Propaganda nur etwa drei Jahre benötige, um dem deutschen Volke einzureden, der erste Weltkrieg habe nie stattgefunden. Siebzehn Jahre nach dem Ende der DDR hat wirksame Propaganda bewirkt, daß die obengenannten Fragen den Rang von Tatsachenbehauptungen eingenommen haben. Sogar Petra Pau, gewesene Pionierleiterin und jetzt Bundestagsabgeordnete der Linkspartei.PDS, erklärte dem Autor auf Nachfrage, daß sie in der Schule »herzlich wenig« über den Holo-caust gelernt habe. Krauß wollte sich nicht auf sein Gedächtnis verlassen, sichtete Lehrbücher und Materialien zum Literaturunterricht des verschwundenen Staates und stieß überall auf jüdische Autoren, auf Texte zur Judenverfolgung. Viele Werke und ihre Wertung im DDR-Schulunterricht beschreibt er ausführlich und nicht un-kritisch – von Lessings Politparabel »Nathan der Weise« bis hin zu Johannes R. Bechers erschütterndem Gedicht »Kinderschuhe aus Lublin«. Das Fazit des Buches ist eindeutig: Der Völkermord an den Juden wurde im Schulunterricht der DDR nicht verschwiegen – im Gegenteil: Die Fülle der literarischen Texte, in denen er thematisiert wurde, war beträchtlich. Und jeder Schüler hatte die Möglichkeit, sich außerschulisch weiter zu informieren. Das Buch dokumentiert eine Auswahl an literarischen Werken und Sachbüchern, die in der DDR erschienen sind. Und Bibliotheken gab es in jedem größeren Ort, die Benutzung war kostenlos. Krauß hat ein nützliches Buch wider die politische Legendenbildung geschrieben. Zu kritisieren ist höchstens, daß er noch viel mehr Bücher, auch Filme und Theaterstücke hätte auflisten können – auch zahlreiche Werke sowjetischer, polnischer, tschechischer und österreichischer Autoren zum Thema Antisemitismus und Judenverfolgung sind in der DDR erschienen. Den Verdrängern und Verleugnern, die sich den Verbrechen des Faschismus nicht stellen wollten und nun die Schuld daran einem vermeintlich antisemitischen Bildungsprogramm in die Schuhe schieben, wird dieses Buch nicht willkommen sein. Gerd Bedszent Matthias Krauß: »Völkermord statt Holocaust – Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR. Ein Nachlesebuch«, Anderbeck Verlag, 203 Seiten, 14.80 €
Blauer Dunst, braune Politik»Im Jahre 1910«, so berichtet Karl Heinz Roth, »wurde der Gastwirt und Zigarrenmacher Bernhard Reemtsma Teilhaber einer kleinen Zigarettenmanufaktur in Erfurt, einige Monate später ihr Alleininhaber. Produziert wurde in einer Etagenwohnung. Anfänglich waren fünf Zigarettendreherinnen beschäftigt, die täglich etwa 1.000 Zigaretten herstellten. Der Charakter einer fast noch hausgewerblich strukturierten Manufaktur blieb bis Kriegsbeginn erhalten. Der Aufschwung kam nach Beginn des Ersten Weltkriegs, als sich die Zigarette gegenüber der Pfeife und der Zigarre als adäquate Darreichungsform der Tabakdroge in den Schützengräben durchsetzte. In den Jahren 1915/16 wurden die ersten Maschinen aufgestellt, der monatliche Produktionsausstoß stieg auf knapp 200.000 Zigaretten. Ein Jahr später traten die beiden Söhne Hermann Fürchtegott und Philipp Fürchtegott in das väterliche Unternehmen ein. (...) Die ersten Firmenaufkäufe in Pforzheim und Stuttgart fielen in die Schlußphase des Kriegs: Sie wurden stillgelegt und ihre Produktionskontingente übernommen. (...) 1919 trat der dritte Sohn Alwin Fürchtegott in das Unternehmen ein.« Da muß man weiterlesen, und die Geschichte wird mit jedem Satz spannender. Zwischen 1929 und 1932 veröffentlichte Fritz T. H. Tetens in der Weltbühne eine Artikelserie über das »System Reemtsma«. Dies war, wie Roth zusammenfaßt, eine Art Mafiasystem; es umfaßte Delikte wie Hehlerei, Betrug, Bestechung und Meineid. Einige Beispiele: Jahrelang fälschte das Unternehmen alle Banderolen-Abrechnungen für das Finanzamt. Einen vom Reichsfinanzministerium eingesetzten Bilanzprüfer kaufte sich Reemtsma, um dessen Insider-Informationen aus der Branche für die eigene Aufkauf- und Stillegungsstrategie zu nutzen. Um sich in einem Gerichtsverfahren gegen seinen wichtigsten Kritiker, den erwähnten Publizisten Tetens, abzusichern, zog Philipp F. Reemtsma dessen Anwalt auf seine Seite, indem er ihn mit einem gutdotierten Gutachten beauftragte. Einmal ließ die Firma Reemtsma aus Tabakstaub und Kittmasse sogenannte Negerzigaretten herstellen und anschließend exportieren, um die für jede nachgewiesene Zigarettenausfuhr fälligen Steuerrückzahlungen einzuheimsen; die »Zigaretten« wurden dann ins Meer geworfen. Die wichtigsten Nazi-Organisationen dotierte Philipp F. Reemtsma mit mindestens 35 Millionen Mark; der jüngste Bruder Alwin F. Reemtsma brachte es bei der SS bis zum Standartenführer. Firmenreklame und politische Propaganda verbanden sich auf engste in Reemtsmas »Cigaretten-Bilderdienst«: Mit Bilderschecks, die allen Packungen beilagen, konnte man Fotografien beziehen, die man dann in Sammelalben klebte. Zwischen 1932 und 1943 wurden 4,13 Millionen Bilder ausgeliefert, und die Einzelhändler verkauften 18,75 Millionen Alben. Zu den größten Erfolgen gehörten die Bilderserien »Deutschland erwacht« und »Adolf Hitler«. Erschienen ist Karl Heinz Roths Aufsatz »Fordismus und Faschismus« im 30. Bulletin für Faschismus und Weltkriegsforschung. Diese hochverdiente Berliner Halbjahresschrift liest sich diesmal fast wie eine Festschrift für den kürzlich 65 Jahre alt gewordenen Autor (s. Ossietzky 11/07, S. 447), von dem sie noch einen zweiten Beitrag enthält, einen Vergleich von Untersuchungsberichten zur Nazi-Vergangenheit der Dresdner Bank. Darin kommt er zu dem Schluß: »Die Geschäfte des Geschäftshistorikers gedeihen immer dann am besten, wenn er sich seinen Sujets in einer prinzipiell vor- oder gegenaufklärerischen Absicht nähert.« Von diesem Verdacht sind Roths eigene Arbeiten frei. Was er liefert, ist allemal zuverlässig und aufklärerisch. Kurt Pätzold und Bulletin-Herausgeber Werner Röhr, beide den Ossietzky-Lesern durch gelegentliche Mitarbeit vertraut, haben im gleichen Sinne Artikel zu den Themen »Was und wie viel wußten die Deutschen vom Judenmorden?« und »Die Nazi-Elite vor US-Tribunalen« beigesteuert. Die 142 Seiten sind für 12.50 Euro im Buchhandel zu erwerben (ISSN 1434-5781). Karla Koriander
Nimmermüde NeugierWas für ein Weib! Das mag so mancher Mann gedacht haben, der Lou Andreas-Salomé begegnete. Meist waren es nicht unbedeutende Männer. Friedrich Nietzsche wollte sie ehelichen. René Maria Rilke, dem sie den Namen Rainer gab, soll der gewesen sein, der sie entjungferte. Da war Lou längst mit Friedrich Carl Andreas verheiratet, dem sie das Versprechen abnahm, eine Ehe ohne körperliche Kontakte zu führen. Und wer war dieser Professor Andreas, der sich das von dieser Frau gefallen ließ? Von ihm ist in dieser Bildbiographie über Lou Andreas-Salomé (1862–1937) wenig, zu wenig zu erfahren. Frieda von Bülow schrieb 1895 an Ricarda Huch über die Freundin: »Sie glaubt von Naturanlage Dichter zu sein, aber ich glaube das nicht. Sie zergliedert und reflektiert zu stark.« Das war treffend, zutreffend geurteilt. Louise/Lolja/Lou, die gebürtige Petersburgerin, war eine vielgelesene Schriftstellerin, bevor sie eine vielbeachtete, mit Sigmund Freud fest befreundete Psychoanalytikerin wurde – eine Frau, die viele überforderte, weil sie viel forderte. Von der Familie ebenso wie von den Freunden. Faszination übten sowohl ihre »kindliche Reinheit« wie ihre »geistige Leidenschaft« aus. Erfrischend, unverstellt schrieb Lou Andreas-Salomé 1927 in einem Brief an Freud über die »Sonnenseiten« des Alterns: »Bei mir geht es in der Tat so weit, daß ich noch immer geradezu neugierig bin, was im Wunderknäuel Leben es wohl noch alles abzustricken geben wird ...« Was für eine Frau! Mit einer Vielzahl bislang nicht veröffentlichter Fotos und Texte geht diese Dokumentation über alles hinaus, was bisher über sie publiziert wurde. Bernd Heimberger
Ursula Welsch, Dorothee Pfeiffer: »Lou Andreas-Salomé, Bildbiographie«, Reclam Verlag Leipzig, 200 Seiten, 19.90 €
Sophie von La RocheDies ist die Lebensgeschichte einer Frau, die für die Emanzipation in Deutschland nicht ohne Bedeutung war, obwohl sie »nie den Weg einer Emanzipation beschritten« hat, wie Armin Strohmeyer schreibt. Die einst berühmte Schriftstellerin, die als Fräulein Gutermann mit dem drei Jahre jüngeren Cousin Christoph Martin Wieland liebäugelte und verlobt war, wäre fast Goethes Schwiegermutter geworden und wurde die Großmutter von Clemens und Bettine Brentano. Bereits vierzig war die Autorin, als sie nach der Veröffentlichung des Briefromans »Geschichte des Fräuleins von Sternheim« (1771) binnen kürzester Zeit eine Berühmtheit wurde. Der Biograph sagt über die Porträtierte, daß ihr »bedingungsloser Glaube an die Erziehbarkeit des Menschen« das Motiv allen Tuns war. Die Erfolge der Sophie von La Roche sind die Erfolge ihrer besten Eigenschaften. Die benennt Strohmeyer mit folgenden Worten: »Gelehrt, fantasiebegabt«, »heiteres, warmes Temperament«, »klarer Verstand, gute Beobachtungsgabe«. Mit Pomona gab sie die erste deutsche Zeitschrift für Frauen heraus. Bei aller Sympathie für Sophie von La Roche hütet sich der Verfasser davor, sie zu vergöttern. Vorbehaltlos bleibt er ein Bewunderer der Lebenstüchtigen, deren Pragmatismus er immer wieder lobend erwähnt. Zur Literatin dürfen sich die Leser vom kundigen Verfasser sagen lassen: »Der empfindsame Gefühlskult, die psychologische Profilierung der Figuren und die emotionale Aufheizung der Sprache sind literarische Qualitäten, die Sophie La Roche als Erste in die deutsche Literatur eingebracht hat. Von ihr ist folgender Satz überliefert: »Zu allen Zeiten wurden die schwachen Köpfe von Vorurteilen beherrscht.« Ein Satz zum Weitersagen. B. H.
Armin Strohmeyer: »Sophie von La Roche«, Reclam Verlag Leipzig, 304 Seiten, 19.90 €
LebensfragenEs geht um die Freiheit eigener Entscheidung, um Freundschaft, Liebe, Unabhängigkeit, Loslassenkönnen – das eigentlich Wichtige im Leben des Einzelnen also, und Rainer Klis hat dafür eine etwas unwahrscheinliche, aber immer spannende Geschichte erfunden. Ein zu Reichtum gekommener Ossi, dem die Werte der Väter nicht ganz abhanden gekommen sind, entscheidet sich höchst ungewöhnlich. Diesem Wolfram Meister – Goethe lässt grüßen! – bedeuten alte Freundschaften viel, und »reine« Liebe ist ihm so wichtig, daß er sich vom erlangten Reichtum – wenigstens vorübergehend, wie er denkt – trennen kann. Der Plan mißlingt. Mittellos und zum Freundesmörder geworden hat er nur noch die Freiheit eines Nomaden in Lappland, wo er nicht mal unglücklich ist. Was braucht der Mensch? Was kann er? Rainer Klis kann erzählen. Am Literaturinstitut in Leipzig ausgebildet beherrscht er sein Handwerk. Die großen Fragen wachsen aus einer alltäglich scheinenden Geschichte voller Spannung, Witz und Ratlosigkeit. Christel Berger
Rainer Klis: »Steinzeit«, Roman, Rowohlt Berlin, 190 Seiten, 16.90 €
Chansons aus der RealitätBarbara Thalheim schreibt mir: »Ich komme mir mit diesem Album vor, wie eine Mutter die ihr Baby stolz das erste Mal spazieren fährt, aber keiner schaut in den Kinderwagen.« Also, Leute, seid Ihr wirklich so verstockt geworden, so versteinert? Abgesehen davon, daß es sich doch einfach gehört, jeder Mutter zu bestätigen, daß ihr Kind das schönste der Welt ist – merkt Ihr nicht, daß Euch allerhand entgeht, wenn Ihr sogar mit einer Künstlerin wie Barbara Thalheim so unachtsam umgeht? Mir graust vor Euch, wenn Ihr gar nicht mehr nach links und rechts schaut, nur stur geradeaus; und Eure Ohren sind verstöpselt, damit Ihr nichts anderes hört als das Hauptprogramm. Thomas Rothschild sagt, wie es ist: »Daß im Bereich der Künste Bekanntheit und Qualität nur in Ausnahmefällen korrelieren, ist eine Binsenwahrheit. Bei keiner Künstlerin aus dem Bereich des Chansons jedoch steht die Prominenz in einem so eklatanten Mißverhältnis zum Können wie bei Barbara Thalheim.« Sie, »fast die einzige wirkliche Diseuse« in Deutschland, habe »nicht nur eine Stimme, sondern auch einen dazu gehörenden Kopf«. Das ist wohl der Grund, warum sie kaum noch Chancen hat, ins Hauptprogramm zu kommen. Denn, nicht wahr, mit der Arbeitslosigkeit geben sich die Programmacher lieber nicht ab, unter ihr soll das Volk ganz still leiden, jeder für sich. Barbara Thalheim aber singt: »dein stolz verbietet zuzugeben / wirst nicht mehr gebraucht / mit 50 vertut sich das bißchen leben / abgeschrieben früh schon verbraucht / tag und nacht das sehnsuchtsfenster offen / tag und nacht in die ferne seh’n / und dann gibt’s doch wieder grund zu hoffen / einer hat gesagt da suchen sie wen // und dann setzt du dir den selberschuldhut auf / ziehst den eng gewordenen hochzeitsanzug an / und du denkst der boß muß sehen: ich hab mächtig was drauf / meine hände sprechen bände doch er schaut sie nicht an / er schaut aufs papier eine mappe vergilbt schon über 10 jahre alt / und er sagt wir melden uns dann bei ihnen / schon bald // also stülpst du dir / die dubistnichtgenugkappe über / und redest dir mal wieder ein / der selbsthaß geht irgendwie vorüber / vom bahnhof nimmst du drei sixpacks mit / wenn im fernsehen einer über arbeit spricht / wird dir schlecht und du schaltest schnell aus / oder um auf RTL…«. Sogar von Sozialismus singt sie, kunstvoll eingeleitet mit linken Sprüchen von Willy Brandt aus dem Jenseits. Das hat den Damen und Herren Rezensenten wohl erst recht nicht gefallen – gerade weil diese Chansons, diese Stimme, diese musikalischen Arrangements von Jean Pacalet so kunstvoll, so wirkungsvoll sind. Und darum schweigen sie eben. Manchmal in früheren Jahren wirkte ihre Stimme auf mich fast zu perfekt (wenn es denn Steigerunsformen von perfekt geben kann), zu professionell. Jetzt, scheint mir, vertraut sie so souverän auf ihre Mittel, daß sie auch mal spontan Emotion einfließen lassen kann. Nach schon 20 anderen Platten hat sie sich offenbar von der Sorge befreit, einmal nicht perfekt zu sein – und ist es damit endgültig geworden. Dieser Künstlerin und ihrem Ensemble sind überall volle Säale zu wünschen. Die CD »immer noch immer« ist bei pläne (www.plaene-records.de) erschienen. E. S.
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
EmpfehlungWarum heißen Sitzungen Sitzungen? Weil man in Sitzungen sitzt? Der Sinn der Sitzungen ist nicht das Sitzen. Der Sinn der Sitzungen ist da Sprechen. Muß man in Sitzungen sitzen? Weil sie Sitzungen heißen? Wieso werden Sitzungen nicht im stehen absolviert? Im Stehen ist gut reden. Mit kräftigerer Stimme. Klarer und deutlicher. Der sitzende Mensch hat eine Sitz-Stimme. Der stehende Mensch eine Steh-Stimme. Es kann kein Schaden für Sitzungen sein, wenn mit kräftigerer Stimme klarer und deutlicher gesprochen würde. Vielleicht würde dann auch klarer und deutlicher gedacht. Vielleicht wären Sitzungen dann kürzere und weniger langweilige Veranstaltungen. Sitz-Sitzungen sind nach dreißig, vierzig Minuten fad ein Kaugummi nach drei, vier Minuten. Fad wegen fortgesetzter, nicht fortführender Wiederholungen. Im Stehen wiederholen Sprechende sich seltener. Zum Vorteil für die Vortragenden und Zuhörenden. Zum Vorteil für die Sitzungen. Sitzungen im Stehen seien deswegen hiermit allgemein freundlichst empfohlen. Bernd Heimberger
Press-Kohl»Die BVG (Berliner Verkehrs-Gesellschaft) wartet seit Monaten auf neue U-Bahn-Züge«, klagte die Berliner Zeitung. Wer wartet gern monatelang? Unsereiner wird schon ungeduldig und nörgelig, wenn er auf den nächsten U-Bahn-Zug mal länger als zehn Minuten warten muß. * Über die Beziehungen zwischen christlich-demokratischer Schlagermusik und CDU berichtete Bild am Sonntag: »In Helsinki holte er beim Eurovision Song Contest für Deutschland mit dem Swing-Hit ›Frauen regier’n die Welt‹ nur den 19. Platz. Dafür singt Roger Cicero für die mächtigste Frau der Welt, Bundeskanzlerin und EU-Ratspräsidentin Angela Merkel (CDU). CDU-Generalsekretär Pofalla hat den Musiker zur CDU Media Night eingeladen. Er sagte: Die CDU holt sich mit Roger Cicero tollen deutschen Swing auf ihre Medien-Nacht.« Herrn Ciceros toller deutscher Swing entsteht, falls ich nicht irre, keineswegs durch Herrn Ciceros Gesang, sondern durch die originelle Idee des Vortragskünstlers, bei seinen Auftritten kleine alte Hüte aufzusetzen. Felix Mantel
Tabus der bundesdeutschen Geschichte, herausgegeben von Eckart Spoo, ist soeben in zweiter Auflage im Verlag Ossietzky erschienen, 248 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-9808137-4-7 Über das neue Buch aus dem Verlag Ossietzky, Die DDR unterm Lügenberg von Ralph Hartmann, informiert ein Prospekt, der diesem Heft beiliegt.
Erschienen in Ossietzky 12/2007 |
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