Ein Standort für Manager

Werner René Schwab   

Nachdem die – der Kapitalismuskritik unverdächtige – Amerikanische Handelskammer in Stuttgart, die Financial Times und sogar Vertreter der EU-Kommission Deutschland als ein Land klassifiziert haben, in dem es sich auf Grund seiner Infrastruktur und der Qualifikation der Beschäftigten zu investieren lohne, könnte man annehmen, die von den Unternehmern vor Jahren entfesselte Debatte um den »gefährdeten Standort Deutschland« wäre endlich abgetan. Pustekuchen. Bei Bedarf zeigen die Kapitalisten wieder ihr bewährtes Marterwerkzeug vor – wie einige Beispiele aus den letzten Wochen zeigen.

Da entscheidet das Bundesarbeitsgericht in Erfurt, daß Gewerkschaften im Streit um einen Sozialplan bei Betriebsänderungen und Entlassungen zum Streik aufrufen dürfen. Und schon sprechen die Arbeitgeber – in diesem Fall Nordmetall – von Hemmnissen für Investitionen; solche Urteile reizten zur Standortverlagerung.

Unternehmerfreundliche Wirtschaftsinstitute behaupten und wiederholen unablässig, »zu hohe Tarifabschlüsse« stärkten die Konkurrenz der billigeren ausländischen Anbieter und gefährdeten also den Standort Deutschland.

Siemens entläßt Tausende von Arbeitnehmern, kürzt Einkommen, schließt und verkauft Betriebsteile an ausländische Investoren und begründet das damit, so würden Arbeitsplätze in Deutschland und damit auch dieser Standort gesichert. Ein Jahr zuvor waren unter dem inzwischen ausgeschiedenen Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld die Gehälter der Siemens-Vorstandmitglieder um 30 Prozent erhöht worden. Immerhin hat selbst dieses Unternehmen damit gezeigt, daß Deutschland wenigstens für eine Sorte Mensch ein guter Standort ist. Für Manager.

Damit dies auch so bleibe, drohen sie – wenn es ihnen paßt – auch wieder mit den alten Argumenten, die sogar dazu dienen sollen, die Bildung von Betriebsräten zu verhindern, damit der Unternehmer der unumschränkte Herr im Haus bleibt. So hatte vor einiger Zeit der Gründer des Softwarekonzerns SAP, Dietmar Hopp, angekündigt, im Falle einer Betriebsratswahl werde er den Betrieb verlagern. Die Belegschaft ließ sich nicht einschüchtern. SAP existiert immer noch, und zwar erfolgreich – wie auch die Freiburger Solarfabrik, wo wir das gleiche Spiel mit dem gleichen Ergebnis erleben durften.

Dennoch gehören die alten Drohungen weiter zum Waffenarsenal der Kapitalisten. Und daß wir in der augenblicklichen Diskussion um einen gesetzlichen Mindestlohn noch nicht wieder das Geschrei von schwerer Schädigung des Standorts und unvermeidlichen Verlusten an Arbeitsplätzen gehört haben, ist wohl nur darauf zurückzuführen, daß es ihn in 18 von 25 EU-Staaten bereits gibt, dort liegt er zum Teil sogar höher, als ihn die deutschen Gewerkschaften und Linken fordern.

Aber im entscheidenden Moment wird die Unternehmerpropaganda gewiß auf diese Waffe zurückgreifen. Der bekannteste professorale Reklameschwätzer, Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut, hat bereits den Ton angegeben. Er sagt bei einem Mindestlohn von 6.50 Euro die Entlassung von 465.000, bei 7.50 Euro von 621.000 Beschäftigten voraus. Und darauf werden sich dann die Unternehmer, Großaktionäre, Banken, Wirtschaftsweisen und ihre Helfer berufen, damit wenigstens ihr einträglicher Standort gesichert bleibt.

Erschienen in Ossietzky 12/2007