Je nachdem

Dietrich Kittner   

Quod licet Jovi, non licet bovi – Was Jupiter gestattet ist, ist nicht jedem Ochsen erlaubt, sagten die Römer. Alles ist eben je nachdem, oder: Da könnte ja jeder kommen ...

Die Mehrheit der Abgeordneten sowohl beider regierenden als auch der zwei gelegentlich mitregierenden Parteien im Deutschen Bundestag ist fast einhellig der festen Überzeugung, bei einiger Sparsamkeit lasse sich von 345 Euro im Monat doch gut leben. Deshalb hat sie jetzt sich selbst die Bezüge um 600 Euro monatlich angehoben. Allein die Erhöhung macht also 174 Prozent des Satzes aus, mit dem andere auskommen sollen. Solche Rechenweise ist selbstverständlich polemisch. Deswegen sei ein wenig versachlicht: Die Besten unseres Volkes haben sich ihr Einkommen gerade mal um bescheidene 8,6 Prozent aufgestockt. Damit das alles sozial schön gerecht bleibt, wurde für gemeine Staatsbürger erstmals seit langem die Rente um 0,54 Prozent erhöht (ALG-IV-Bedürftige haben eh schon genug). Wer hieraus ein gewisses Mißverhältnis folgern sollte, der irrt: Im Vergleich zu den Abgeordneten gibt es schließlich viel mehr Rentnerinnen und Rentner. In der Gesamtsumme sind also sie es, die mit übersteigerten Sozialansprüchen verantwortungslos unser Gemein-Wesen in den Ruin treiben.

*

Schon seit längerem gibt es für den von Lenin geprägten Begriff des »Imperialismus als die höchste Form des Kapitalismus« die griffigere Bezeichnung »Globalisierung«. Eine gewisse Frau Merkel hat nun erklärt: »Wir wollen der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben.« Das ist die Lösung des uralten Menschheitsproblems der Quadratur des Kreises: Humaner Imperialismus!
Dunkel war’s, der Mond schien helle ... Jetzt wird alles gut. Friedliche Kriege führt unser Land ja schon. Demnächst gibt es wohl auch den demokratischen Faschismus, auf jeden Fall aber trockenes Wasser.

Bedenklich ist nur eines: Aus der merkelschen Maxime spricht die Erkenntnis, daß der Imperialismus beziehungsweise die Globalisierung bisher ein unmenschliches Gesicht tragen. Für die öffentliche Äußerung inhaltlich fast gleicher politischer Klar-Sicht mußte unlängst ein bekannter Strafgefangener schwerwiegende staatliche Sanktionen hinnehmen. Wird Frau Merkel jetzt ebenfalls mit erheblichen Strafmaßnahmen überzogen werden? Ach, es ist alles mal wieder je nachdem.

*

Ein Leitartikler der letzthin ein wenig geschrumpften Frankfurter Rundschau empört sich über menschengefährdende Greenpeace-Manöver vor dem Strand des Globalisierer-Geheges in Heiligendamm. Gefährliche Schlauchboot-Attacke gegen gepanzerte Fregatte, Heißluftballon-Angriff gegen hilflose Tornados. Solche Aktionen seien unverantwortlich. Denn habe nicht die Behinderung von Atomversuchen durch die »Rainbow Warrior« Frankreich seinerzeit gezwungen, – nahezu verständlicherweise – das Greenpeace-Schiff »kurzerhand« zu sprengen? Daß der französische Terroranschlag im neuseeländischen Hafen ein Menschenleben gefordert hat, ist dem FR-Kommentator entfallen. Hier war mal wieder der Ermordete schuld, nicht der Täter.

*

In Rostock wurde ein 19-jähriger österreichischer Staatsbürger festgenommen und in Handschellen gelegt. Die Polizei hielt ihn für einen Angehörigen des Gleiwitzer Schwarzen Blocks. Bei der Durchsuchung seines Reisegepäcks hatten die Beamten nämlich eine gefährliche Vermummungswaffe entdeckt: die Sonnenbrille des jungen Mannes. Mehr war nicht. Aber ist es nicht erschreckend, wenn manche Leute die Ostseestrände jetzt schon mit Sonnenbrillen im Gepäck terrorisieren? Da hat die Polizei in diesem Sommer bestimmt noch viel zu tun. Quod licet Jovi ...

Erschienen in Ossietzky 12/2007