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Doch die damals 17jährige Marianne Schmidt lauschte lieber den aufwühlenden Dialogen im Radio: »Unerwartet wurde da ein ganz neuer Ton angeschlagen. Fragen wurden formuliert, die auch meine Fragen waren: Wer hat Schuld? Sind wir alle Mörder?« Marianne Schmidt hörte Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür«, die Geschichte vom jungen Kriegsheimkehrer Beckmann, der kein Zuhause mehr vorfindet und der die Verantwortung für seine Kriegsschuld gern seinem früheren Vorgesetzten zurückgeben würde. Dieses Anti-Kriegs-Hörspiel strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk an jenem Abend erstmals aus – eine Sternstunde. Seitdem begleiten Borcherts Texte, auch seine vielgestaltige Prosa, die Arbeit der (Ost-) Berliner Literaturprofessorin und Mitbegründerin der Internationalen Borchert-Gesellschaft. »Dumm, wie ich war, habe ich in den 1970er Jahren gedacht, über Borchert und sein schmales Werk sei nun alles gesagt.« Daß dies »nicht stimmt«, wie Schmidt mit leuchtenden Augen betont, zeigte jüngst eine Tagung zum bevorstehenden 60. Todestag des Dichters. Der war schon im Alter von 26 Jahren am 20. November 1947 gestorben. Um an ihn und sein politisch-literarisches Vermächtnis zu erinnern und sich der Herausforderung zu stellen, im Angesicht neuer imperialistischer Kriege Frieden zu gestalten, hatte die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft zusammen mit dem Verband Deutscher Schriftsteller und dem DGB Berlin-Brandenburg für drei Tage in das gewerkschaftliche Bildungs- und Begegnungszentrum Clara Sahlberg nach Berlin eingeladen. »Borchert prangerte nicht nur den gerade beendeten Krieg an, sondern er hatte eine klare Empfindung dafür, was in der Luft lag: die Wiederherstellng veralteter gesellschaftlicher Zustände«, urteilte Wolfgang Beutin (Hamburg) in seinem Einführungsvortrag. Er ordnete Borcherts dichterisches Werk an herrausragender Stelle in die Tradition der europäischen Friedensliteratur ein und wies Kritikerstimmen zurück, Borchert vertrete einen »bloß deklamatorischen Pazifismus«. Die 70 versammelten Gewerkschafter, Künstler und Wissenschaftler inspirierte Beutin zu einer lebhaften Kontroverse über Pazifismus und »humanitäre Interventionen«, über Bergpredigt und gerechte Kriege, über Anti-Militarismus und G8-Imperialismus. Diese Debatte befeuerte Jost Hermand (USA/Berlin) mit dem (später ausführlich ausgearbeiteten) Einwurf, selbst ein so entschiedener Streiter gegen Krieg wie Bert Brecht habe seinen Pazifismus im Angesicht eines drohenden (Atom-)Krieges der USA gegen die Sowjetunion Anfang der 1950er Jahre gelockert und zwischen Angriffs- und Verteidigungskriegen unterschieden. Mehrere Referenten machten eindrucksvoll deutlich, mit wieviel Haß und welch hartnäckiger Verleumdung bis heute die »deutsche Kriegspartei« (Heidi Beutin) sich müht, Borcherts literarische Qualität und seine in die Texte eingewobene Kriegsgegnerschaft und Lebensbejahung herabzuwürdigen. »Weinerlichkeit«, »saueren Kitsch« oder (so Jan Philipp Reemtsma 1996) ein »Lebensgefühl ohne Reflexion« versuchten sie ihm anzudichten. Borcherts »Unversöhnlichkeit«, so Johannn Dvorak (Wien), provoziere bei den Propagandisten von Militär und Krieg Versuche der »Remythologisierung«, denen Borcherts Werk sich aber widersetze. Um Borcherts spezifische Leistung herauszuarbeiten, war die Tagung bestimmt von Vergleichen und Verweisen auf andere Autoren, darunter Simone de Beauvoir, Gert Ledig (»Die Stalinorgel«) oder Konstantin Simonow (»Die Lebenden und die Toten«). Friedrich Albrecht (Leipzig) gewährte neue Blicke auf eine mit großem Erschrecken und Trauer über »die inneren und äußeren Trümmerwüsten in Deutschland« aus dem mexikanischen Exil zurückgekehrte Anna Seghers. Mit einer fulminanten Textanalyse präsentierte Michael Gassenmeier (Duisburg/Essen) Arbeiten von Stephen Spender und James Stern. Die beiden Literaten hatten kurz nach 1945 im Auftrag der britischen und der US-amerikanischen Regierung die Wirkungen des Bombenkriegs auf die Deutschen untersucht. In ihren Reiseberichten, so Gassenmeier, deute sich bereits die Unfähigkeit an, einen klaren Strich für einen Neubeginn zu ziehen: »Hier wird die unsägliche Politik der Amerika-Häuser vorgezeichnet.« Borcherts Appell »Dann gibt es nur eins!« lieh der Gewerkschaftstagung das Motto. »Er war Borcherts letzter, kurz vor seinem Tode geschriebener Prosatext«, erläuterte Marianne Schmidt: »Ein für ihn eher untypischer, ein Klar-Text, ein eindringlicher, ungeduldiger, beschwörender Aufruf, eine direkte Anrede: »Du, Mann an der Maschine«, und die Aufforderung, sich jeglicher Kriegsvorbereitung zu verweigern: »Sag NEIN!« Mit letzter Kraft habe Borchert hier noch einmal zusammengetragen, was sein Leben und das Tausender anderer zerstört hat. Zudem hätten vor allem zwei Nachkriegserfahrungen ihm bis zuletzt keine Ruhe gelassen: zum einen Hiroshima und zum anderen die Gleichgültigkeit der Überlebenden, ihre Tendenz, den Krieg rasch hinter sich zu lassen und so schnell wie möglich zur Tagesordnung überzugehen. In einem Brief schrieb Borchert: »Diese entsetzliche Indolenz ist wahrscheinlich unser größter Feind.«
Erschienen in Ossietzky 12/2007 |
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