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In Zirndorf bei Nürnberg lagern in 16.250 Säcken rund 600 Millionen Schnipsel, die bisher von 30 Mitarbeitern in nervenaufreibender Handarbeit zusammengesetzt werden. In mehr als zehn Jahren haben sie 350 Säcke geschafft. Da sie für die restlichen 16.000 Säcke noch 400 bis 800 Jahre benötigen würden, was keinem sterblichen Menschen zuzumuten ist, kommt jetzt die neue Technik zum Einsatz. Das heißt: Vorläufig geht die Arbeit per Hand weiter. Am Fraunhofer-Institut beginnt erst einmal eine zweijährige Testphase, für die der Finanzminister 6,3 Millionen Euro bereitgestellt hat. Es ist geplant, in dieser Phase die Schnipsel aus 400 Säcken zusammenzufügen. Danach soll es richtig losgehen, und in fünf Jahren könnten alle Akten wiederhergestellt sein. Insgesamt soll das lediglich 30 Millionen Euro kosten, weniger als bisher angenommen. Verdienstvolle MfS-Aufklärer sind begeistert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, der sich für das Projekt engagiert hat, meint: »Das ist ein wichtiges Signal, daß Täterschutz nicht vor Opferschutz geht.« Mit den wiederhergestellten Akten gebe es noch die Chance, Stasi-Spitzel zu enttarnen und zur Rechenschaft zu ziehen. Ganz im Sinne jüngster Appelle des Bundespräsidenten mahnt er, die Erinnerung an das DDR-Unrecht dürfe nicht verblassen. Nicht minder freut sich die MfS-Unterlagen- und -Schnipselverwalterin Marianne Birthler, denn: »In diesen Säcken schlummern noch sehr viele wichtige Unterlagen.« Sie hoffe, daß das Material »für viele Opfer sehr, sehr wichtig ist, um herauszufinden, wie die Stasi in ihr Leben eingegriffen hat.« Auf die Frage des Deutschlandradios, ob denn während der Testphase die Arbeit per Hand parallel weitergehe, stellte Birthler kategorisch fest: »Wir können es uns gar nicht leisten, jetzt ein Jahr Stillstand zu haben.« Wie wahr! Stillstand ist aller Laster Anfang. Das gilt auch für das Holocaust-Archiv im nordhessischen Bad Arolsen, aus dem ein weiterer Durchbruch vermeldet wurde. Dort lagern die Dokumente, die vollständigen, nicht die Schnipsel, die über das Schicksal von mehr als 17 Millionen Juden, Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern Auskunft geben. Nun, noch nicht einmal 65 Jahre nach dem Ende der Hitlerdiktatur, soll es bereits für die Forschung geöffnet werden. Die von den Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg deponierte Datensammlung wird vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz verwaltet und von der Bundesregierung finanziert. Eine Grundsatzeinigung über die Öffnung des Archivs war zwar schon vor acht Jahren erzielt worden; seither hatte sich vor allem Deutschland dagegen gewehrt und datenschutzrechtliche Bedenken vorgebracht, denn, so die Bundesregierung, die Archive enthielten auch sensible Persönlichkeitsdaten wie etwa Angaben zu Vorstrafen und sexueller Orientierung. Daß die Faschisten über ihre Verbrechen genauestens Buch geführt und die Täter ihre Morde pedantisch abgezeichnet haben, daß also jede Verzögerung des Zugangs zu den Akten die Aufklärung der Taten behindert, spielte bei diesen Überlegungen selbstverständlich keine Rolle, schon gar nicht absichtlich. Anderes ist eine üble Unterstellung. Den Verantwortlichen der Bundesrepublik Deutschland ging es stets – daran müssen wir ganz fest glauben – ausschließlich um Opfer- und keineswegs um Täterschutz. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß die Opferverbände und auch der Zentralrat der Juden in Deutschland die regierungsamtliche Argumentation schon immer für fadenscheinig hielten und der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan J. Kramer, davon ausgeht, »daß all dieses Material, das bisher weder gesichtet worden ist noch tatsächlich der Forschung zur Verfügung gestellt wurde, uns einen neuen Einblick geben wird über die Tiefe eben der Verstrickung von privatwirtschaftlichen und freiberuflichen Akteuren während der Nationalsozialistenzeit.« Nein, die bundesdeutschen Regierungen ließen sich in den letzten Jahrzehnten lediglich von edlen Motiven des Datenschutzes für die Opfer des Holocaust leiten. Schließlich bestätigte das auch Charles Biedermann, Leiter des Archivs in Bad Arolsen, der die Bedeutung des Datenschutzes hervorhob. Er sagte: »Sie können personenbezogene Daten nicht freigeben« und meinte: »Wir wollen personenbezogene Daten nicht freigeben.« Bei der manuellen und neuerdings computergestützten Schnitzeljagd in Zirndorf verfolgt man dagegen ein weit höheres Ziel: neue Informationen über die Machenschaften der Stasi und ihrer Mitarbeiter zu erhalten und öffentlich zu machen. Im Falle des zeitweiligen ARD Sportkoordinators Hagen Boßdorf war das mühsam zusammengefügte IM-Akten-Puzzle aus den Schnipselsäcken kaum fertig, da wurde es den Medien schon zum Fraße vorgeworfen. Der doch recht unterschiedliche Umgang mit den Akten in Zirndorf und Bad Arolsen hat gute Gründe. Er verdeutlicht, welche der »beiden Diktaturen in Deutschland« die schrecklichere war. Er zeigt, wie zutreffend und aktuell die Einschätzung des ersten Kanzlers der Bundesrepublik, Konrad Adenauer, war und ist, die er 1950 auf dem CDU-Parteitag in Goslar traf: »Ich wollte die Bewohner der Ostzonen-Republik könnten einmal offen schildern, wie es bei ihnen aussieht. Unsere Leute würden hören, daß der Druck, den der Nationalsozialismus durch Gestapo, durch Konzentrationslager, durch Verurteilungen ausgeübt hat, mäßig war gegenüber dem, was jetzt in der Ostzone geschieht.« Nicht zuletzt widerspiegelt er die »demokratische Erinnerungskultur der Deutschen«, deren Kern laut dem Schlußbericht der Enquete-Kommission des Bundestages »Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit« die »notwendige Aufklärung über die Geschichte der beiden Diktaturen« ist. Akten sind zuweilen zerfleddert, lückenhaft, widersprüchlich, aber der Umgang mit ihnen spricht meist eine deutliche Sprache.
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
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