Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Sichtbar machen, was jeder sehen konnteJochen Reinert An der Wismarer Straße im Süden Berlins erhebt sich ein grauer Basaltblock, an dessen Spitze der Kölner Bildhauer Günter Oellers Schemen von Köpfen eingraviert hat – Andeutung massenhafter Zerstörung menschlicher Individualität. Um den mächtigen Block herum legte der Künstler einen doppelten Ring von Ketten und symbolisierte damit die Unfreiheit der KZ-Häftlinge, die von Juni 1942 bis April 1945 hier schikaniert wurden. Zu Füßen dieser »Säule der Gefangenen« ist auf einer Bronzeplatte zu lesen, daß sich hier »ein Außenlager des Nationalsozialistischen Konzentrationslagers Sachsenhausen« befand, von dem aus 1500 Gefangene »sichtbar für die Berliner Bevölkerung« Zwangsarbeit leisteten. »Sichtbar« – auf dieses Wort legt Klaus Leutner großen Wert. »Denn wer Augen hatte, konnte sehen, was hier los war«, ist der Gründer der »Initiative KZ-Außenlager Lichterfelde e.V.« überzeugt. Leutner wollte als Frühpensionär die Hände nicht in den Schoß legen. 1997/98 half er in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, die Lebensdaten der dortigen Häftlinge zu dokumentieren. Dabei fiel ihm in den SS-Akten immer wieder der Name Lichterfelde auf, wo er damals wohnte. Er erfuhr, daß sich dort bereits seit Anfang der 1980er Jahre Antifaschisten bemüht hatten, die Geschichte des KZ-Außenlagers aufzuklären. Doch alles war wieder in Vergessenheit geraten. Als eine Bonner Wohnbaufirma Ende der 1990er Jahre auf dem früheren Lagergelände eine Wohnanlage errichten wollte, bat das Steglitzer Bezirksamt Leutner um eine Dokumentation – als eine Art historische Dienstleistung für die Firma, die sich bereit erklärt hatte, einen Gedenkstein zu finanzieren. Jetzt stürzte sich Leutner in die Akten und suchte von Amsterdam bis Klagenfurt nach »Lichterfeldern«. Die Bürgerinitiative hat bisher 19 noch lebende Lichterfelder Gefangene gefunden. Vor mehr als 60 Jahren waren sie Arbeitssklaven der Waffen-SS, die hier an der Wismarer Straße ihre Zentralbauleitung und einen großen Bauhof eingerichtet hatte. Die Zwangsarbeiter – ob politische Häftlinge, sogenannte Asoziale, Zeugen Jehovas oder Sinti und Roma – wurden jeden Tag in Sonderkommandos an mehreren SS-Standorten in Berlin eingesetzt: im SS-Führungshauptamt Kaiserallee, im SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt Berlin-Steglitz und sogar im Gestapohauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße. Als die Initiative am 8. Mai 2001 mit der Enthüllung der Gedenktafel – die »Säule der Gefangenen« war bereits einige Monate zuvor eingeweiht worden – zum ersten Mal an die Öffentlichkeit getreten war, reifte die Idee, künftig an jedem 8. Mai der Befreiung von der Nazi-Herrschaft feierlich zu gedenken und dazu den Botschafter aus einem der Herkunftsländer der Arbeitssklaven einzuladen. Nach Diplomaten Polens, Russlands, der Slowakei, der USA und Brasiliens war es in diesem Jahr der niederländische Botschafter Peter van Wulfften Palthe. Vor der »Säule der Gefangenen« erinnerte er an den Überfall der Nazi-Wehrmacht auf sein Land und sprach vom »unschätzbaren Wert« der Berichte der Überlebenden des Nazi-Terrors. Damit meinte er gewiß auch seine beiden Landsleute Gerard de Ruiter und Peter Josef Snep, die trotz ihres hohen Alters an diesem Tag nach Lichterfelde gereist waren. Vierzig Prozent der »Lichterfelder« kamen aus Deutschland, ebenso viele aus Polen und die anderen aus fast allen weiteren von der Nazi-Wehrmacht besetzten europäischen Ländern. Um die Verbindung nach Polen zu stärken, lud Leutner diesmal auch Janusz Krzysków ein, den Bürgermeister von Slonsk (Sonnenburg), wo die Nazis im April 1933 eines der ersten KZ eingerichtet hatten. Zu den Gefangenen dort gehörten – wie Krzysków den Versammelten berichtete – Carl von Ossietzky und Hans Litten; ein anderer, der in Sonnenburg schrecklich mißhandelt wurde, war Erich Mühsam. Unterdessen rechnet die Initiative mit rund 3000 Gefangenen, die im SS-Lager Lichterfelde ausgepowert wurden. Gut 800 von ihnen konnten inzwischen identifiziert werden – darunter auch etliche Skandinavier. Von den Norwegern sind 16 Namen in Leutners Computer gespeichert – bislang aber noch nicht der des Hammerfester Widerstandskämpfers Aksel Wahl, der mir vor Jahren von seinem Martyrium berichtete. Wahl hatte nach der Okkupation Norwegens den Widerstand in der nördlichsten Stadt der Welt organisiert. Im März 1944 wurde der Kommunist von der Gestapo verhaftet und nach Sachsenhausen und Lichterfelde deportiert. Eingeteilt für das Sonderkommando Reichssicherheitshauptamt mußte der Fernmeldemechaniker die Telefone und Radios des Gestapohauptquartiers reparieren. In Lichterfelde erreichte ihn im Februar 1945 ein Brief seiner Frau Sara, dessen Umschlag die Aufschrift »Schutzhäftling Aksel Wahl,... Nr. 79741 Block 4 Li(chterfelde), K.L.S. Sachsenhausen, 2 Oranienburg bei Berlin« trägt – ein seltenes Dokument, das wieder ein Stück Lagergeschichte sichtbar macht. Das Gedenken am Tag der Befreiung ist nach Leutners Worten auch deshalb wichtig, »weil der Nazi-Ungeist noch in den Köpfen vieler Menschen vorhanden ist«. Als Indiz dafür sieht er, daß im April vorigen Jahres ein großes Hakenkreuz auf den Basaltblock mit der doppelten Kette gesprüht wurde und nach der Feier die Kränze zerstört wurden.
Erschienen in Ossietzky 12/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |