Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Vaterlandslose GesellenThomas Rothschild Daß Juden »vaterlandslose Gesellen« seien, war als Vorwurf gemeint: Sie fühlten sich den Ländern, in denen sie lebten, nicht patriotisch verbunden und seien deshalb jederzeit zum Verrat bereit. Man kann das Etikett freilich auch als Diagnose verstehen: Bis 1948 hatten die Juden kein eigenes Vaterland, sie waren buchstäblich »vaterlandslos«. Darauf reagierten jene, die die Juden aus den Gastländern, in denen sie teilweise seit Jahrhunderten gelebt hatten, verjagten, zusammen mit Zionisten. Den Rest erledigte der Holocaust. Juden sind vaterlandslose Gesellen. Ach wären sie es doch! Es war die Diaspora, die Juden zu Pionieren der Aufklärung und des Humanismus werden ließ. Der Staat Israel hat sie zu ganz normalen nationalistischen Idioten werden lassen, wie es andere Völker seit dem 19. Jahrhundert sind. Was spricht eigentlich für Vaterlandsliebe und für Patriotismus, hinter dem sich fast immer Nationalismus und Chauvinismus verbergen? Was historisch betrachtet seine fortschrittliche Funktion gehabt haben und im Kampf der Schwachen gegen kolonialistische Ansprüche der Stärkeren immer noch haben mag, hat im 20. Jahrhundert nur zu Kriegen, Massenmorden und Dauerkonflikten geführt. Daß der Staat Patriotismus einfordert, hat seine leicht erklärbaren politischen Gründe. Die pauschal diffamierten Anarchisten haben das stets gewußt, und die Marxisten haben darauf mit der aus der Mode gekommenen Doktrin des Internationalismus geantwortet. Der Grundsatz »Right or wrong – my country« enthebt die Regierenden einer moralischen Rechtfertigung ihrer Entscheidungen und Handlungen. Es war George W. Bush vorbehalten, die Karikatur des zitierten Grundsatzes zu formulieren: »We stand with Israel because it shares our values.« Aber warum plädieren intelligente Menschen dafür, sich jenen, die den gleichen Paß haben wie man selbst, stärker verbunden zu fühlen als der Menschheit im Allgemeinen und den leidenden Menschen im Besonderen? Sind jene vaterlandslosen Juden, die sich auf die Seite der Verfolgten, Diskriminierten stellten, nicht tausendmal sympathischer als jene jüdischen Patrioten, die das Elend arabischer Kinder billigend hinnehmen, weil sie in den Kategorien israelischer Interessen denken? Hätte es mehr »vaterlandslose Deutsche« gegeben, die in der Wehrmacht und daheim »Verrat« geübt hätten am Deutschland Hitlers – die Welt sähe, besonders für die Juden, anders aus. Sie könnten es als Kompliment verstehen, wenn man sie »vaterlandslose Gesellen« nennt. Menschlich ist es durchaus verständlich, wenn Individuen und Gruppen erst einmal um ihre eigene Sicherheit besorgt sind und gegen ihre eigene Benachteiligung aufbegehren. Daß Juden, deren Verwandte ermordet wurden, am eigenen Überleben und am Überleben derer, mit denen sie ein spät erworbenes Vaterland teilen, stärker interessiert sind als an einer humanen Welt; daß Frauen, die über Generationen hinweg schlechtere Chancen hatten als Männer, eher Vorteile erlangen wollen, wenigstens für die kleine Schicht der bürgerlich-intellektuellen Frauen, der sie angehören, als eine egalitäre Gesellschaft; daß Minderheiten gegen Gesetze demonstrieren, die sie gefährden, statt gegen eine ungerechte Gesetzgebung insgesamt – all dies ist verständlich. Sympathisch, mit Verlaub, ist es nicht. Jedenfalls verdient es keinen besonderen Respekt. Daß sich jemand für seine eigenen Rechte einsetzt, ist sinnvoll, aber es bewegt sich im Rahmen eines Wertesystems, für das der Egoismus verbindlich ist. Der Schwächere spielt seine Interessen gegen den Stärkeren aus. Aber es sind nicht mehr als eben seine Interessen. Achtung gebührt jenen, die sich für die Interessen anderer einsetzen, ohne selbst dadurch einen Vorteil zu erlangen. Das ist aber heute leider alles andere als selbstverständlich. Die beharrlichen Versuche, die 68er zu diffamieren oder zumindest der Lächerlichkeit preiszugeben, sollen unter anderem vergessen machen, daß diese sich tatsächlich, und oft um den Preis eigener Nachteile, für andere stark machten, die noch schwächer waren als sie. Der Slogan von der »Internationalen Solidarität« war mehr als nur ein Slogan. Achtung gebührt den amerikanischen und auch den europäischen Studenten, die Interesse aufbrachten und Zeit und Energie einsetzten für die Vietnamesen, die unter weit Schlimmerem als überfüllten Hörsälen, nämlich unter einem Krieg zu leiden hatten. Achtung gebührt den Intellektuellen, die sich mit der Lage von Arbeitern beschäftigten und sich, soweit das in ihrer Macht stand, dafür engagierten, deren Lebensbedingungen zu verbessern. Achtung gebührt jenen Frauen aus wohlbehüteten Verhältnissen, die Häuser einrichteten und betreuten für geprügelte Frauen aus einem Milieu, in dem es nur selten darum geht, den Frauenanteil unter Professoren zu erhöhen. Respekt also gebührt jenen, die eine bessere, gerechtere, humanere Gesellschaft mit mehr Rechten für alle – nicht nur für sich und ihre engere Umgebung – wünschen, einfordern und zu erkämpfen versuchen. Und deshalb ist es so infam, wenn Befürworter des Egoismus, selbst egoistisch, solches Engagement verspotten und es zu desavouieren versuchen. Mag sein, daß manche gegen den Vietnamkrieg demonstrierten, weil sie sich dabei (im doppelten Sinne) gut fühlten. Schmälert das den Effekt für jene, die nach dem Ende des Kriegs endlich aufatmen konnten? Mag sein, daß manche Frauen für ihre unterprivilegierten Geschlechtsgenossinnen aktiv wurden, weil »Leiden aus zweiter Hand« (Wolf Biermann) ihre Vorstellungskraft stärker bewegten als ihre eigenen (genau besehen: vergleichsweise erträglichen) Leiden. War ihre Arbeit für jene, denen sie halfen, deshalb weniger segensreich? Marx, Heine, Freud waren Juden. Die Gebrechen, unter denen die Menschheit leidet, nahmen ihr Denken und Handeln stärker in Anspruch als die Frage nach dem Vaterland. Den amerikanischen Juden Noam Chomsky regt die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mehr auf als seine politische Marginalisierung durch die Medien. Das ist sympathisch. Noam Chomsky ist eben ein vaterlandsloser Geselle.
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |