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Das Eröffnungsstück: »Tito, gewisse Diagramme der Sehnsucht«, eine mazedonische Produktion, wurde dort noch unter der alten Regierung beschlossen. Als die neue, extrem rechte Koalition nach der Wahl im letzten Sommer die Regierung übernahm, war »Tito« nicht genehm, galt als gefährlich. Der Kulturminister verbot es zwei Tage vor der Premiere, drohte mit Sanktionen. Der große Protest, der sofort losbrach, ließ ihn das Verbot rückgängig machen. Schließlich mußte er zurücktreten. Der Erfolg in Bitola war riesig. In Hamburg hatte es am ersten Tag des G 8-Treffens Deutschlandpremiere. Begleitet von dem Roma-Blasorchester »Pitsicato« spielten 40 Schauspieler und Tänzer aus Mazedonien, Slowenien und Italien. Drei junge Regisseure aus Bitola versuchten, den Text von Slobodan Snaider umzusetzen. Branko Brezovec aus Kroatien, der Dramaturg des Projektes »Tito«, hatte die künstlerische Leitung, Olga Pona aus Chelyabinsk die Choreographie. Episoden aus Titos Leben, die Begegnungen, Konfrontationen mit Gefährten, Gegnern, die Widersprüche – das wird nicht gradlinig erzählt, nicht eindeutig. Die Regisseure setzen alle künstlerischen Mittel ein, um sich dem Mythos Tito von verschiedenen Seiten zu nähern. Das wird dadurch erschwert, daß die Sprachen auf dem Videoschirm übersetzt werden müssen. Babel, der Turmbau – die Sprachverwirrung, in Titos Jugoslawien schien sie kein Problem zu sein – ist nur eine Facette der Inszenierung. Als Rahmen fungiert das Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud, die das Unvergängliche im Vergänglichen erhalten und Geld machen will, mit Köpfen. Anleihen bei der französischen Revolution sind beabsichtigt. Es wird kein Lehrstück geboten – wer an Büchner denkt, kommt auch nicht weiter. Es ist ein großes, in Teilen gelungenes Spektakel. Bilder bleiben. Die im Halseisen steckenden Köpfe, noch lebend oder tot. So wie es Eugen Leviné sah: »Kommunisten sind Tote auf Urlaub«? Ein Kindersarg für das nach nur drei Tagen gestorbene Kind Titos. Oder als Versteck für Flugblätter. Wenn die Roma-Musiker die Internationale anstimmen, alle mitsingen und dazu tanzen mit den hellblau getönten Halseisen, so ist es ein Test der weißgardistischen Offiziere: Wie reagieren die Bolschewiken darauf, wenn die Internationale von einem Zigeunerorchester gespielt wird? Im Moskauer Hotel Lux verzweifeln die Gäste, Mitarbeiter der Komintern, in den Zimmern, wollen sich aus dem Fenster stürzen. Vorn sitzt Tito an der Schreibmaschine. Ist er ein Spion – ein japanischer? Wer ist der Mann im schwarzen Ledermantel? Tito: »Ich übersetze die Geschichte der KPdSU, Tag und Nacht.« Stalin taucht auf, als Gegenspieler, als Tröster, ist oft, fast unsichtbar, präsent. Eine Szene: Schwanensee. Stalin und Tito tanzen, die kleinen Schwäne hinterher, Titos Pioniere? Tito als sterbender Schwan – sehr lustig. Mit der historischen Meßlatte darf man nicht kommen. Wenn Titos Armee über die Deutschen und die Tschetniks siegt, werden die Waffen heiß. Genossinnen putzen die Kanonenrohre, hingebungsvoll, erotisch. Milovan Djilas, frierend im Hemdchen. »Wäre es nicht besser, es gäbe keine Armen?« Als Jovanka im pelzbesetzten Mantel kommt, fragt ihn Tito: »Willst du eine Heizung?« und hüllt Djilas in seinen Mantel ein: »Unsere Revolution frißt nicht ihre Kinder.« Zum Schluß zurück in die Geschichte, ins Heute. Alle sind auf dem Friedhof versammelt, lebendig oder tot. Auch Tito, als Bronzebüste im Einkaufswagen. Ihm werden die Augen und Ohren zugehalten. Madame Tussaud fragt, wer Tito war. Die Inszenierung hat die Frage nicht beantwortet. Sie hat Fragen aufgeworfen und Verwirrung ausgelöst. Sie wollte zu viel und alles zugleich. »Betwixt and Between – Tito in Indien« lautet der merkwürdige Titel einer Inszenierung des deutschen Choreographen Felix Ruckert. Neun Tänzerinnen und Tänzer, die alle den klassischen indischen Tanz beherrschen – einige sind Inder – versuchen auf dieser Grundlage etwas Neues. Etwas zwischen diesem strengen Stil und dem westlichen freien modernen Tanz. Dieses Dazwischen, das noch gesucht wird, in der Kultur, im sozialen Leben, ein anderer, ein dritter Weg. Die Tänzer schaffen es auf ganz individuelle Weise, dieses Suchen zu vermitteln. Auch den Rhythmus machen sie selbst. Dann ein Flüstern, jeder in einer anderen Sprache oder einem anderen Dialekt, jeder mit sich selbst, nebeneinander, nicht miteinander – ein flüsterndes Babel. Lautes Erwachen, Erschrecken. Tito war nicht da – aber sein Geist, vielleicht. Zum Begleitprogramm gehören Vorträge, Diskussionen, ein Workshop. Und der Film von Zelimir Zilnik: »Tito, zum zweiten Mal unter den Serben« von 1994. Tito begibt sich 1992 auf einen Gang durch Belgrad, er will sehen und hören, was die Menschen sagen, erklärt er seinem wartenden Chauffeur. Fiktiv ist Tito, nicht die Situation der Bewohner, ihre lakonischen Antworten auf seine – heute – naiven Fragen. Eine glänzende Idee der Konfrontation. Dieser Film war Grundlage einer Diskussion, deren Moderator von »Frieden, Ordnung und Rechtsstaatlichkeit« schwärmte. Sie seien Ende der 1990er Jahre »in den Trümmern Jugoslawiens wiederhergestellt« worden, nicht als Folge freier Entscheidungen der ehemaligen Bürger, sondern durch Druck von außen: Sanktionsdrohungen bis hin zu den Bombardements. Frieden durch Bombardements? Rechtsstaat als Verletzung des Völkerrechts? Es soll ein beglückender Schluß sein: »Wo einst Tito war, ist Europa geworden.« Europa als Zwangsanstalt.
Erschienen in Ossietzky 12/2007 |
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