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ProfessionalisierungIn Kalifornien, regiert von einem Schauspieler österreichischer Herkunft, von vielen bundesdeutschen Linksliberalen als Land der ungeahnten Freiheiten bewundert, warten in Todeszellen mehr Menschen als in jedem anderen Bundesstaat der USA auf ihre mögliche Hinrichtung, 650 sind es zur Zeit. Ende vergangenen Jahres hatte ein Bundesrichter dort die Tötungen von Staatswegen ausgesetzt, weil sie in der Methodik grausam seien, das aber verbiete die Verfassung. Jetzt hat Gouverneur Arnold Schwarzenegger ein Konzept vorgestellt, das die Fortsetzung der Todesstrafen verfassungskonform machen soll: Die Giftspritze soll neu konstruiert, die Todeskammer besser eingerichtet und das Hinrichtungsteam geschult werden – um so den »Mangel an Professionalität« zu beseitigen. Gewiß werden der deutsche Bundespräsident oder die deutsche Bundeskanzlerin, falls sie demnächst Kalifornien einen Besuch abstatten, ihre uns aus Staatsvisiten in Ländern des Ostens wohlbekannten Hinweise auf Menschenrechte auch dort geben. Marja Winken
Der GipfelPünktlich zum Gipfel hat der ursprünglich auf Studien aus der Arbeitswelt spezialisierte Verlag VSA dieses »Buch zum Gipfel« herausgebracht. Der attac-Aktivist Peter Wahl schildert darin aufschlußreich die Entstehung der Weltwirtschaftsgipfel und ihre Funktion im kapitalistischen Herrschaftsgefüge. Eine Rede des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez auf dem VI. Weltsozialforum wird dokumentiert. Oskar Lafontaine polemisiert treffend gegen den neoliberalen Freiheitsbegriff und charakterisiert Privatisierung als Unterwerfung unter die gnadenlose Totalität des Marktes. Der bolivianische Journalist Osvaldo Calle Quiñonez berichtet, wie unter dem Vorwand der Schuldenbekämpfung seinem Land neoliberale Reformen aufgezwungen wurden; als Ergebnis verarmte die Bevölkerung, während sich die Staatsschulden fast verdoppelten. Eine Welle von Sozialrevolten und Aufstandsbewegungen führte schließlich zum Wahlsieg des indigenen Bauern Evo Morales. Mehrere Beiträge dokumentieren unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Protestspektrums: Der britische Politologe Alex Callinicos weist nach, daß der Staat im Kapitalismus strukturell vom Prozeß der Kapitalakkumulation abhängig ist, demzufolge auf eine Regierungsbeteiligung linker Parteien zwangsläufig deren Unterwerfung unter die Sachzwänge kapitalistischen Handelns folgen muß. Der mecklenburgische Umweltminister Wolfgang Methling (Linkspartei.PDS) setzt hingegen weiter auf ein »strategisches Dreieck« aus Landespolitik, Kommunalpolitik und außerparlamentarischem Protest. Zu kritisieren ist die schlampige Arbeit der Herausgeberinnen des Bandes. Mehrere für weiterführende Recherchen angegebene Internet-Adressen existieren nicht. Die Chronologie der bisherigen Gipfelproteste ist schlecht recherchiert, im Fall des G 7-Gipfels von 1992 sogar irreführend. Die Erläuterungen im Glossar sind politisch so brav, daß sie in einem VWL-Lehrbuch stehen könnten. Auch zählen die Beiträge der Herausgeberinnen zu den schwächsten des Buches. Die Befürchtung von Christine Buchholz, zu radikale Forderungen der Gipfelgegner könnten potentielle Bündnispartner verschrecken, dürfte durch die Entwicklung der letzten Monate obsolet geworden sein. Im selben Beitrag wirbt Buchholz für Akzeptant der neu entstehenden Linkspartei in der Anti-G8-Bewegung und setzt den Besorgnissen vor möglicher Vereinnahmung die Gefahr einer Entpolitisierung entgegen. Wenn aber im Buch auf eine kritische Solidarisierung des philippinischen Soziologen Walden Bello mit dem bewaffneten Widerstand im Irak sofort eine Distanzierung der Herausgeberin Katja Kipping folgt, dürften diese Besorgnisse dadurch eher bestätigt werden. Christine Buchholz ist Mitglied im Bundesvorstand der WASG, Katja Kipping im Bundesvorstand der Linkspartei.PDS. Gerd Bedszent Christine Buchholz/Katja Kipping (Hg.): »G8 – Gipfel der Ungerechtigkeit. Wie acht Regierungen über 6.000.000.000 Menschen bestimmen«, VSA-Verlag, 174 Seiten, 11,80 €
Forsche ForscherinDa freute sich Spiegel-online: in der FAZ habe eine Wissenschaftlerin »nachgewiesen, daß Professor Wolfgang Abendroth, einst Guru für DKP-nahe Studenten in Marburg, ein innigeres Verhältnis zur DDR pflegte als bisher bekannt«. Diese Erfolgsmeldung aus dem Enthüllungsgenre verdeckt allerdings den tatsächlichen Sachverhalt. Die erwähnte Nachweiswissenschaftlerin, Anne Christine Nagel, hatte in ihrer 2005 erschienen Habilitationsschrift über Mittelalterforschung (!) »im Schatten des Dritten Reiches« beiläufig die gewichtige Behauptung aufgestellt, »anhand der Unterlagen der Gauck-Behörde« lasse sich »detailliert nachweisen, daß der Politikprofessor Abendroth und seine Mitarbeiter in enger Verbindung zum Staatssicherheitsdienst der DDR standen«. Nun endlich, am 25. Mai 2007 in der FAZ, mußte die Nachforscherin zugegeben, daß von den »detaillierten Unterlagen« und den behaupteten Verbindungen zum Staatssicherheitsdienst keine Rede sein könne – ein Eingeständnis, das sie aber sogleich wieder kleinredete: Ein »Provenienzfehler« habe zu ihrer Fehldarstellung geführt, irrtümlicherweise habe sie das Dokument, auf das sie sich berief, der Birthler-Behörde und nicht dem Bestand des Bundesarchivs (wo es lagert) zugeordnet. Offenbar hat sich Anne Christine Nagel hellseherische Fähigkeiten zugetraut, als sie aus einem vermuteten Aufbewahrungsort eines Schriftstückes bereits auf dessen Substanz schloß. Das ging schief, aber dank ihrer Suche im Bundesarchiv konnte sie dem Publikum einen schönen Ersatz anbieten: eine Kondolenzkarte, die Wolfgang Abendroth am 2. August 1973 dem SED-Politiker Albert Norden zum Tode Walter Ulbrichts geschrieben hat. Und so läßt sie die Stasi beiseite und schreibt: »An Abendroths Verbindungen zur politischen Führung der DDR ... dürfte nun kein Zweifel mehr bestehen.« Um diese Information als einen Clou wissenschaftlicher Bemühungen darzustellen, braucht es schon journalistische Spiegel-Qualität. Aber Anne Christine Nagel mag zufrieden sein und sich der Erwartung hingeben, daß damit über den gesellschaftspolitischen Ideen eines Wissenschaftlers, der sich so gar nicht mittelalterlichen Themen zugewandt hatte, endlich der Sargdeckel geschlossen sei. Arno Klönne
Karl Heinz Roth (65)Kritische Gewerkschafter verdanken Karl Heinz Roth viele Anregungen, zum Beispiel seinen Studien über die kapitalistische Repression von 1880 bis zur Gegenwart, über die »andere Arbeiterbewegung« und über die Erneuerung des Sozialstaats. Die von ihm 1985/86 herausgegebenen US-amerikanischen Berichte über das Verhalten deutscher Konzerne in Nazi-Deutschland, vor allem die Ermittlungen gegen die I.G. Farben AG, beeinflußten das Projekt, mit dem ich Mitte der achtziger Jahre die Edition der Nürnberger NS-Nachfolgeprozesse gegen die Eliten der »Dritten Reichs« zu realisieren hoffte. Vergeblich – unter anderem deswegen, weil ich nicht die Kooperation zur damals noch in Hamburg angesiedelten Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts suchte, nachdem das Institut für Zeitgeschichte in München die Mitarbeit verweigert hatte. Dagegen gelang der Forschungsgruppe um Karl Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus die Herausgabe der Akten zum Nürnberger Ärzteprozeß, begleitet von zahlreichen Veröffentlichungen zur Gesundheits- und Bevölkerungspolitik im »Dritten Reich« wie auch zu den Nürnberger Industrieprozessen. Nach seiner Trennung von Jan Philipp Reemtsma und dem Umzug der Stiftung für Sozialgeschichte nach Bremen kam es Mitte der neunziger Jahre zu persönlichen Kontakten und intensiver Zusammenarbeit, besonders bei der Spurensuche in Archiven mit dem Ziel, das lange verdrängte Kapitel der NS-Kollaborateure aufzudecken und dabei die Geschichte unserer Lehrer nicht aus-zuklammern. Uns verbindet aber auch der durch Enttäuschungen ebenso wie durch Hoffnungen geprägte Blick auf den »Zustand der Welt« angesichts des Versagens der traditionellen Arbeiterbewegung und der Schwäche der Linken, deren Erneuerung häufig durch das Beharren auf Formen des demokratischen Zentralismus und durch die Abwehr basisorientierter Prinzipien behindert wird. Da diese Phänomene mit dem Faschismus, seiner Vorgeschichte, seinen Folgen und Verdrängungen bis heute verknüpft bleiben, gilt Karl Heinz Roths unbestechlicher Blick immer wieder dem Sündenfall der spätbürgerlichen Geschichtswissenschaft und dessen Wiederholung in Zeiten des Geschichtsrevisionismus. Daß das NS-Engagement der Mehrheit der deutschen Wissenschaftler überhaupt zum Thema wurde, verdanken wir den intensiven Studien von Karl Heinz Roth über die »Mythen der deutschen Historiker« von Theodor Schieder über Werner Conze bis zu Hans Rothfels. Diese Forschungsergebnisse erleichtern heute die Einordnung von Anpassungsprozessen der Wissenschaftler, die ihre Fähigkeiten ebenso konfliktlos in den Dienst der Nazis wie der Bonner Demokratie stellten und Generationen von Studenten prägten. Die umfangreiche Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen dokumentiert den Selbstqualifizierungsprozeß des sorgfältig recherchierenden Wissenschaftlers, dessen historischer Blick immer die gegenwärtige Gesellschaft einschließt. So macht er Minderheiten Mut, nicht nachzulassen im Kampf um die Erhaltung und den Ausbau demokratischer Errungenschaften. Am 2. Juni feiert Karlo, der präzise Denker, der Unruhestifter, der ebenso bescheidene wie kritische Mutmacher, seinen 65. Geburtstag. Jörg Wollenberg
Wolf und Helfer1937 wurde Gisela Elsner geboren. Zum 70. Geburtstag und 15. Todestag der Schriftstellerin erschien jetzt die deutsche Erstausgabe ihres Romans »Heilig Blut«, den sie Anfang der achtziger Jahre zeitgleich mit »Die Zähmung« geschrieben hat. Damals gelang es nicht, einen deutschen Verlag zur Veröffentlichung zu bewegen. Als 1987 eine russische Übersetzung in einem Band mit Erzählungen Elsners im Moskauer Raduga-Verlag herauskam, waren in Deutschland lediglich Auszüge zugänglich. Es ist ein großes Verdienst des Verbrecher Verlags und der Herausgeberin Christine Künzel, diese Lücke geschlossen zu haben. Der Roman über die Bundesrepublik der frühen achtziger Jahre, als die Auseinandersetzung mit dem Faschismus noch eine Auseinandersetzung mit der Generation der Eltern war, hätte zeitgenössisch wirken sollen. Doch im Abstand von beinahe einem Vierteljahrhundert hat er auch jüngeren Lesern noch viel zu sagen. Heilig Blut ist der Name eines Dorfes im Bayrischen Wald. In der Nähe besitzen vier ältere Herren (Gösch, Glaubrecht, Lüßl und Hächler) eine Jagdhütte, wo sie ihren Winterurlaub zu verbringen pflegen. Halb befohlen, halb – mit drohender Enterbung – erpreßt ist die Teilnahme des »jungen Gösch« (40 Jahre alt) an der Jagdgesellschaft anstelle seines erkrankten Vaters. Der Ankunft in Heilig Blut und einer Bergwanderung, in deren Verlauf Hächler einen Hund erschießt, folgt der Hauptteil: die Suche nach dem Knopffabrikanten Ockelmann, der es sich aus Lebensüberdruß in den Kopf gesetzt hat, sich von einem der Wölfe zerfleischen zu lassen, die tags zuvor aus einem Wildgehege ausgebrochen sind. Weniger Anteilnahme als Abenteuerlust treibt die drei alten Männer dazu, tagelang den Fußspuren Ockelmanns zu folgen. Am Ende der Suche steht die Begegnung mit einem Wolf. Ein tödlicher Ausgang. In der Kulisse einer grausigen Idylle entfaltet Elsner ein groteskes Panorama aus Frühstücksszenen, greisenhafter Jagdromantik und vor allem lächerlicher Männlichkeit. Deutlich steht hinter der Teilnahme des »jungen Gösch« am Winterurlaub der drei Alten, vor denen es ihm schon als Kind gegraust hat, die pädagogische Absicht des Vaters, aus seinem weichlichen und dicklichen Sohn, dem Kriegsdienstverweigerer, unter Anleitung und Aufsicht der Jagdkumpanen einen »echten Mann« zu machen. Das zentrale Moment dieser Männlichkeit besteht in Härte gegenüber selbstverständlichen Bedürfnissen und vor allem in Verweigerung von Solidarität und Hilfe. Bezeichnend ist eine Szene, in der der junge Gösch dem aus Schwäche gestrauchelten Glaubrecht aufhelfen will und als Dank dafür einen Schlag auf die Hand erhält. Nicht nur wo die Herren explizit werden, etwa wenn von Lüßl, der ihnen wegen einer jüdischen Großmutter als »Vierteljude« gilt, verlangt wird, den »schlechten Einfluß in seinem Erbmaterial« zu überwinden, sondern immer wieder in der Verweigerung und Unterdrückung menschlicher Regungen zeigt sich der alltägliche Faschismus, der das Denken und Handeln der drei Herren bestimmt. Das einzige Band zwischen ihnen ist das von Komplizen. Der junge Gösch steht ihnen unbeholfen gegenüber; sein Versuch sich anzupassen, so gut er kann, macht ihn zum Lamm unter Wölfen und führt in die Katastrophe. So steht am Ende seiner »Passionsgeschichte« weder Auferstehung noch Erlösung, sondern nur eine neue Komplizenschaft. Elsners Roman ist von doppelter Aktualität: Zum einen thematisiert er eine Leerstelle, die im Kontext der Debatte um die »Generation von 1968« mitunter übersehen wird, nämlich die stille Anpassung, die es jenseits der Revolte auch gegeben hat. Zum anderen aber zeigt er eine sonst kaum sichtbare Verbindung zwischen faschistischer und neoliberaler Haltung: jene Solidaritätsverweigerung, die weder bereit ist zu helfen noch sich helfen zu lassen. Auf die untergründige Parallelität der Wolfsmetapher bei Elsner und in Franz Josef Degenhardts Lied »Wölfe im Mai« verweist die Herausgeberin im Nachwort. Als bestimmte Negation zu Thomas Hobbes’ Charakterisierung eines Naturzustandes, in dem »der Mensch des Menschen Wolf ist«, hat schon Bertolt Brecht in seinem Gedicht »An die Nachgeborenen« die Figur des »Helfers« eingeführt. In diesem Problemhorizont ist »Heilig Blut« geschrieben – eine echte Satire, als die sich der Roman gerade dadurch erweist, daß in der Farce selbst die Tragödie beschlossen liegt. David Salomon
Gisela Elsner: »Heilig Blut«, Verbrecher Verlag, 256Seiten, 14€
Walter Kaufmanns LektüreDer Sog dieses Romans ist stark. Das allein ist viel. Ist im Grunde alles. Denn es zeugt von gestalterischer Kraft, Wortgewandtheit, Spannung, Vielfalt der Mittel, Genauigkeit, kluger Dramaturgie und einem wachen Ohr für Dialoge. Christoph Hein – er hat es mit acht erfolgreichen Büchern bewiesen – gehört zu den besten, die gegenwärtig in Deutschland schreiben. Man muß diese Frau Trousseau nicht mögen, von deren Selbstmord man gleich anfangs erfährt und deren Lebensweg bis hin zum tragischen Ende auf mehr als fünfhundert Seiten dargestellt wird. Man bleibt beteiligt. Weil sich hier eine junge Frau von einem zerrütteten Elternhaus abzusetzen versteht, um Malerin zu werden – und nichts als das. Und es gegen alle Widrigkeiten schafft. Sie ist hart gegen sich und ihre Mitmenschen, vornehmlich gegen die Männerwelt, und sie opfert das Sorgerecht für das Töchterchen der Selbstbehauptung als Künstlerin. Tief sind die Einblicke, die der Roman in sexuelle Beziehungen gibt. – auch in die zwischen Frauen. Solche begreift Christoph Hein und weiß sie zu beschreiben wie kein zweiter. Weibliche Leserinnen werden aufmerken – und manch eine wird sich fragen, ob nicht die gelegentliche Intimität mit einer Freundin dem Zusammenleben mit Männern vorzuziehen sei – in der Hoffnung, all diese Unterwerfungen würden wegfallen, die einer Frau abverlangt werden, das leidige Macho-Gehabe auch und die daraus entstehenden Zwistigkeiten. Kurzum, der Roman zeigt frauliche Bestrebungen nach Eigenständigkeit, frauliche Selbstbehauptung, mütterliche Neigungen und Verpflichtungen und die Vielfalt ehelicher und außerehelicher Verstrickungen. Zudem sind zwei deutsche Welten zu erleben, die vor und die nach der Wende – ein Künstlerdasein in DDR-Zeiten und das um vieles härtere danach. Hein weiß Bescheid. Mag auch die von ihm beschriebene östliche Wirklichkeit eine sehr spezielle sein, stimmig, glaubhaft und überzeugend ist sie allemal. Doch zurück zu Paula Trousseau, um die das Romangeschehen kreist: Woher, so wird im Klappentext gefragt, rührt die Gleichgültigkeit dieser Künstlerin gegenüber anderen und schließlich gegen sich selbst? Sind Herkunft, politische Verhältnisse, Geschlechterhierarchie, die kulturelle Situation dafür verantwortlich? Christoph Hein belehrt uns nicht. Es bleibt dem Leser überlassen, darüber nachzudenken, wie wir werden, was wir sind. Walter Kaufmann
Christoph Hein: »Frau Paula Trousseau«, Suhrkamp, 537 Seiten, 22.80 €
Sonnenbilder»Die Bilder Wolfgang Mattheuers sind beredt wie gute Geschichten. Sie stecken bei aller Klarheit und Sachlichkeit voller humoriger Anspielungen, hintergründiger Weisheiten und anekdotischer Streiflichter. Einige seiner Bilder – wie ›Bratsker Landschaft‹, ›Liebespaar‹, ›Sonntagsausflug‹ – erscheinen bei jeder Wiederbegegnung neu und überraschend: lebenspralle Wirklichkeit, ironische Kritik, Leuchtzeichen einer diesseitigen Utopie.« Diese Zeilen von Eberhard Panitz stehen in einem Band Erinnerungen an den Leipziger Maler, der am 7. April achtzig Jahre alt geworden wäre; er starb vor drei Jahren an seinem Geburtstag. Texte von 87 »Freunden, Sammlern, Schülern, Kunsthistorikern, Schriftstellern, Musikern und Politikern, die ihm persönlich nahestanden oder ihm und seinen Bildern unvergessene Erlebnisse verdanken« – so seine Witwe in ihrer Einleitung – sind in diesem Band versammelt. Genannt seien hier neben Eberhard Panitz Hermann Kant und Klaus Staeck, Werner Stötzer und Günter Grass, Volker Braun und Walter Jens, Willi Sitte und Friedrich Schorlemmer. Dem Erinnerungsbuch beigefügt sind 25 farbige Reproduktionen von »Sonnenbildern des Meisters«, dessen Motto »Meine Sonnen heißen trotz alledem« zum Titel des Buches wurde. Den von Frank Eilenberger gestalteten Textband und die Reproduktionen vereinten Faber & Faber in einer schwarzen Kassette mit orangefarbenem Leinenrücken – sehr schön. Edmund Schulz
»Meine Sonnen heißen trotz alledem. Erinnerungen an Wolfgang Mattheuer«, hg. von Ursula Mattheuer-Neustädt, Heinz Schönemann, Hartmut Koch und Claudia Rodegast. Faber & Faber, 366 Seiten, 25 Reproduktionen, 24.90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
GeburtstagsgeschenkSeine Geburtstagsgäste kann man sich aussuchen, die Geburtstagsgeschenke meistens nicht. Zur Zeit feiern die Berliner Philharmoniker 125jähriges Bestehen. Das Berliner Ensemble gratuliert mit der musikalischen Komödie »Das Orchester« von Jean Anouilh. »Alle ehemaligen, jetzigen und künftigen Mitglieder der Philharmoniker sind eingeladen, einen vergnüglichen Blick in den alltäglichen Wahnsinn des Lebens eines Orchestermusikers zu werfen.« Zunächst sieht der Theaterbesucher – nein, nicht den legendären Brecht-Vorhang mit Picassos berühmter Taube; das war einmal –, sondern eine ausladende Muschel, die mit einem Eiffelturm im Miniaturformat gekrönt ist. Compris: Das Ganze spielt in Paris. Als ein pinkfarben gepolsterter Deckel sich hebt, kommen sechs Blondinen zum Vorschein, fünf Streichinstrumente und eine Flöte, außerdem ein ziemlich einfältiger Mann am Klavier. »Ähnlichkeiten mit lebenden Orchestern«, baut die Einladungskarte vor, seien zufällig. Die Demoiselles wissen ihre zauberhaften Figuren und die Bögen elegant zur eingespielten Hintergrundmusik zu bewegen. Zwischen den kurzweiligen Stücklein stricken oder erzählen sie einander Schmonzetten aus ihrem Liebes- und Familienleben. Die Chefin wird gar tätlich und will sich dem Pianeur an den Hals werfen. Das Cello wirft sich dazwischen und schließlich den Job hin. C‘est tout. Es soll wohl pikant und frivol wirken, der Zuschauer von heute empfindet es vor allem als banal. Und er ist dankbar, als endlich der Chef des Etablissements auftritt und die konzertierte Aktion anmahnt, weil es um sein Geld geht. Die zur Premiere geladenen Geburtstagskinder dürften irritiert gewesen sein. Denn das ist eisernes Musikergesetz: Auf der Bühne haben die Instrumente das Sagen, und wer nicht dran ist, muß die Klappe halten. Auch bei den Philharmonikern. Katharina Schulze
Press-KohlNeulich starb Boris Jelzin. »Mit Boris Jelzin«, gab der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl unverzüglich bekannt, »ist ein großer Staatsmann und mein persönlicher Freund von uns gegangen. Ich konnte in den vielen Jahren unserer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit ganz unmittelbar erleben, mit wie viel Mut, Leidenschaft und weiser Entschlossenheit er Rußland in die Gemeinschaft der freien Völkergemeinschaft geführt hat.« Kürzer als Kohl könnte man Jelzin nicht charakterisieren. Kohl kennt sich auf diesem Gebiet sehr gut aus, weil auch er genau wie Jelzin ein großer Staatsmann war, was wir ganz unmittelbar erleben durften. Mit weiser Entschlossenheit hat der große Staatsmann auch den Krieg gegen Tschetschenien führen lassen, der Zehntausende von Menschen das Leben kostete. Diesen Krieg bedauerte Jelzin später als größten Fehler seines Lebens, was aber kein einziges der Menschenopfer ins Leben zurückrufen konnte. Das Milliardenvermögen, das Papa Boris »mit viel Mut, Leidenschaft und weiser Entschlossenheit« ansammelte und den teuren Seinen hinterließ, blieb der trauernden Familie erhalten. Die Super Illu überschrieb ihren ergreifenden Nachruf auf den lieben Toten so: »Russischer Bär mit Seele.« Ganz allerliebst. Vielleicht haben Tiere, in diesem Falle Bären, auch Seelen. Kenner wissen aber, daß man Launen und Pläne von Bären an ihrer Haltung nur schwer ablesen kann, geschweige denn an ihrer Mimik (die sie gar nicht haben). Eine sehr erfolgreiche, daher berühmte Eisbär-Dompteuse verriet einmal, daß Eisbär-Blicke uns gar nichts verraten. Dann und wann tränten dem »Russischen Bär mit Seele« die Augen. Sowas ist bei Eisbären noch nicht beobachtet worden. Eisbären saufen nicht. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
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